Monatsarchiv: November 2016

Buñuel & die Peitsche

Aus einem Kellerfenster klatschte der Klang
einer Peitsche. Wie die Sonne
brandete & blendete, sengte & brannte…. Ich musste
an Buñuel denken, denn wir waren in einem fremden Garten.
In dem Garten stand ein Pavillon, offen
& einsehbar, in dem Pavillon
ein Bett, auf dem Bett waren
wir, nackt & verschlungen, ineinander
gesteckt, zusammengesteckt, in Bewegung,
die Bewegung, die man Sex nennt…. In einiger Entfernung
saßen fremde Menschen, manche nackt, manche
in Wäsche, die reizen sollte. Tische & Bänke
aus Holz. Die Fremden
aßen Grillgut. Einige schauten
uns zu dabei. »Hast du
ne Tablette genommen?« fragte die Geliebte
als ihr Mund wieder leer war.
»Ja«, sagte ich, »eine halbe.« (Also ein
Dreieck. So viele Eindrücke
& Ablenkungen, und man ist ja nicht mehr
der Jüngste….) Auch die Musik war
in die Jahre gekommen. Nevergreens.
Und wieder die Peitsche! Niemand
schwamm im Pool. Ich dachte: Komischer
Film – diese Realität. Die Menschen schauten
zu viele Pornos. Auch ich
hatte schon zu viele gesehen – Menschen
sowohl wie Pornos. Ein dicker Mann
biss in eine Bratwurst, als wäre sie
ein Symbol. Dabei schaute er
herüber. Charmelos. Indiskret. War dies die Bourgeoisie? Und was
hatten wir hier zu suchen? Hier,
wo es Nichts zu finden gab. »Ganz schön
surreal«, sagte sie. Das Begehren & der Neid
der Anderen streichelte meine Psyche; die geschundene,
verquere. »Ja«, sagte ich – & konnte mich nicht erinnern,
jemals etwas Ähnliches geträumt zu haben. Der
Gynäkologenstuhl im Keller war belegt gewesen. Was
schade war. Wie hässlich mir die Menschen erschienen,
aber die Blumen waren schön, und die Bienen trugen
ihre flauschigen Sträflingsanzüge. Die Gespräche
der Besonnten waren auch nur ein Summen
im Grund, der Vorder- & Hinter- zugleich
sein konnte. Alles eine Frage
der Position. (Apropos: wer den schönsten
Po besaß, war hier keine Frage!) Das Märchen
von Amor & Psyche – den Goldenen Esel
könnte ich auch mal wieder lesen. Wie kam ich
jetzt da drauf? »Wollen wir
reingehen?« fragte sie. Niemand hier war
so jung wie sie, und ich
erst recht nicht. »Ja«, sagte ich, und dann ging es vorwärts
durchs modisch rasierte Fleisch – hin
zur Treppe, die von außen in den Keller führte.
Eine ehemalige Raupe schmetterte mit bunten Flügeln
vor uns her. Drehte dann ab. Überall Symbole.
Blicke folgten uns. Und mit den Blicken einige Körper.
Abwärts. Die Peitsche war verstummt. Die Menschen haben
keine Dreiecke mehr zwischen den Beinen. Ich
streichelte das Haar der Geliebten. Man konnte fühlen,
dass es schön war – & täuschte sich nicht. Wie dunkel
es hier war! Nach all
der Sonne. Doch sie konnten sehen,
was wir taten.

(Man muss nicht
Alles mal erlebt haben. Aber auch nicht
Nichts. Wir haben
dies erlebt, und es war
nicht Alles, aber auch nicht
alles Nichts. Und nun
musste es nicht mehr
geträumt werden.)


Altpapier – oder: Die Zukunft

Kälte, Nebel, buntes Laub.
Blaue Plastiktonnen stehen am Straßenrand, als warteten sie auf
die innere Leere. Ein Mann,
der vermutlich alt ist, bückt sich
nach einem Zettel, den der Zufall fallengelassen hat.
Vielleicht stört das den Ordnungs
Sinn des Mannes; vielleicht
hat es aber auch einfach
Nichts

zu sagen, dass er ihn aufhebt. Mag
Sein, dass in die blaue Tonne gehört,
was der Mann dann in der Hand hällt. Genau
so gut aber könnte der Zufall exakt
gezielt haben. Die Hand am Deckel
der Tonne, will der vermutlich Alte den Zettel wahr
scheinlich entsorgen (wie man so sagt, als gäbe es so etwas
wie Entsorgung); da fällt
sein Blick auf

spitzig winzige Bleistiftschrift:

Du hast Angst vor der Zukunft,
dabei läuft sie vor dir davon.
Alles, was du zu fassen bekommst,
ist Gegenwart.

Du glaubst, die kommende Gegenwart
nicht bewältigen zu können.
Dabei gehst du
davon
aus, ihr so zu begegnen, wie du jetzt bist.

Du übersiehst deine eigene Entwicklung,
dein inneres Wachstum.
Was du zur Zeit tust, hättest du dir noch vor einem Jahr
nicht zugetraut. Und selbst ich, der ich dir mehr zutraue
als du dir selber zutraust, würde meine leisen Zweifel gehabt haben,
hättest du damals tun müssen, was dir jetzt beinahe leicht fällt.

Der Mann betrachtet das Haus
hinter der Tonne, nachdem er zu
Ende gelesen hat. Er erinnert sich
an das Haus. Das Haus, das aussieht, als sei es
vergessen worden von allen anderen.
Und die Schrift ist wie seine eigene
vor Jahrzehnten. Blau sind
die Tonnen fürs Altpapier. Und rot
2 Worte

auf der Rückseite des Zettels (doch
wer kann wissen, welche
die Rückseite ist):

zu kitschig

steht da. Der Mann
sagt »Nein« zu sich selbst.
Dann verwahrt er den Zettel
in der Innentasche seines Mantels,
der vermutlich alt ist. Heute

werden die Tonnen geleert, denkt er, so
ein Glück. Noch vor wenigen
Stunden blutete sein Zahnfleisch; da
schaute er in einen Spiegel & hatte rosa Schaum
vorm Mund. Er überprüfte, ob sich
ein Zahn gelockert habe, dann
lächelte er über eine unsinnige Frage,
die ihm in den Sinn gekommen war:
Warum

wurde noch kein Schmetterling
nach mir benannt? Die Antwort
ist einfach. Die Schrift
in Rot scheint dieselbe
zu sein wie die in Bleigrau.
Doch wer kann da schon
sicher

sein