Monatsarchiv: März 2022

Jetzt, dann & in Ewigkeit

Und dann wird kommen die Zeit
Da man uns beneiden kann
Um diese Gegenwart

Und beneiden wird man uns
Darum, daß wir tot sind
Und wir würden uns freuen

Tot zu sein wie wir
Uns nie unseres Lebens gefreut haben
Wenn wir es noch könnten

Also —
Was jammern wir
Es geht uns noch gut

Und wird uns noch besser gehen


Howard

I am too old & cynical & world-weary
to be interested in books of my junk —

Howard war 35 Jahre alt, als er das schrieb.
Er nannte seine Tante »Tochter«
und sich selbst »Großvater«.

Kinder hatte er nicht. Er liebte Spaghetti
und hasste moderne Architektur.
Sein Kinn war gewaltig

und die Welten in seinem Geist beängstigend.
Er hatte keinen Job,
und eigentlich wollte er auch keinen.

Er wollte nur lesen, schreiben und
es warm haben.
Kälte konnte er nicht ertragen.

Folglich schrieb er eine Geschichte
über jemanden, der nur in der Kälte existieren kann –
weil er längst tot ist.

Howard starb mit 46 Jahren,
also war er mit 35 tatsächlich alt.
Die meisten Menschen wissen nicht,

wie alt sie wirklich sind.
Howard war ein besonderer Mensch.


Alarm !

ALARM!
WIE? WAS? SIE HÖREN
NICHTS?

Je nun, dann brauche ich ja nicht zu schreien,
obwohl ich es möchte.

Vorsicht – wenn Ihnen jemand etwas in eine Körperöffnung steckt,
könnte es Ihr Leben verändern.

Zerstören.

Erinnern Sie sich? Ich konnte keine Grille mehr hören.
Ich erwähnte es einmal.

Nun habe ich ein ganzes Volk im Ohr.
Dem Facharzt sei Dank!

ZIRPZIRPZIRPZIRPZIRPZIRPZIRPZIRP
ZIRPZIRPZIRPZIRPZIRPZIRPZIRPZIRP
ZIRPZIRPZIRPZIRPZIRPZIRPZIRPZIRP
ZIRPZIRPZIRPZIRPZIRPZIRPZIRPZIRP

Und wenn Wasser fließt,
Bäume rauschen,
eine Plastiktüte leise knistert –

gibt es ALARM! FEUERALARM!
SCHRILLEN KREISCHEN PFEIFEN
im ganzen Kopf, fast könnte man denken

man hätte gar nichts darin,
da alles so

HALLT.

»Ist Ihnen das schonmal passiert«, fragte ich.
»Extrem selten«, sagte der Arzt.

Ein Glück, dass das Leben so begrenzt ist.
Da möchte man nicht noch mal 20 sein

(und so verkorkst wie damals).

Plötzlich gibt es wieder eine Zeit davor
und eine Zeit danach.

Eine Zäsur und Gedanken wie
‹Ach, hätte ich dieses Buch doch gelesen,
als es mir noch gut ging!› — obwohl

es einem vielleicht nie gut gegangen war. (Oder
eigentlich doch; man hatte es nur nicht gewusst.)

Ein neuer Orientierungspunkt in der Zeit
wie der Tod eines nahestehenden Menschen.

Und wer stünde einem näher
als der eigene Körper.

Werde ich jetzt böse, verbittert, unerträglich,
einsam, asozial? – Ach, war ich das
nicht schon immer?

Und doch –

Die Hoffnung tickt ganz leise
wie das Werk einer alten Uhr,
die eine falsche Zeit anzeigt.

Sinnlos bewegt es die Zeiger.

Nein, halte sie nicht an dein Ohr.
Selbst wenn du nichts mehr hörst.

Kannst du die Zeit noch lesen?
Es ist egal.

Herbst.

Falls du noch gehst –
gehe vorsichtig
am Laub vorbei

damit es nicht raschelt,
denn sonst gibt es


Momentaufnahme (für die Ewigkeit)

Eine Träne rinnt ihr über die linke Wange.
»Wie groß er heute war«, sagt sie.
In der Tat: zwei Mal hatte sie leicht gewürgt,
und kühles Nass war den Damm hinab gesickert.

Sie lächelt und kam
unter dem Tisch hervor. Weiß & fleckig
stand der Mond im All; er besorgt uns
die Romantik. Wie groß er heute war!

So kommt es mir
zumindest vor. Eine optische Täuschung,
die etwas mit Nähe zu tun hat, glaube ich.
Ein Nachtfalter hat sich an die Scheibe geheftet

im Schein der alten Lampe mit dem grünen Schirm.
Ein leiser Wind bewegte die Zweigsilhouetten,
und der Tag gleitet unausweichlich in die Vergangenheit.
Einen Moment noch

blieb er uns gegenwärtig. Der Moment —
wie groß er heute ist!
Er berührt die Zukunft — und reicht vielleicht
noch weiter. Wir werden

es erlebt haben.


Tod in der Lebendfalle

Man wollte human sein
Die Maus in einer Lebendfalle fangen
Die Falle stand auf der Terrasse

Nachts trippelte es in den Wänden
Erster Tag: nichts
Zweiter Tag: nichts

Schon dachte man nicht mehr daran
Kümmerte sich um anderes
Bis

Tod in der Lebendfalle
So könnte meine Autobiografie heißen
Zwei Stücke Schokolade

Hatte sie gefuttert, ratzeputz
Kein Wasser, wer denkt schon an Wasser
Elender langsamer Tod

Kein erlösender Bügel im Genick
Tot, und als Symbol verwurstet
In einem schlechten Text

Die ganze Falle vollgeschissen


Still Leben

Die Jahrzehnte, die ich vor mir gehabt hatte
Liegen hinter mir
Der Sinn, den ich nicht gesucht habe
Hätte mich nicht finden können

Erinnerungen sind Schatten auf einem Spiegel
Wer hineinschaut, sieht nichts als Zweifel
Niemand weiß, wo ich bin
Und ich will es nicht wissen

Das Ende bewegt sich nicht auf mich zu
Und ich stehe still
So kommen wir uns näher
Wenn wir uns treffen

Ist es der Abschied