Sie lag auf dem Kanapee.
Das Prachtstück. Nackt & bloß.
Bäuchlings, die Kniee gewinkelt; das
Blondhaar pferdegeschweift.
Eine warme Nacht, von antiken Lampen erleuchtet.
»Lu«, sagte er. Der Ohrensessel schützte ihn.
»Hm?«
»Hast du jemals in der Badewanne Flossen getragen?«
»Ja«, sagte sie, »als kleines Mädchen. Du nicht?«
»Doch«, sagte er, »ich habe mir sogar
eine Kaffeedose auf den Rücken geschnallt, um
unter Wasser atmen zu können. Die Dose war
mit einem Schlauch verbunden, und den habe ich
mir in den Mund gesteckt.«
»Und du hast es überlebt, wie ich sehe. Ein Glück.«
»Findest du?«
»Sag nicht sowas.«
»Schon gut. – Hattest du eigentlich eine schöne Kindheit?«
»Nein«, sagte sie. »Du?«
»Ja«, sagte er, »aber das wurde mir erst bewußt,
als sie vorbei war.«
Wo treffen sich Blicke? In der Mitte? Diesseits oder jenseits?
Oder in den Köpfen?
»Wie kommst du auf die Flossen?«
»Weiß nicht. – Vielleicht weil du da so liegst.«
Sie lächelte. »Willst du dich nicht auch ausziehen.«
»Noch nicht«, sagte er, »ich will das Bild nicht zerstören.«
Sie verschränkte ihre Hände unterm Kinn. Blasse Hände. »Und –
was machen wir dann?« Sie schlenkerte mit den Füßen.
Auch in dem großen, alten Spiegel, der am anderen Ende
des Raumes stand; alles darin bekam einen Stich ins Türkise.
»Die Halbwelten in Schwingung versetzen.«
»Au ja« sagte sie.
Er stand auf und ging zu ihr. Sie streckte die Beine.
Einhändiger Applaus. Zitterndes Gewebe.
Und dann weinte sie.
»Was ist?« sagte er.
»Zu blöd«, sagte sie, »da wurde wohl eine Erinnerung ausgelöst.
Ist gleich wieder vorbei.«
»Tut mir leid.«
»Nicht schlimm. Und nicht deine Schuld. Manche
Erinnerungen sind so überflüssig. Und die schönen
sind bei mir oftmals verschwommen.«
Sie rückte ein Stück zur Seite, und er legte sich neben sie
auf den Rücken. Nur wenige Tropfen,
die er wegzuwischen hatte. Das schmale Gesicht
reflektierte jeden Schein. »Stell dir vor«, sagte sie,
»jemand würde uns so sehen, uns beobachten, uns zuhören -
was würde der denken?«
»Was für eine Vorstellung. Gut, daß das unmöglich ist.
Uns kann doch niemand begreifen.«
Sie lachte, kurz und hell, mit schimmernden Zähnchen.
»Aber wir uns«, sagte sie - »komm, begreif mich.«
Fließende Bewegungen gingen ineinander über;
sie gingen ineinander über. Es gab
nicht viele freie Flächen auf dem Kanapee,
aber mehr und mehr wurden sie mehr.
Schlagwort-Archive: Tod
Flossen
Vorhang
Ein letzter Auftritt wird versucht —
Da hackt der Schmerz in die Achillessehne!
Die Bühne zu hart, der Schritt zu forsch,
der Körper zu alt.
Wieder nichts.
Und es ist ja auch richtig:
mit 60 hat man lange genug gelebt.
Wie erbärmlich sich alle ans Leben klammern!
Immer noch ne Wiederholung des Bekannten;
oder dessen Abklatsch, mieser als das Original.
Haben die alle kein Gedächtnis?
Zu viel Eiweiß im Gehirn?
Oder erscheint ihnen durch die schwindenden Sinne
Alles ganz neu?
80, 90, 100 —
Der Traum von der Unsterblichkeit. Ein Alb!
Tja leider, bei mir klemmt der Vorhang auch.
Seit 2 Jahren will er sich nicht schließen.
Man muss warten. Und versuchen,
das geliebte Wesen (das einem heldengleich
zur morschen Seite steht) nicht gar zu sehr zu nerven.
Bleibt man, tut es weh – geht man, tut es weh.
Nicht sein. Ganz vorsichtig von den Brettern humpeln,
von den Brettern, die
nicht – so – viel –
bedeuten.
P.S. Ich mag keinen Besuch.
An mein Grab soll auch keiner kommen.
Reformationstag
[Auf dem Lokus blätterte ich
in einem alten Video-Katalog
von Beate Uhse. Einer der Pornos hieß:
Heißer als Lava
Was mir dazu augenblicklich einfiel –
je nun, Folgendes.]
▪️▪️▪️▪️▪️▪️
🎶 Heißer als Lava
Ist ihr Kadaver 🎶
Wenn ich übern Friedhof schleiche
Freu ich mich auf ihre Leiche
Mit dem Spaten in den Händen
Zuckt es schon in meinen Lenden
An ihrem Grabe muss ich graben
Um mich an ihrem Leib zu laben
Ich klopfe an womit auch immer
In silberblassem Mondenschimmer
Sie liegt so schön in ihrem Sarg
Sie liegt so still wie ich es mag
Ganz feucht ist sie und weich
Ich komme, Schatz, ich komme gleich
Du riechst so gut und schweigst so schön
Wir wollen gleich nach Hause gehn
Da kuscheln wir und schlafen lange
Ich küsse deine dunkle Wange
Ich streichle zärtlich deine Waden
Liebkose lüstern deine Maden
Immer will ich bei dir liegen
Rotten stinken Würmer kriegen
Natur sind wir für lange Zeit
Ein kleiner Teil von Ewigkeit
Und wenn es wohl auch seltsam klingt
Ich liebe was aus uns entspringt
Herbst
Ich würde
Mich an einem Baum nur
Im Herbst aufhängen
Ich wette
Zwischen bunten Blättern
Würgte meine Leiche recht apart
Beschwingt durch Stürme
Bewegte ich mich
Dann mehr
Als im Leben
Wer im September geboren wurde
Weiß Bescheid
Wer raschelt da?
Wer pendelt da?
Wer schaukelt da?
Verfärbtes Laub
Verfärbte Fratze
Über der Hanfkrawatte
Wird gegrinst
Der Faltenwurf der Spiegel
Die Spiegel werfen Falten Egal wie jung man auf die Fläche blickt Alles verkehrt Und der Geist unsichtbar Erkenne dich selbst Wie du nicht bist Stumm & geruchlos im Glas Eingeweckt und doch verfaulend Tiefe nur vorgetäuscht Leben als optisches Phänomen Was man da sieht Soll ein Mensch sein? Sein sein? Silbrige Gaukelei Geht vorbei, geh vorbei Fabrikat aus Splittern Ein Ganzes wirst du nie Lass dich fallen Wirf dich hin Wie der Spiegel die Falten Wie die Schwerkraft die Alten Täusche vor geh zurück Schmeiss noch einen letzten Blick Auf Alles Was nicht du ist Auf Alles Was du nicht bist Spieglein Spieglein Märchentand Plisseevisage Stundensand Die Spiegel werfen Falten Sie solln mein Bild behalten
Phazit
Im Sitze meines Lebens
(was bei Anderen im Laufe heißt)
gemütelte ich häufig auf dem Sopha mit p-h
und Büchern in den Tellern meiner Hände
Mit Blätterfingern fuhr ich durch das Laub
der Bände – ganz fremd wurde mir da zufurchte;
fremd der Waren Welt mit ihren Würglichkeiten
und ihrer Enge, die außerhalb des Geistes liegt
Im Rascheln der Romane war ich zu Hause
im Rauschen der Gedichte unterwegs
Der stumme Besucher in den Winkeln
der Biographien: das war ich
Reich war ich in meinen Reichen
Auf den Brettern, die Regal bedeuten
Traf nie einen meinesgleichen
Mischte mich nicht unter Meuten
Was zur Neige geht, ist nicht mein Leben
Eine Welt nähert sich dem Ende
Was Gedanken leise weben
Fällt am Schluß durch offne Hände
Jetzt, dann & in Ewigkeit
Und dann wird kommen die Zeit
Da man uns beneiden kann
Um diese Gegenwart
Und beneiden wird man uns
Darum, daß wir tot sind
Und wir würden uns freuen
Tot zu sein wie wir
Uns nie unseres Lebens gefreut haben
Wenn wir es noch könnten
Also —
Was jammern wir
Es geht uns noch gut
Und wird uns noch besser gehen
Alarm !
ALARM!
WIE? WAS? SIE HÖREN
NICHTS?
Je nun, dann brauche ich ja nicht zu schreien,
obwohl ich es möchte.
Vorsicht – wenn Ihnen jemand etwas in eine Körperöffnung steckt,
könnte es Ihr Leben verändern.
Zerstören.
Erinnern Sie sich? Ich konnte keine Grille mehr hören.
Ich erwähnte es einmal.
Nun habe ich ein ganzes Volk im Ohr.
Dem Facharzt sei Dank!
ZIRPZIRPZIRPZIRPZIRPZIRPZIRPZIRP
ZIRPZIRPZIRPZIRPZIRPZIRPZIRPZIRP
ZIRPZIRPZIRPZIRPZIRPZIRPZIRPZIRP
ZIRPZIRPZIRPZIRPZIRPZIRPZIRPZIRP
Und wenn Wasser fließt,
Bäume rauschen,
eine Plastiktüte leise knistert –
gibt es ALARM! FEUERALARM!
SCHRILLEN KREISCHEN PFEIFEN
im ganzen Kopf, fast könnte man denken
man hätte gar nichts darin,
da alles so
HALLT.
»Ist Ihnen das schonmal passiert«, fragte ich.
»Extrem selten«, sagte der Arzt.
Ein Glück, dass das Leben so begrenzt ist.
Da möchte man nicht noch mal 20 sein
(und so verkorkst wie damals).
Plötzlich gibt es wieder eine Zeit davor
und eine Zeit danach.
Eine Zäsur und Gedanken wie
‹Ach, hätte ich dieses Buch doch gelesen,
als es mir noch gut ging!› — obwohl
es einem vielleicht nie gut gegangen war. (Oder
eigentlich doch; man hatte es nur nicht gewusst.)
Ein neuer Orientierungspunkt in der Zeit
wie der Tod eines nahestehenden Menschen.
Und wer stünde einem näher
als der eigene Körper.
Werde ich jetzt böse, verbittert, unerträglich,
einsam, asozial? – Ach, war ich das
nicht schon immer?
Und doch –
Die Hoffnung tickt ganz leise
wie das Werk einer alten Uhr,
die eine falsche Zeit anzeigt.
Sinnlos bewegt es die Zeiger.
Nein, halte sie nicht an dein Ohr.
Selbst wenn du nichts mehr hörst.
Kannst du die Zeit noch lesen?
Es ist egal.
Herbst.
Falls du noch gehst –
gehe vorsichtig
am Laub vorbei
damit es nicht raschelt,
denn sonst gibt es
Tod in der Lebendfalle
Man wollte human sein
Die Maus in einer Lebendfalle fangen
Die Falle stand auf der Terrasse
Nachts trippelte es in den Wänden
Erster Tag: nichts
Zweiter Tag: nichts
Schon dachte man nicht mehr daran
Kümmerte sich um anderes
Bis
Tod in der Lebendfalle
So könnte meine Autobiografie heißen
Zwei Stücke Schokolade
Hatte sie gefuttert, ratzeputz
Kein Wasser, wer denkt schon an Wasser
Elender langsamer Tod
Kein erlösender Bügel im Genick
Tot, und als Symbol verwurstet
In einem schlechten Text
Die ganze Falle vollgeschissen
Unbegreiflich
Immer leichter fühle ich mich,
und irgendwann werde ich abheben,
wenn keine Erinnerungen mich mehr am Boden halten.
Die letzten Bilder, Worte, Filme
in den Köpfen derer, die mich kannten,
werden verschwunden sein.
Das ist doch Unsinn.
Sie können nicht Alle überleben,
die Sie kannten. ICH kenne Sie,
und Sie sind so viel älter als ich.
Niemand lebt mehr,
der mich als Kind gesehen hat.
Also muss ich mir selber glauben,
dass ich ein Kind gewesen bin;
niemand kann es bezeugen.
Das können Sie nicht wissen.
Und außerdem: gibt es keine Fotos?
Ach Gott, wollen wir uns auf dieses Niveau begeben?
Fotos! – Hatten Sie nie diese Gedanken?:
Es gibt eine Zeit, da ist man überall.
Gespiegelt, erinnert, gesehen, gehört,
vervielfältigt. All das
vergeht. Stirbt. Am Ende
existiert man nur noch
in sich selbst.
Ohne Verbindungen.
Ich wusste nicht,
dass Ihnen DIE ANDEREN so wichtig sind.
Ich rede doch nur von mir.
Das ist mir auch schon aufgefallen.
Ich bin eine Geistererscheinung
in den Anderen. Wenn die Anderen sterben,
bleibt nur das Greifbare – und das Greifbare
ist so gut, ist so schlecht wie Nichts.
Sind Sie lieber eine Erscheinung als Sie selbst?
Hören Sie auf Fragen zu stellen, sonst
muss ich alles bezweifeln, was ich sage.
Sie denken nur an diejenigen,
die Sie auch kennen oder kannten, an diejenigen,
die Sie selber wahrgenommen haben.
Vielleicht sind Sie einmal an einem Genie vorbeigegangen,
dem sich Ihr Bild eingebrannt hat. Vielleicht auch
gibt es Sie in einem Buch, und Sie wissen es nicht.
Sie wollen mich trösten. Als wäre ich
nicht ganz bei Trost. Das ist nett,
aber sinnlos.
Der Postbote kennt Ihren Namen.
Ist das mein Name?
Er wurde mir gegeben.
Vielleicht gehörte er jemand anderem.
Es geht Uns Allen gleich.
Von außen betrachtet,
aber da bin ich nicht.
Vielleicht werden Sie irgendwann da sein.
Ich bliebe lieber hier.
Aber
Bitte lassen Sie mich
hier
bleiben!
Gefällt es Ihnen denn so gut hier?
Das wusste ich nicht.
Nein.
Was denken Sie?
Nichts Nichts Nichts.
Ich betrachte nur
die Parallelen auf dem Fußboden.
Das sind bloß Schatten.
Meinen Sie,
das wüsste ich nicht?
Die sind das Schönste
an der Abendsonne.
Möchten Sie spazierengehen?
Nicht in dieser Welt.
Lassen Sie mich
schlafen.
Todlos
Wenn ich mich todlos im Grabe herumdrehe,
wie ich mich schlaflos hin&herwälzte im Leben,
dann – weil mich hier wie dort
zu Vieles noch beschäftigt.
In meinem Bett gab’s keine Zeitbezüge,
und dass ein Sarg nicht ewig hält,
ist auch nicht in Ordnung.
Der Tag ist noch nicht abgetan,
das Leben noch nicht erledigt.
Wie soll man da denn abgeschaltet
werden können?
Die endgültige Entspannung
gibt’s nicht unter Strom.
Ein Blitz fährt in die Erde,
meine Hand schießt draus hervor;
es ist kein Abwinken, dass
die Passanten erschreckt.
Immer wollte ich schlafen,
wenn ich es nicht konnte.
Und jetzt? Das möchte man
gar nicht zu Ende denken.
Zeitbogen
All diese Tode
die die Toten nicht mehr erleben
All diese Lebenden
die in der Welt der Toten noch lebten
und jetzt nicht mehr da sind
so wie jene nicht mehr hier sind
Gut dass du tot bist
So hast du ihren Tod nicht mehr erlebt
Gut dass sie tot ist
So wird sie meinen Tod nicht mehr erleben
Bewahre die Welt
in der du lebtest
Dann bleiben alle die fort sind dort
Für einen Augenblick nur
möchte ich in eine vergangene Welt treten
und mich wundern
»Ach! Du hier? Wie schön.
Wo ich herkomme, kennst du niemanden.
Nur ich erinnere mich an dich.«
»Du lügst doch.«
Ja, vielleicht. Ich möchte lügen,
dass die Zeit sich biegt.
In ihrem Bogen wandeln
Im Wandel der Zeit eine Pause einlegen
Für einen Augenblick nur
Wundern
Und alle bleiben lassen
Wo sie waren
als sie mich an sich erinnerten
Das Tagebuch
Ich versenkte mich
in das Tagebuch eines Verstorbenen.
Saß mit ihm am Tisch, lauschte
seinen Gedanken, sah
ihm beim Baden zu,
traf die Menschen, die er kannte,
ertrug seine Krankheiten,
ging mit ihm spazieren.
Dann verließ ich das Haus,
um allein zu gehen.
Schon bald bemerkte ich, daß
niemand mich sah.
Niemand mich sehen konnte,
niemand mir auswich.
Ich war es, der zur Seite treten musste,
sonst wären die Menschen
durch mich hindurch
gegangen wie uninteressante Gespräche.
Wenn niemand dich sieht, bist du
dort wo du sein solltest, dachte ich.
Wo immer du bist.
Ich kehrte zurück
zu meinen Regalen. Zurück
zu den vergangenen Tagen des Toten.
Dort ist das Leben.
Ruhig, ganz ruhig
Als ich geboren wurde, waren alle schon tot.
Alle, die tot sein durften, weil sie gestorben waren,
bevor ich geboren wurde. Vielleicht waren sie auch
immer schon tot gewesen. Wie kann es sein,
dass diejenigen sterben, die zu meiner Zeit lebten,
und an die ich mich erinnere? Da ist etwas
falsch. Grundlegend falsch. Der Mensch auf dem Foto
soll nicht mehr existieren? Wie kann das sein?
Nur noch vergrabener Dreck? Für immer
verschwunden. Stimmlos. Atemlos.
Er hatte doch so jung ausgesehen,
bevor er alt wurde – wie ist das möglich?
Ich habe noch seine Stimme im Ohr.
Neben all den anderen Stimmen.
Ruhig, ganz ruhig.
Ich BIN ruhig. Nur sie sind es nicht.
Auf diesem Foto packt er seinen Koffer.
Er will verreisen. Dann kann er doch nicht tot sein.
Man kann nicht verreisen, wenn man tot ist. Oder?
Er ist noch nicht da gewesen, wo er hin wollte,
also muss er doch da sein. Der Koffer ist ja auch
noch gar nicht geschlossen.
Wo wollte er denn hin?
Ich weiß es nicht.
Dann war er vielleicht doch schon da.
Wieso DANN ? Was hat das mit mir zu tun?
Nur weil ich etwas nicht weiß, soll es stattgefunden haben?
Wo ist denn da die Logik?
Wie tot er ist, seit er nicht mehr lebt.
Man kann nicht so tot sein;
also müsste man doch leben.
Ruhig, ganz ruhig. Mit manchem muss man sich abfinden.
Abfinden! Das ist auch so ein Wort.
Die Abfindung. Mir hat noch keiner etwas dafür gegeben,
dass einer nicht mehr da ist. Und wenn, würde ich es
nicht annehmen. Ich würde es nicht haben wollen.
Hoffentlich hat er sein Nackenkissen nicht vergessen.
Ich sehe es gar nicht in dem Koffer. Er bekommt
doch so schnell Nackenschmerzen. Einmal
konnte er kaum aufstehen vor lauter Schmerz.
Aber das ist lange her.
Er ist noch oft aufgestanden danach.
Wahrscheinlich steht er morgen auch wieder auf.
Wir können ja gar nicht anders. Wir müssen
aufstehen. Weil wir nicht immer liegenbleiben können.
So ist es doch. Oder?
Ja.
Wenn er nur nicht seinen Zug verpasst.
Er hält so lange inne. Er sollte endlich
weiter packen. Hoffentlich ist er nicht zu erschöpft.
Dann müsste er sich ausruhen. Vielleicht
wartet der Zug ja auch auf ihn. Er hat so oft
den Zug genommen, dass der auch mal auf ihn
warten könnte. Er hat so oft den Zug genommen,
dass ich manchmal dachte, ohne ihn kann
ein Zug gar nicht fahren. Er hatte ja
Flugangst. Er konnte nicht fliegen. Er meinte,
er würde abstürzen. Dabei sind doch immer nur
Flugzeuge abgestürzt, in denen er NICHT war.
Wenn er sich das klargemacht hätte, hätte er
fliegen können. Aber Logik war seine
schwache Seite. Da konnte man reden,
wie man wollte. Er verstand einen einfach
nicht. Na ja. Egal.
Haben Sie nur dieses eine Foto?
Sehen Sie bloß – wie ruhig er atmet. Man sieht es
kaum. Nur wenn man ganz genau hinschaut, kann man es
sehen. Man muss immer ganz genau hinschauen.
Sonst verpasst man, worauf es ankommt.
Wenn man natürlich nicht weiß, worauf es ankommt,
kann man es auch nicht sehen; da kann man
schauen, so lange man will, man sieht es nicht.
Das stimmt.
Als ich geboren wurde, gab es nur Lebendiges
um mich herum. Das war schön.
Das ist doch immer noch so.
Oder sehen Sie die Toten?
Woher soll ich das wissen?
Ich weiß es nicht.
Vielleicht sehe ich sie.
Sind Sie tot?
Nein. Ruhig, ganz ruhig.
Ich BIN ruhig. So wie er.
Ich will nicht unruhiger sein
als er. Es ist schön,
wie ruhig er ist.
Ja.
Danke. Es war nett mit Ihnen zu plaudern,
aber ich muss jetzt auch meinen Koffer packen,
sonst verpassen wir doch noch den Zug.
Der wartet nämlich nicht auf uns.
Sie haben recht.
Ich werde Sie begleiten.
Nicht nur ein Name
Tod, Zeit, Vergänglichkeit
Haben keine Macht
Ohne das Vergessen
Manchmal kehre ich zurück
Aus der Gegenwart und
Suche mich in der Erinnerung
Mit dem Vertrauten meiner Jugend
Alte Geschichten bewohnend
Nähere ich mich den Anfängen
Nicht zum letzen Mal
Die Differenz
Wie oft ich schon gestorben bin
in ihren Träumen, weiß ich nicht.
Auch nicht woran & wie.
Ich frage nicht,
wenn meine Schulter nass wird
und sie mich so sehr drückt,
als wolle sie das Leben
in mir festhalten
& versiegeln
für immer.
Ich mag mein Alter,
ich mag ihr Alter –
und die Differenz dazwischen.
Aber die Wahrscheinlichkeit,
von der sie träumt, würde ich
ihr gern ersparen.
»Ich kann hier nicht bleiben – «
sagt sie. » – dann.« Mehr
sagt sie nicht.
Ich versuche, mir vorzustellen,
wie es wäre,
hier ohne mich zu leben.
Ich kann es nicht.
Ich bliebe gerne da,
wenn ihre Träume wahr werden.
Unsichtbar, nur um zu sehen,
dass es ihr gut geht. Doch
auch das kann ich nicht.
So lange
halten wir uns fest –
als hätten wir die Hoffnung,
dass so – und nur so –
niemand zurückbleibt.
Es ist wohl nicht zu ändern
Man könnte auch mal beachtet
werden, solange man da ist.
Doch erst wenn man geht,
kommt die Aufmerksamkeit.
Wo ist er hin,
warum ist sie nicht hier?
Man hatte sich gewöhnt
& wird sich wieder gewöhnen.
Es ist wohl traurig,
aber nur für kurze Zeit
zu ändern.
Teilweise witzig
Jemand fragte: »Wie alt sind Sie?«
»Etwa 30«, sagte ich.
Verdutzung, Zweifel, Mitleid, Hohn –
ein bissl von Allem im fremden Gesicht.
»Ich weiß, ich sehe älter aus.«
»Äh – ja – und genau wissen Sie’s nicht?«
»Mir ist es genau genug. Ich vermute,
Sie hätten mich auf 60 geschätzt?«
»Nicht ganz, vielleicht. Ich weiß,
es gibt da so Krankheiten…..«
»Genau!« erwiderte ich,
»Kopfschmerzen zum Beispiel.«
Ihm quoll das Questionmark aus den Augen;
sollte ich ihn unwissend sterben lassen?
Ich sagte: »Es ist doch ganz
einfach. Nur die Tage
ohne Kopfschmerz zählen.
Ich hab’s mal grob überschlagen.«
»Oh, ich verstehe.«
»Bloß nicht zu sehr mitfühlen, sonst
müssen Sie ne Tablette einnehmen.«
Er grinste.
Ich schaute ins Apothekenfenster.
Da stand mein Spiegelbild zwischen Medikamenten.
Wie ein Geist. Ich wusste es ja eigentlich:
Alle Tage zählen gleich.
Aber dass man das so sehen muss!
Es sollte Spiegel geben,
in denen der Schmerz zurückbleibt
wenn man daran vorübergeht.
Ach, was soll’s!
Nietzsche hatte auch oft Kopfschmerzen,
und es gibt hübsche Apothekerinnen.
»Ich muss gehen«, sagte ich.
»Müssen wir das nicht alle?« sprach er.
Teilweise weise, teilweise witzig.
Wüste
Die feuchte Alkoholikerin zog ein
beim trockenen Alkoholiker
Sex hatte die Türen geöffnet
Es dauerte
bis sie trocken wurde
Es gab Rückfälle
Aber dann
wurde auch sie trocken
Hallelujah! trocken!
trocken trocken
So verdammt trocken
Die Frustration zog ein
Die Türen blieben geschlossen
Die Wüste lebt!
Da fing der trockene Alkoholiker an
zu saufen
Die vielen Jahre der Klarheit
Dahin! Die Flasche
war so feucht
so feucht
so wunderbar feucht!
Wie ein frisches Grab im Regen
Wie zwei Körper vor dem Zerfall
Striche Streifen Schleier
Nu blas schon
die Kerzen
aus
Ich sehe
Striche Streifen Schleier
in Flammen
Durchgestrichene Lampen
als hätte ich etwas
gegen Licht
Und nachts auf der Autobahn
nähern sich mir
die leuchtenden Kreuze
Memento mori
Ausgerechnet
ich der ich
schon als Kind
jede Kunstfunzel jedes Petroleumlämpchen
der unsubtilen Lichtverschütterin am Himmel
vorzog
kann nun der freien Wattwahl mich nicht mehr erfreuen
Schraffierte Welt
»Also, wenn wir
Ihren Nachstar jetzt schon lasern, könnte es passieren,
dass die Linse nach hinten ins Auge fällt.
Dann hätten wir ein Problem.«
Wir? Ich
muss jedesmal lachen, wenn ich daran denke.
Halt doch mal
das Auge still, du klapperst so laut!
Und Glaskörper klingt doch auch
irgendwie erotisch…..
Da sehe ich
ein Ballett durchsichtiger Nackttänzerinnen
schillernde Prismenpopos
buntgebrochenes Licht aus diaphanen Schenkeln
mundgeblasene Brüste
ich schweife
ab
Wo waren wir?
Ach ja – nu blas schon
die entzündeten Dochte
Wackelnde Flammen
Striche Streifen Schleier
Rauch geformt
wie eine französische Wolke
Und dann bleibt nur noch der Mond
der durchgestrichene
Und am Ende
ergreife ich
den Schweif in meinem Auge
& klettere hinauf
zu ihm
zu ihm
Mare Tranquillitatis
Oh, Herbst des Lebens!
Oh, Herbst des Lebens
Warmes Licht der Dämmerung…..
Ja, kein Wunder!
Die Linse des Menschen vergilbt!
Pissgelb wird das Teil im Alter; und
wenn jeder seine eigene Sonne im Auge hat –
was ist dann noch Realität?
Ich kann mich nicht erinnern
an den kalten Blick der Jugend.
Die Täuschung der Gefühle.
Das trübe Ding
wurde mir herausgeschnitten,
(aus anderen Gründen, gewiß)
nun seh ich wieder klar.
Was ist denn das für’n Dreck
da in der Ecke?
Kunst im Auge
wird zur Wissenschaft
wie die Spinne zur Wollmaus.
Mit Blaulicht Richtung Tod,
oder wählen Sie eine Linse mit Filter.
Andrerseits: für mich ist kein Himmel
mehr grau!
Was ist nochmal Realität?
Im Kopf hab ich sie nicht.
Der Arzt, der mit dem Skalpell
auf mich zu kommt
und spricht: »Hören Sie’s auch?
Jemand ruft ganz leise:
›Ich bin ein Star,
holt mich hier raus!‹«
Hahaha, ein Witz,
den hoffentlich bald niemand mehr verstehen wird.
Ich bin sediert,
ein Glück! Legt ein Tuch über mein Gesicht,
steckt mir einen Schlauch in die Nase,
und dann los! Mt 5,29
Und schon sitzen wir am runden Tisch
beim Kaffee: alte Piraten,
die alles verschütten.
Jeder seine eigene Schatzinsel.
Pj. Jrtndz frd Örnrmd
Est,rd Öovjz frt F#,,rtimh—–
In der Vergangenheit werden wir
nie mehr leben
In der Zukunft waren wir
noch nie
Aber auch was noch nicht da ist
kann immer kleiner werden
wie ein nasser Fleck, der verdunstet
Verschüttete Zukunft
Schnell noch ein Blick
aus dem Fenster – – –
Bevor es zu spät
ist – wird – sein könnte –
Es sieht nach Schnee
Aus
Bong Bong
Es war keine Kindheit
wenn dir nie ein Bonbon im Halse steckenblieb
& du dachtest ›Jetzt muss ich
sterben!‹
Aber dann
kam jemand & hielt dich
kopfüber in den Armen,
und du hörtest das Klickern
auf dem Fußboden
wie eine Murmel
Ein paar Tage später
bist du 59 Jahre alt
& erinnerst dich an
dieses Geräusch & das Gefühl
in der Kehle
Du hast noch fast alle
eigenen Zähne, aber klar –
sterben musst du trotzdem.
Doch vielleicht
schon wieder
nicht jetzt.
Über Macht der Worte
Der Born raucht
Ziemlich viel in seinen Gedichten
Und mit
Nicht mal 42 Jahren starb er
An
Lungenkrebs
Aus
Der Born
Hätte nicht rauchen sollen
In seinen Gedichten.
Nachwelt
nach
welt möchte ich
sein für die vergessenen
die toten vergessen
von den leben
den die nach
geboren sind
& ihnen die unsterblichkeit verweigern
trost will ich
sein für die toten
& für jene die noch vor mir sterben
werden
Ein Buch, vorbei
»Ich weiß,
dass ich das Buch gelesen habe,
aber ich erinnere mich nicht
an seinen Inhalt.
Ich weiß,
wann, wo & unter welchen Umständen
ich es gelesen habe. Aber
ich erinnere mich nicht
an seinen Inhalt.
Ich weiß,
worum es geht, aber ich weiß nicht,
was passiert.
Es ist alles
zu lange her.«
»Wovon redest du?«
»Er kann dich nicht hören.
Er phantasiert.«
»Sicher?«
»Sicher. Es geht zu Ende
mit ihm.«
»Sicher, ich weiß,
dass ich es gelesen habe.
Aber was für einen Sinn hatte es,
das Buch zu lesen, wenn ich
mich an seinen Inhalt
nicht erinnern kann?«
»Du kannst es
wiederlesen.
Hörst du?«
»Er kann
dich nicht hören.«
»Ich könnte
es wiederlesen.«
»Siehst du? Er hat
mich gehört.«
»Aber nein,
das geht ja nicht.
Ich kann es nicht wiederlesen.
Es ist zu spät
dazu.«
»Hörst du? Wenn
du es gelesen hast,
wurde das Buch gelesen
von dir. Das
ist der Sinn. Du musst
dich nicht erinnern.«
»Ich erinnere mich,
dass ich es gelesen habe, aber
gerade jetzt weiß ich
nicht mal mehr,
ob ich es gut fand.
Ich -«
»Hörst du?«
»Lass ihn in Ruhe.
Merkst du nicht? – er
faselt nur noch.«
»Was für ein Buch
meint er überhaupt?«
»Keine Ahnung. Lass
ihn. Es ist gleich
vorbei.«
»Vorbei.«
»Vorbei?
Ja. — Vorbei.«
Das Gruseligste kommt zum Schluss
Ich kann ja kaum noch
riechen (beinahe hätte ich er
läuternd hinzugefügt: meine Nebenhöhlen sind
im Arsch – aber ein derartiges Wunder bin ich
denn doch nicht) – also
ich kann kaum noch riechen,
aber stinken kann ich noch.
Manches bleibt einem – immer
hin. Wird stärker so
gar. Mit den Jahren. Immer
hin. Mit den Augen aller
dings sieht es nicht
so gut
aus. Mehr
oder weniger sehe ich
weniger & mehr.
Lichter, die nicht da sind,
Gesichter, die verschwimmen.
Tanz der 7 Schleier in schillerndem
Regen. Schauderliche Verdoppelung, Nebelwolken & Heiligen
scheine. Kaum wieder
zu erkennen, diese Welt.
Aber gesehen werden kann ich
noch. Doller
Trost! Ein Fest für die Sinne
anderer. Übrigens –
was da pfeift, ist
nicht der graue Star. Vielleicht
der kleine Mann im bewaldeten Gehör
gang, das Kind, das Angst zur Melodie
macht? Kaum eine Bewegung
bleibt,
die keine Geräusche kreiert wie der seufz
ende Nacht
geist; schon jetzt
ein klipperndes, ein klapperndes Skelett.
Früh übt sich – das heißt
so früh nun auch wieder nicht.
Es ist viertel vor
Nichts. Oder später.
Also lieber nicht
das gichtige Gerippe
bewegen. Bewegung be
kommt man als Asche
noch genug.
Ich weigere mich
zu verwesen! Solange ich lebe
kann ich es allerdings nicht
verhindern. Jedoch
ich rieche nichts. Bei
nahe nichts.
Das Gruseligste aber, liebe Leichen
Gemeinde, kommt
zum Schluss – man stelle sich
vor: mir ist die Freude
ja selbst die
Lust noch immer nicht
Vergangenheit.
Blau
Man sollte das Gelb
Aus ihren Nadeln
& Blättern ziehen
Dann ständen die Bäume
Blau in der Gegend herum
Das wäre verstörend
& schön
Schön verstörend
Verstörend schön
Und Mondrian könnte wieder
Aus irgendeinem Fenster schauen
Als wäre er nicht …
Wäre er nicht längst
Tot.
Fehlschluss
Auf seinem Grab
Stein hatte man
Sich verschrieben, ach
Wäre es doch nicht bemerkt worden!
Dann würde er vielleicht
Noch leben, denn er wäre ja
Nicht der, der auf dem Grabstein stand.
Er unterläge einem falschen
Namen. Schall & Rauch
In Stein gemeißelt, am Anfang
War das Wort, am Ende
Aber auch. Leben. Ein Fehler.
Jemand
Hatte sich verschrieben
Dem Leben.
Bis zum Schluss.
Der abgenutzte Falter
Ja, dachte er, jetzt
ist es soweit – man könnte anfangen
in abgenutzten Kitsch-Metaphern
zu denken ›Liebe ist
ein zarter Falter …
Gib auf ihn acht …
Beschütze ihn …
Sonst -‹
– – Verdammt, nein, die Wirklichkeit
Ohne Metaphern, aber auch
gleichsam abgenutzt – –
Er hatte im Wohnzimmer gesessen
& gelesen. Es war Nacht.
Ein Falter flatterte um eine Lampe;
das leise Geräusch
der rasch blätternden Flügel, tickende
Stöße gegen den grün leuchtenden Schirm…..
Flug, Landung, Stille; der Mann
stand auf & machte ein Foto
Der Falter hat ein Gesicht,
dachte er.
Dann las er den Roman
zu Ende, während die Frau
im Schlafzimmer schlief.
Tagsüber war der Falter
nirgends zu sehen. Allerdings
suchte der Mann ihn auch nicht;
er hatte ihn
vergessen.
In der nächsten Nacht
las der Mann einen anderen Roman.
Allein im Wohnzimmer.
Plötzlich hört er
wie die Schlafzimmertür geöffnet wird.
Die Frau geht
in die Küche.
Er blättert um, bewegt die Worte, und
die Frau kehrt zurück
ins Schlafzimmer. Tür zu.
Er liest
eine halbe Seite, dann:
ein Schlag! Fast zart
& vertraut.
Sie wird doch nicht…..
Er legt ein Zeichen
ins Buch & geht
in die Küche – –
Die Fliegenklatsche ist fort!
Beinahe schleicht er
durch den Flur, bleibt stehen, fragt durch die geschlossene Tür:
»Alles gut?«
»Nur ein Falter«, sagt sie,
»er hat mich nicht
schlafen lassen.«
»Du hast tatsächlich -?«
Die Tür bleibt ungeöffnet.
»Was denn? Bloß eine Motte!«
Der Mann entfernte sich, setzte sich
zum Buch. Er öffnete es nicht
(hatte sie nicht vorgestern erst
gesagt: ›Ich habe es aufgegeben
unter deinen Büchern eins zu suchen,
das mir gefällt.‹?) –
er betrachtete das Foto
von gestern.
Ja, dachte er, das ist wirklich
ein Gesicht.
Verdammt!
Bios
Becketts Mutter hatte einen Esel.
Das war nicht ihr Mann.
Ihr Mann las meistens
Edgar Wallace. Er angelte
Makrelen mit seinem Sohn.
Der spielte 4händig Klavier. Aber
nicht alleine. Eine Hälfte der 4 Hände
gehörte seinem Bruder
Frank. Sam spielte gut Tennis. Aber niemals
gegen Nabokov, der auch gut spielte. Vermutlich
weil sie sich nie begegneten
spielten sie niemals
gegeneinander. Sie waren gleichzeitig
in Paris. 1927
fuhr Beckett nach Florenz. Da wurde
meine Mutter geboren. Nicht in Florenz,
sondern in Clausthal-Zellerfeld, aber
1927.
Ich öffne eine Dose
Makrelen. Schaue auf
die Uhr. Es ist 90 Jahre
später. Ich fahre
den Rechner hoch. Der Rechner
hängt sich auf. Ein Fehler
im BIOS. Vermutlich.
Steuerung
Alt
Entfernen.
Reboot. Yes. Alle
sind
tot. Die Makrelen,
Beckett & seine Verwandtschaft,
Nabokov & meine Mutter,
Edgar Wallace & der Esel.
Letzten Endes
Das letzte Gedicht
vor dem Tod
des Dichters.
Der Leser weiß es
(zumindest kann er es wissen),
mancher Dichter wird es fühlen
(vielleicht kann auch er es wissen).
Schon nicht mehr ganz da,
mit dem Geist schon
halb in der Kiste.
Noch nicht
ganz da
schon nicht
mehr hier
Es könnte das beste Gedicht sein,
es könnte das schlechteste Gedicht sein;
oder einfach
gar nichts
Besonderes.
Man weiß nicht,
welche dieser Möglichkeiten
die schlimmste Tatsache wäre.
Abgesehen vom Tod
natürlich. Wobei aller
dings der Tod
keine Möglichkeit ist –
außer für den Selbstmörder.
Ansonsten
ist er bloß eine Gewissheit.
Wahrlich nichts Besonderes.
Das letzte Gedicht
vor dem Tod
des Lesers.
Der Leser
kann es fühlen.
Der Dichter
weiß nichts.
Es sollte besser
nicht zu gut sein,
um den Abschied nicht
unnötig zu erschweren.
Lieber
nichts Besonderes.
Der letzte Dichter
vor dem Tod
des Gedichts.
Es geht
um letzte Dinge.
Zerfall der Gedanken
Zerfall der Welt
Zerfall der Gedankenwelt
Und jeder Tod ist
ein Buch, das sich selber zuschlägt,
und keine Kraft kann
es mehr öffnen.
Welche Seite war
die letzte, die man sah?
War es die letzte?
Und was stand da?
Ein Gedicht?
Unwahr
Scheinlich
Aber
möglich. Vielleicht
das letzte vom letzten
Menschen
Die Macht der Gewöhnung
Sie sagte »Wenn
du stirbst, lasse ich dich
einfach da liegen –
& lege mich
zu dir.«
»Das ist«,
sagte ich, »schön. So
romantisch. Aber irgendwann werde ich
anfangen zu stinken.«
»Das macht nichts«,
sagte sie.
Daran bin ich gewöhnt.«
Ein Toter spricht
Im Fernsehen sprach ein Toter.
Er sprach über ein Buch.
Das Buch eines anderen.
Ich wusste, er, der da redete,
war tot
als ich ihn sah, doch
er redete sehr lebendig
als er redete. Ja,
er ist tot, und das Buch lebt.
Er war begeistert davon.
Und voller Leben. Da
wurde mir klar: etwas von dem
Buch war mit ihm
gestorben.
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