Er sagte:
„Verstehe ich nicht, dass du dich
in die verliebt hast. Mir wäre sie zu,
Verzeihung, blöd. Und du hast
1000 Mal mehr Grips als ich. Ich
versteh’s einfach nicht.“
Ich sagte:
„Erstens habe ich nicht
1000 Mal mehr Grips als du.
Und zweitens interessiert es mich
einen Scheissdreck, was für einen
IQ die Mondin hat,
solange sie so schön leuchtet
am schwarzen Himmel.“
(Und vielleicht belegte meine
zweite Aussage
meine erste.)
Damals war ich so verbissen wie ein ausgehungerter Hai. In fast allem. Aber besonders was das Schreiben anging. Jugend – auch ich hatte mal sowas. Ich saß in einem kleinen Kellerzimmer mit niedriger Decke vor einer Schreibmaschine aus den 50er Jahren. Drechselte & feilte. Feilte wieder. Schrieb um. Schrieb neu. Schrieb Fassung um Fassung. Schrieb langsam; so langsam. Schrieb seitenlange Sätze. Klebte Zettel in & an das Typoskript. Und um 100 Seiten fertig zu haben, hatte ich vermutlich 300 geschrieben. Wehe wenn ich irgendwo das leiseste Geräusch hörte. Ich rastete aus, lief fluchend in dem kleinen Zimmer umher; ich war sofort raus aus dem Fluss. Der Druck war gewaltig. Der Druck, den ich mir machte. Den Es-in-mir mir machte. Dabei schrieb ich nur für mich. Nur 2 oder 3 Menschen hatte ich mal einen winzigen Teil davon gezeigt. Mehr wollte ich nicht; mehr brauchte ich nicht.
Schreiben war Leiden. Und ich dachte, das müsse es auch sein. Selbstzerfleischung, Ringen um das mot juste. – Irgendwann war das Leiden aber so groß, dass ich mit dem Schreiben aufhörte. Oder Es hörte auf. Für Jahre. Viele viele Jahre. Ich konzentrierte mich auf die Musik. Natürlich verbissen. – Das Schreiben war gestorben. Punkt.
Jahre …. Jahre …. Jahre ….
Und dann kehrte es wieder. Als Zombie. In Fetzen. Eine chemische Reaktion? Radioaktiver Müll? Keine Ahnung. Egal. – Und alles war alles anders diesmal. Ich war schlampig geworden. Und es ist großartig, schlampig zu sein! Es gibt keinen Druck mehr. Nur noch Lässigkeit. Hingerotzte Worte; Texte wie Dartpfeile – & es ist mir egal, wo sie die Scheibe treffen. Ob sie die Scheibe überhaupt treffen oder in der Wand landen. Oder auf dem Boden. Ich sitze da, die Musik dröhnt gegen meine Gedanken an, und ich haue auf die Tasten – 10 Finger in einem seltsamen Rhythmus. Nebenher surfe ich im Internet, twittere, chatte, lese oder schreibe Emails. Ein Satz hier, ein Satz dort. (Moment, ich muss gerade mal staubwischen; bin gleich wieder da.) Draußen schreien Kinder. Oder ich schreibe bei der Arbeit, umgeben von grölenden Besoffenen in der Hotelhalle, die zwischendurch immer wieder etwas von mir wollen.
Wo ist das Leiden hin? Keine Ahnung; zumindest ist es nicht mit auferstanden. Es kann mir gestohlen bleiben. Tot. Die Besseren sollen ruhig weiter leiden, weiter suchen & sich quälen. Ehrgeiz im eigentlichen Sinne hatte ich nie; aber ich hatte so etwas Ähnliches mir selbst gegenüber. Und nun existiert auch das nicht mehr.
Ich schreibe schnell. Ebenso schnell lade ich es im Internet hoch & vergesse es wieder. Manchmal – aber das liegt dann an den Cocktails, die ich mir nebenher mixe – weiß ich schon am nächsten Tag nicht mehr, was ich zuletzt geschrieben habe. Dann schaue ich es mir noch mal an. Aus reiner Neugier. Was habe ich da wieder im Vollrausch verzapft? Fast lese ich es wie einen fremden Text. Selten ändere ich etwas. Es interessiert mich nicht mehr. Wichtig ist nur noch, dass ich mich bei & nach dem Schreiben gut fühle. Raus aus der Depression der Ausdruckslosigkeit. Einen anderen Sinn suche ich darin nicht mehr. Wenn es jemand anderem gefällt, schön. Wenn nicht, auch schön. Eigentlich müsste es nicht einmal mir gefallen. Ich will keinen Blumentopf damit gewinnen. Und ich möchte ihn mir auch nicht selber überreichen.
Tja, Jugend – schön & gut. Aber manches wird einfach besser, wenn man älter wird. Zumindest subjektiv. Und sollte es objektiv betrachtet schlechter sein, ist es einem scheissegal.
Und wenn ich mir ständig widerspreche, widerschreibe, ist es mir ebenfalls egal.
Das wollte gerade heraus, also habe ichs herausgelassen. Ich habe einen gräßlichen Kater im Moment. Mehr Grundsätzliches habe ich nicht zu sagen.
„Ey, Alter“, sagte er, „was ist
eigentlich mit dir los? – Du bist
der einzige Säufer, den ich kenne,
der im Vollrausch Shakespeare-Monologe
aufsagt. Und das auch noch auf deutsch und englisch.“
„Tatsächlich?“ sagte ich. „Ich dachte, das
tun sie alle. Aber danke für
die Frage.“
Irgend jemand drückte mir eine Geige in die Hand;
ich war 12 oder 13. Hatte noch nie eine in der Hand
gehabt. Ich probierte etwas. Jemand sagte: „Was ist nur mit diesem Jungen los? Man gibt ihm
irgendein Musikinstrument, und sofort kann er
darauf etwas spielen. Und zwar etwas, das richtig
& schön klingt.“ Er schenkte mir
die Geige. Nach ein paar Monaten ging sie
kaputt. Und damit war die Sache für mich
erledigt. (Mein Ehrgeiz war schon damals nicht
besonders ausgeprägt.)
Als ganz-kleines Kind hatte ich ein billiges Keyboard
gehabt; meine Eltern lauschten andächtig meinem
Geklimper, kamen aber nicht auf die Idee, mir
Klavierunterricht zu verpassen. Auch
das Keyboard ging kaputt, und ich
bekam kein neues. Diverse andere Instrumente folgten
stattdessen. – Mit 11 bekam ich eine Gitarre. Und mit 15
sagte ich mir: Verdammt, ich will auch mal etwas
lernen; etwas beigebracht bekommen; etwas, das
ich mir nicht selber beibringen kann…..
In der Zeitung lockte das Inserat eines Musik-
lehrers, der in einer Schule einen Gitarren-Kurs geben wollte.
Ich ging dorthin. Spielte vor. (Malagueña) Er sagte: „Ich kann dir nichts mehr beibringen; tut mir
leid, du bist hier falsch.“
Er hatte sicherlich recht; er mußte es schließlich
beurteilen können. Wofür war er sonst Lehrer?
Und ich gab den Wunsch auf, mir etwas
beibringen zu lassen. – Und zwar: in allen Bereichen des Lebens.
Immerhin – das alles hatte mich etwas gelehrt:
1.) Das, worauf es wirklich ankommt,
bringt einem keiner bei; will oder kann einem
niemand beibringen.
2.) Es bringt einem nichts, wenn etwas richtig & schön klingt.
Ich war darüber
hinweggekommen; über den Schluss,
den sie gemacht hatte. Ich war
fortgezogen. Mehr als 400 km lagen
zwischen uns; Monate lagen zwischen
uns. Mein Kopf war frei für
Neues & Neue. Mein Herz war
frei für Zukunft. Endlich.
Damals ging ich noch ans Telefon,
wenn es klingelte; damals öffnete
ich noch die Tür, wenn jemand
klingelte. Ich schlief noch (teilweise)
nachts, kannte noch das Tageslicht,
atmete noch frische Luft.
Und dann klingelte es an der Haustür,
und ich öffnete; und sie stand da, in der
Sonne & lächelte unsicher. Wir reichten
uns Hände: sie mir ihre, die schon überall
auf mir gewesen war; ich ihr meine, die
schon überall auf (oder in) ihr gewesen
war. Es bedeutete mir nicht allzu viel
in diesem Moment, aber ich freute mich,
sie zu sehen.
Wir gingen ins Wohnzimmer, sie setzte
sich aufs Sofa.
„Hast du Kaffee“, fragte sie.
„Nur Instant-Scheisse“, sagte ich.
„Egal, ich brauche einen; hab nicht viel
geschlafen.“
„Kommt“, sagte ich & ging in die Küche.
Wir sprachen über die Distanz hinweg.
„Schön hast du’s hier“, sagte sie, „soweit
man es vor lauter Büchern erkennen kann.“
Wasserkocher … 3 gehäufte Löffel Nescafé
pro Mug, etwas Zucker, wenig Milch.
Ich ging zurück, sie bedankte sich; ich
setzte mich auf einen Sessel. Wir nippten.
Ein Tisch voller Bücher zwischen uns.
„Heiß“, sagte ich.
„Stark“, sagte sie.
„Verdammt stark“, sagte sie. „Ich kriege
Herzklopfen.“
„Ich nicht“, sagte ich.
Sie trug Jeans & ein weißes T-Shirt; sah
aus, wie nur sie aussehen konnte. Aber
ich war darüber hinweg.
Small-Talk, den ich so small wie
möglich hielt.
5 Minuten.
10 Minuten.
„Noch’n Kaffee?“ fragte ich.
„Nein“, sagte sie.
Ohne Übergang stand sie auf, kam
herüber & setzte sich auf meinen
Schoß. Legte die Arme um mich.
„Hast du mich noch lieb?“ flüsterte sie.
„Natürlich“, sagte ich. Ohne
Herzklopfen. Meine Handflächen
auf ihr. Ihr Geruch, besser als der
von Büchern. Dass ich sie nicht
küsste, wußte sie auszugleichen; und
dann küssten wir uns. Und ganz
langsam –
begann der Kaffee bei mir zu wirken.
Und ich wußte es :
Dieses Mal würde ich nicht so glimpflich
davonkommen. Dieses Mal würde ich
– wenn es wieder so weit war – nicht
darüber hinwegkommen. Dieses Mal
würde es Etwas in mir
zerstören. Endgültig.
Unwiederbringlich.
Ich bin ein Spielball für
manche [Frauen] –
Sie werfen mich in die
Luft
titschen mich auf den
Boden
stecken mich in die
Tasche
Aber
sie können mich nicht
an die Wand klatschen –
denn ich pralle ab
springe zurück – vielleicht
in die Fresse der Werfenden
vielleicht in die Hand einer
anderen – vielleicht
in die Leere wo niemand ist
Dann rolle ich weiter
durch die Leere in die
Einsamkeit
Weiter – –
bis ich – den Gesetzen
der Physik gehorchend –
zum Stillstand komme
Die Wischblätter meines
alten, alten verrosteten
Autos waren so abgenutzt &
kaputt, dass ich keinen
Durchblick mehr hatte, sobald
der sanfteste Regen einsetzte.
Der Wagen klapperte;
Schleifgeräusche überall,
der Auspuff probte den langen
Abschied ….
Und ich dachte: Es lohnt sich
nicht mehr, neue Wischblätter
zu kaufen …. Am Ende bricht
die Karre zusammen & das
einzig Intakte – wie zum
Hohn – wären die
Wischblätter ….
Ich gab dem Auto noch ein
paar Monate, höchstens ½ Jahr …
Also fuhr ich weiter
mit verschwimmendem Blick;
sparte mir irgendwann auch die
Waschstraße – Vogelscheisse fraß
sich in die Karosserie – –
Ein Jahr später:
Ich fahre ihn noch immer;
Einzelteile des Auspuffs liegen auf
dem Rücksitz. Beim Anfahren
kracht er manchmal wie meine
Gelenke, wenn ich aufstehe; als
habe sich etwas festgefressen.
Festgefressen wie die Vogel-
scheisse. Hin & wieder kann er
sich nicht mehr an den Zünd-
schlüssel erinnern; dann aktiviert
er seine Wegfahrsperre – ein
paar kräftige Schläge aufs Lenk-
rad – und sein Erinnerungsvermögen
kehrt zurück. Der Wagen ist
1 Jahr älter geworden. Doch noch.
Ich auch. Der Wagen säuft mehr
als er sollte. Ich auch. Der Wagen
passt zu mir. Und die Wischblätter
sind immer noch dieselben.
Ich vermute, das Ganze ist
bezeichnend – für mich & mein Leben.
Ich vermute, man könnte irgend etwas
Tiefsinniges darin finden – wenn
man Lust & Zeit hätte, danach zu
suchen.
Aber ich habe keine Lust. Und
keine Zeit. Und in Kürze wird
ohnehin der TÜV abgelaufen sein.
Und dann gibt es die Tage, da
fühlt man sich wie eine Kellerassel in
einer Welt ohne Keller
Und dann gibt es die Tage, da
fühlt man sich wie eine Kellerassel in
einer Welt, die nur Keller ist
Und dann gibt es die Tage, da
fühlt man sich wie eine Kellerassel in
einer Welt, die alles hat:
Keller & Erdgeschoss & Penthouse –
& man könnte glauben,
man habe die Wahl
Aber man hat sie nicht
Und warum auch sollte man
sie haben ….
Im Keller warten die Spinnen,
sie kennen kein
Erbarmen, und ihre Netze
sind groß & fast
unsichtbar
Wo war ich in all den Jahren waren es 10 waren es 15 Als meine Hände eingefroren waren nicht schreiben konnten Als meine Augen blind waren nicht sehen konnten Als meine Ohren taub waren nicht hören konnten Ich war verschollen in einer wohltemperierten Hölle einem lauwarmen Vergessen Ich war & war nicht – War gefangen in einem Netz aus Nervensträngen straff gespannt & kalt Was hat mich gefunden nach all den Jahren waren es 10 waren es 15 Ich weiß es nicht Aber etwas hat mich gefunden Vielleicht nicht für lange Vielleicht nicht einmal bis morgen Aber in diesem Moment bin ich da – – gefunden & nicht mehr verschollen
Sie oder Er trifft B.
verliebt sich
liebt liebt liebt
wird glücklich & bleibt es
für einige Zeit
Hätte Er oder Sie A. getroffen
hätte Er oder Sie sich heftiger verliebt
tiefer geliebt geliebt geliebt
wäre noch glücklicher geworden &
wäre es für längere Zeit geblieben
Sie oder Er
ahnt nichts davon
& ist
zufrieden genug
in dieser
A-
hnungs-
losigkeit
An wievielen Türen es doch
gehangen hatte. Türen zu kleinen
kahlen Zimmern. Zimmern voll
von Papier; von Stiften & Gänsekielen;
Eine einsame Schreibmaschine. Voll von
Staub.
Die Zimmer meiner toten Helden.
Die jünger starben als ich heute bin.
Sie hatten keine Wahl. Die
Selbstzerstörung wählte sie, erwählte sie. Um ihnen den Ausweg
zu weisen …. den letzten, den
einzigen Ausweg aus dem,
was ihnen zugeteilt worden war ….
Manchmal versuche ich sie zu
träumen: die Geschichten, die
Poe nicht mehr schreiben konnte;
die Gedichte, die Dylan Thomas
mit ins Grab nahm; die Romane, die
Malcolm Lowry ermordet hat ….
Die Liste führt ins Unendliche.
In die Unendlichkeit des
Menschseins, das die Besten
oftmals nicht ertragen können.
Ich erwache.
Wieder ist mir ein Traum
nicht gelungen.
Ich erwache.
Wahrscheinlich wird mir auch das Leben
nicht gelingen.
Und die Nüchternen erwachen morgens
nüchtern. Und sie hören, was ich sage –
wenn ich etwas sage. Und sie lesen, was
ich schreibe – wenn ich etwas schreibe.
Und sie legen meine Worte auf die
Goldwaage ihrer Nüchternheit. Und
sie wiegen nach. Nüchtern. Und die Maßeinheit
heißt Verletzung. Und die Verletzung wiegt
schwer. Obwohl meine Worte nicht
Gold sind. Meine Worte sind nur Blei.
Morgens.
Eine Nacht voller Cocktails liegt
hinter mir. Meine Munition. Ich bin
geladen. Mein Hirn ein Magazin von Dum-Dum-Geschossen. Ich schieße
um mich, wild & rücksichtslos;
manchmal auch sentimental.
Pardon wird nicht gegeben.
Unsichtbares Blut läuft aus offenen
Wunden. Aus den Wunden der
Nüchternen, die gerade erwacht
sind; und die als erstes ihre
Goldwaage polieren.
Sie sollten sie in Zahlung geben,
diese Goldwaage. Sie bedeutet nur
Schmerz. Vielleicht
bekommen sie dafür eine
schusssichere Weste. Ich wünsche
sie ihnen.
Und manchen von ihnen würde ich
sie sogar gerne
schenken.
Der Mann war seltsam, keine Frage.
Er stand vor mir, an der Hotelrezeption & textete mich zu mit Banalitäten. Ich war das gewohnt. Die seltsamsten Menschen kamen Nacht für Nacht vom Hauptbahnhof herüber, nur um zu quatschen. Für sie ist der Nachtportier ein Psychiater oder Beichtvater. Sie laden ab, was sie abzuladen haben. Meistens Müll. Müll, der sie belastet. Und wehe, sie merken, dass sie ein Ohr vor sich haben. Dann finden sie kaum ein Ende. Und ich bin ganz Ohr.
Was dieser Mann erzählte, es war unwichtig. Für mich. Für ihn war es: die Welt. Er hielt mich von der Arbeit ab. Und ich mag es, von der Arbeit abgehalten zu werden. Ich hörte ihm zu, und als er alles abgeladen hatte, was er hatte abladen wollen, fragte er:
„Rauchen Sie Zigarren?“
„Ja“, sagte ich.
„Gut“, sagte er, „ich habe gerade eine geschenkt bekommen. Von einem Freund, der Vater geworden ist. Aber ich rauche nicht. Dafür, dass sie so nett zugehört haben, werde ich sie Ihnen geben.“
Ich habe keine Skrupel, ich nehme an, was ich kriegen kann; und ich sah es auch so: er hatte mir eine Menge Dreck erzählt – ich verdiente es, dafür belohnt zu werden.
Er reichte mir das Metallröhrchen. Tiefschwarz mit goldener Schrift. Ich nahm es an. Grinste. Freundlich.
„Danke.“ (Nein, ‚Das wäre doch nicht nötig gewesen’, sagte ich nicht, denn es war nötig gewesen.)
Er ging. Und als er auf der anderen Seite der Straße angekommen war, konnte ich mich schon nicht mehr an sein Gesicht erinnern.
Ich brachte den Rest der Nachtschicht herum.
Fuhr nach Hause, aß Kuchen, trank Milch & legte mich schlafen. Verschlief den Tag. Wie immer.
Das schwarze Röhrchen mit goldener Schrift lag im Wohnzimmer.
Endlich. 4 Tage später hatte ich frei. Die Arbeitsnächte hatten mich abgefüllt mit Sinnlosigkeit, Dummheit & einer weiteren Schicht Routine.
Frei! Frei!
Im Bett liegen. Gin trinken. Lesen. Träumen. Dunkelheit genießen. Fantasie trinken. Und den Sinn des Nichtstuns erneut entdecken.
Irgendwann stand ich auf; in der Nacht. Hungrig. Gierig nach Olivenöl, Knoblauch & Zwiebeln. Zwiebeln finden meine Freudentränen & locken sie hervor. Ich kochte Spiralnudeln. Ließ sie im Sieb abtropfen. Warf sie in die Pfanne, in den aufzischenden Olivenölsee. Bewarf sie mit Knoblauch & Zwiebeln, Oregano obendrauf & Pfeffer in allen Farben. Roch, was zu riechen war. Zusammengebrutzeltes Glücksempfinden.
Ich aß. Aß. Aß. Roter Wein als kurzes Intervall. Spiralen. Ölig glänzend. Die 3 Kerzen auf dem Eßtisch.
Satt. Dann war ich satt. Was fehlte? Eine Zigarre. Die Zigarre zum Rotwein, zum Cognac, zur Sättigung.
Das schwarze Röhrchen.
Die goldene Schrift.
Ich dreht den Verschluss ab. Die Zigarre war in Zellufan eingeschweißt. Ich befreite sie. Schob sie unter meiner Nase vorbei. Sie roch GUT. Wie irgendein (fast) vergessenes SpeiseEis meiner Kindheit.
Sie war zu schön & zu gut für ein Feuerzeug. Also nahm ich ein Streichholz. Goldblaues Geflacker. Glut. Rauch. Graue Schlieren.
RAUCHEN!
Das Rauchen malt den Atem. Ein graues Gemälde.
Ich trank. Ich rauchte. Blies den Rauch in die Kerzenflammen. Beleuchteter Qualm.
Anheimelnd & gemütlich.
RAUCHEN!
Dann: wurde der Rauch – plötzlich – ungemütlich. Und unheimlich.
Über den goldblauen Flammen nahm er Formen an. Formen…… Ein Gesicht…. Ein graues, breites Gesicht, mit Augen. Augen, die sich vor Bosheit schlitzten. Vor Hinterhältigkeit. Und Gemeinheit. Darunter: eine wabernde Nase. Ein dunstiger Mund.
Und der Mund sprach. Im Licht der Kerzen.
Er sprach Worte, die ich vergaß. Ich weiß nur noch: sie waren boshaft; sie waren niederschlagend; sie waren düster; sie waren schwarz. Sie waren häßlich; so schauderhaft, dass ich fror.
Ich rauchte weiter. Weiter, während das Gesicht seine Form verlor & sich im Raum verteilte. Bei jedem Zug fragte ich mich, welches Grauen ich diesmal ausatmen würde. Ich zitterte & konnte es doch nicht lassen; ich musste sie aufrauchen. Nichts passierte. Ihren winzigglühenden Rest warf ich in den Aschenbecher. Aus der letzten, sterbenden Glut stieg der letzte Qualm, dünn wie ein Faden. Aber dieser Faden wurde das dicke Seil, das sich um meinen Hals legte. Um meinen Hals, der verstummte. Und keine Luft mehr bekam. Zu wenig Atem für einen Schrei.
Warum habe ich faible für
abgefahrene Menschen?
Weil sie unterwegs sind.
Abgefahren ohne ADAC-
Mitgliedschaft. Ohne Mit-
gliedschaft irgendwo.
Sie haben Pannen, und
niemand schleppt sie
umsonst ab. Alle Unfälle
müssen sie teuer bezahlen.
Selbst.
Ihr Leben : ein Risiko, das
sie selber tragen müssen.
Ihr Ziel : kennen sie nicht;
aber vielleicht kommen sie
an, wo die Versicherten
niemals ankommen
werden.
Er lag bäuchlings auf dem Teppichboden,
trug nur Boxershorts. Bunt gestreift; ein
wenig lächerlich. Ich musste ihn nicht berühren.
Er lag so still. So still. Als würde er auf etwas warten.
Ich wußte, ohne erst die Kälte ertasten zu müssen,
dass er tot war. Ich sah die Leichenflecken.
Er lag so still. So still. Die letzte Stille.
Seine Eltern hatten am Hotelempfang
angerufen; hatten versucht, ihn telefonisch
zu erreichen & sich Sorgen gemacht.
Eine Auszubildende war nach
oben geschickt worden, um das Zimmer zu
checken. Mit blutarmem Gesicht war
sie zurückgekehrt. Die erste Menschenleiche
ihres Lebens.
Er war 24 Jahre alt geworden.
Mehr Leben wurde ihm nicht zugeteilt.
Ende. Stillstand des Herzens.
Ein Kripobeamter rief die Eltern an;
ich belauschte das Gespräch. Was für
ein Scheissjob, dachte ich.
Ich fühlte mich alt &
überlebend ….. Ausgerechnet ich
war noch da; ich, der ich meine
Gesundheit mit Füßen trat.
Gerechtigkeit? Für die Natur ein
Witz, über den sie herzhaft lacht.
Die Auszubildende weinte.
Manchmal höre ich noch heute
den dumpfen Aufprall seines Körpers,
den ich nicht gehört hatte; den
vielleicht niemand gehört hatte.
In der Stille. So still. So still.
Gedämpft durch den Teppichboden.
Sie sagten, er sei schon tot gewesen,
bevor er aufschlug. Ein Herzfehler.
Immerhin: so möchte auch ich
sterben. Es wird mir
nicht gelingen;
befürchte ich.
Obgleich mein Herz fehlt
so oft.
Aber eines werde ich, sterbend,
mit ihm gemeinsam haben:
Ich habe meine Strategien, um
mit der Scheisse in mir
fertigzuwerden;
Verletzungen zu betäuben.
Diese Strategien verletzen Dich,
reißen Deine alten Wunden auf, für
deren Bewältigung Du Deine
Strategien hast, die mich
verletzen.
Ein mieser Teufelskreis,
in der Tat.
Es tut mir leid.
Wir können es
nicht ändern.
Wahr-
scheinlich.
Manchmal ist mir einfach danach Alle zu verarschen …. Dann
setze ich eine kleine Plastikspinne
in das Netz einer echten &
warte auf deren
Gesichtsausdruck.
Eine Bar in ungemütlichem Licht.
Nach dem 8. oder 9. Vodka-Martini auf
nüchternen Magen war ich in
Erfinderlaune. Ich sagte zu meiner
Bekannten:
„Siehst du den alten Typen da drüben,
im Holzfällerhemd? Das ist ein
berühmter Schriftsteller; ein berühmter schwuler Schriftsteller, kenne ich ausm
Fernsehen.“
Sie nippte an ihrem Rotwein, schaute
kurz hinüber.
Ich sagte:
„Und weißt du was; ich glaube, ich
werde zu ihm rübergehen & ihm an-
bieten, seinen Schwanz zu lutschen.
Vielleicht besorgt er mir dann einen
Verleger.“
Ich hatte ein Lächeln erwartet; aber
mich traf nur der kalte Blick der
Humorlosigkeit.
„Das würdest du tun?“ sagte sie. „Du
würdest dich prostituieren?“
Ich war nicht in der Stimmung,
einzulenken. „Na klar, tief in mir
drin bin ich eine Nutte. Ein Stricher.
Wußtest du das nicht? Und ich bin
nicht mal schwul. Aber was solls; man
muss Prioritäten setzen.“
Offensichtlich konnte ich Rotwein
in Essig verwandeln.
Da wurde mir klar, dass wir uns nicht
kannten. Vielleicht niemals ein
Wort des andern richtig verstanden
hatten.
Wenn ich einen Brief abzuschicken habe,
gehe ich nachts zum Briefkasten; ich
will nicht gesehen, nicht angesprochen
werden von Nachbarn. Ich will meine
Ruhe, Ruhe. Ruhe!
Für andere nur schemenhaft
existieren…..
Anonymität
Versteckspiel
Untergang in der Masse
Unkenntlichkeit
Schweigen. –
Das ist es, was ich brauche.
Nichts sonst.
Ehrgeiz?
Ich verstehe das Wort nicht.
Ehre …. Geiz ….
Verschwindet!
Schon in der Grundschule
schwieg ich oft, wenn die
Lehrer mich etwas fragten –
vor allem wenn ich die Antwort
wußte.
Ich schwieg nicht aus
Schüchternheit. Ich
sah keinen Sinn im Antworten.
Der Pubertätstraum der
Prominenz verschwand mit
der Pubertät.
Ich wollte nur dasitzen &
vor & für mich hinkritzeln
& -tippen. Keine
einzige Seite aus meinen
Papierbergen hätte ich jemals
in einen Briefkasten gesteckt.
(Wenig Resonanz von wenigen
Menschen war gut & genug.)
Man kennt sich nicht.
Man versteht sich nicht.
Ich trank noch einen
Martini.
„Übrigens, die Frau, die sich
dahinten unterhält, ist eine berühmte
Schriftstellerin. Ich werde ihr
anbieten, sie zu ficken. Dann kann
ich vielleicht zwischen 2
Verlagen wählen…..“
Ungemütliches Licht.
Eine Bekannte.
Eine entfernte Bekannte.
Eine Bekannte, die sich
entfernte.
Ich finde sie schön, deine
hohe Stirn
Noch schöner finde ich sie
im Glanz des Angstschweißes,
glitzernd & reflektierend.
Ich verstehe ihn,
den Schweiß der Angst;
Angst vor dem Leben,
Angst vor dem Ende &
dem Nichts.
Ich lecke ihn ab, bevor ich
ihn mit Tequila
hinwegspüle.
Bei einer 5beinigen Spinne frage ich mich immer,
was ihr unterwegs passiert sein mag. Das Leben ist hart.
Mit Verlusten ist zu rechnen. Hungrige Katzen
lauern überall. Wie ängstliche Menschen.
Wehe, man verlässt sein Netz. Aber
nicht mal dort ist man sicher.
Die Spinne geht auf 5 Beinen, und ich
bemerke ihr Hinken nicht. Sie ist schnell,
noch immer. Vielleicht haben wir etwas
gemeinsam. Vielleicht nur das Erschrecken der
anderen, vielleicht die Hässlichkeit in den
Augen der Betrachter – denn auch ich
erschrecke, wie bei dem Blick in den Spiegel.
Ich stehe bereit –
mit dem Schuh; oder mit der Flasche,
um uns zu erlösen ….
sie von ihrem reduzierten Dasein,
mich vom Schrecken & der grundlos-abgründigen
Angst.
Aber vielleicht
werde ich es mir noch
anders überlegen.
Der Nachtfalter wollte zum Mond fliegen.
Der Mond spiegelte sich in einer Pfütze.
Der Nachtfalter ertrank.
Mond & Pfütze waren schuldlos.
Und auch der Nachtfalter
konnte nichts dafür.
Ich bin nicht der Märchenprinz
aus dem Reich der Wattebausch-Poesie.
Ich wasche nicht meine Gedanken
in Unschuld (oder wie immer die Lauge
heißen mag).
Ich bürste nicht die Erde von den Worten,
die ich benutze oder mißbrauche;
egal, wo ich sie ausgegraben habe.
Sie brauchen nicht sauber zu sein,
solange sie klar sind.
Klarer
als mein Verstand
nach 13 klaren Schnäpsen
Klarer
als die rosarote Brille
der Mißverständnisse
Hier könnte eine Blogroll sein.
Wenn ich nicht so egozentrisch wäre.
Statistik
90.718 hits
"Ich wohne in meinem eignen Haus,
Hab´ niemandem nie nichts nachgemacht
Und - lachte noch jeden Meister aus,
Der nicht sich selber ausgelacht."
(Friedrich Nietzsche)
„Meine kleinen Gedichte
Kommen wie kleine Blumen mir vor,
Lauter winzige Wichte,
Aber zusammen doch ein Flor,
Und hervor
Aus dem Chor
Blicken Vergißmeinichte.“
(Friedrich Rückert)
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