Monatsarchiv: August 2019

Wozu die Eile?

Wohin des Weges,
rasender Schmerz? Noch
früh genug

wirst du dort sein
wo niemand dich haben will.
Gemach, gemach!

Schau, die schöne Wiese —
wie’se im Sonnenglast grünt
& die ehemaligen

Raupen über Blüten flattern
Existierst du überhaupt
in ihrer Welt?

Ich weiß, du
hast es auch nicht leicht –
wer dich kennt,

hasst dich.
Setz dich, Schmerz,
von mir aus

auch neben mich
Aber nicht zu nah
Wir wollen beide

aus

ruhen


Ein Buch, vorbei

»Ich weiß,
dass ich das Buch gelesen habe,
aber ich erinnere mich nicht
an seinen Inhalt.

Ich weiß,
wann, wo & unter welchen Umständen
ich es gelesen habe. Aber
ich erinnere mich nicht
an seinen Inhalt.

Ich weiß,
worum es geht, aber ich weiß nicht,
was passiert.

Es ist alles
zu lange her.«

»Wovon redest du?«

»Er kann dich nicht hören.
Er phantasiert.«

»Sicher?«

»Sicher. Es geht zu Ende
mit ihm.«

»Sicher, ich weiß,
dass ich es gelesen habe.
Aber was für einen Sinn hatte es,
das Buch zu lesen, wenn ich
mich an seinen Inhalt
nicht erinnern kann?«

»Du kannst es
wiederlesen.
Hörst du?«

»Er kann
dich nicht hören.«

»Ich könnte
es wiederlesen.«

»Siehst du? Er hat
mich gehört.«

»Aber nein,
das geht ja nicht.
Ich kann es nicht wiederlesen.
Es ist zu spät
dazu.«

»Hörst du? Wenn
du es gelesen hast,
wurde das Buch gelesen
von dir. Das
ist der Sinn. Du musst
dich nicht erinnern.«

»Ich erinnere mich,
dass ich es gelesen habe, aber
gerade jetzt weiß ich
nicht mal mehr,
ob ich es gut fand.

Ich -«

»Hörst du?«

»Lass ihn in Ruhe.
Merkst du nicht? – er
faselt nur noch.«

»Was für ein Buch
meint er überhaupt?«

»Keine Ahnung. Lass
ihn. Es ist gleich

vorbei.«

»Vorbei.«

»Vorbei?
Ja. — Vorbei.«


Inselbegabung 

I.

Eine Insel
Begabung zum Allein
Sein

Auf keiner Karte
Verzeichnet mit vor Kälte
Zitternden Händen

Ein Meer
Von Dis
Tanz & das Ich

Ein
Glücklicher
Nichtschwimmer

 

II.

Und der Nichtschwimmer erfreute sich
seiner Unfähigkeit zur Fort-Bewegung
ohne Hilfsmittel, und Hilfe
wollte er nicht.

 

III.

Unter
Gehen wie ein Gestirn. Er
Saufen willibald unterm wallenden
Gewölk ~ ~ ~

Frei! Tag
Für Tag! Kein Mensch mehr
Mehr Meer

Allein
Sein im Silberlicht
Der Reflexionen
Mit sich

Selbst auf einer Wellenlänge

Leben
Wie das Symptom einer Krankheit
Als Absonderung
Sekret

 

IV.

Geheimnis
Volle Insel
Auf keiner Karte

Verzeichnet ein
Blinder
Fleck in den Gezeiten


Bewohnte Muschel

Meer muss man
nicht sagen um sich
seiner Existenz zu versichern
da man am Strand liegt
& es in den Ohren rauscht wie
in einer verlassenen
Muschel die Geliebte
neben sich bäuchlings
& nackt auf einem Tuch
ein sandbestäubter Po im Blick
Feld mit Tropfen in denen
die Sonne scheint

Schweigen

gesalzener Wind auf Schleim
häuten die Wellen
vernichten die letzten Spuren
der Vorübergegangenen
die einen Blick riskierten
weil sie nichts zu verlieren hatten
Sandbestäubt, Tropfen
in denen die Sonne scheint

Berauschtes Schweigen

Nur in bewohnten Muscheln ist es
still

Möwen ahnen
nicht dass sie in Büchern stehen
in Wirklichkeit fliegen sie

Wirklich wie wir


Die Mitte der Scheibe

Ein kleines, stilles Mädchen
war sie. Wahr
ist, sie

scheint es noch
immer zu sein
in vielen Augen

blicken. Ihre Augen
allein schweigen
niemals. Hab mich

lieb! sagten sie 
beim ersten
Treffen – & trafen

exakt die Mitte
der Scheibe, die
meine Welt war.


Das Gruseligste kommt zum Schluss

Ich kann ja kaum noch
riechen (beinahe hätte ich er
läuternd hinzugefügt: meine Nebenhöhlen sind
im Arsch – aber ein derartiges Wunder bin ich
denn doch nicht) – also
ich kann kaum noch riechen,
aber stinken kann ich noch.
Manches bleibt einem – immer
hin. Wird stärker so
gar. Mit den Jahren. Immer
hin. Mit den Augen aller
dings sieht es nicht
so gut
aus. Mehr
oder weniger sehe ich
weniger & mehr.
Lichter, die nicht da sind,
Gesichter, die verschwimmen.
Tanz der 7 Schleier in schillerndem
Regen. Schauderliche Verdoppelung, Nebelwolken & Heiligen
scheine. Kaum wieder
zu erkennen, diese Welt.
Aber gesehen werden kann ich
noch. Doller
Trost! Ein Fest für die Sinne
anderer. Übrigens –
was da pfeift, ist
nicht der graue Star. Vielleicht
der kleine Mann im bewaldeten Gehör
gang, das Kind, das Angst zur Melodie
macht? Kaum eine Bewegung
bleibt,
die keine Geräusche kreiert wie der seufz
ende Nacht
geist; schon jetzt
ein klipperndes, ein klapperndes Skelett.
Früh übt sich – das heißt
so früh nun auch wieder nicht.
Es ist viertel vor
Nichts. Oder später.
Also lieber nicht
das gichtige Gerippe
bewegen. Bewegung be
kommt man als Asche
noch genug.

Ich weigere mich
zu verwesen! Solange ich lebe
kann ich es allerdings nicht
verhindern. Jedoch

ich rieche nichts. Bei
nahe nichts.

Das Gruseligste aber, liebe Leichen
Gemeinde, kommt
zum Schluss – man stelle sich
vor: mir ist die Freude

ja selbst die
Lust noch immer nicht

Vergangenheit.


Würde

 

Ich könnte brechen
Wenn ich mich beugen

   würde

um etwas zu erreichen
Aber mit

   Würde

hätte das nichts zu tun
Lieber nichts erreichen

Denn Nichts ist immer da
leicht zu fassen

schwer zu begreifen
– oder umgekehrt?

Einerlei
Bloß kein Ehrgeiz

Wollte ich Etwas
Anderes es

   Würde
Nichts


Sägemehl

Unterm Sofa liegt Sägemehl
Als hätte sich etwas bewegt

Ich war’s
nicht Haben die Termiten geschnarcht

Oder ich Hatte jemand
Sex auf dem Sofa

Ist es die Asche
meines Großvaters in dessen

Wohnung es stand als ich
jung war Ich

könnte den Kopf schütteln
Zur Not sogar meinen

Aber wer weiß, was
dabei heraus käme


Gestank & Krach

Im TV
wirbt ein Umweltverbrecher
für einen Rasierapparat

Dann läßt er sich
einen Bart stehen
& steigt in seinen Formel Dreck Boliden

Um die Sinnlosigkeit menschlichen Tuns
zu illustrieren
Früher gab es wenigstens noch Unfälle

Da wurde noch gestorben
und man durfte die Hoffnung haben
dass sich das Problem irgendwann

Von alleine löst
Heute ist alles so sicher
Wie der Untergang der Menschheit

In Flammen gehen
immer die anderen auf
Gestank & Krach

als Religion
Die Droge der Dummen
die dabei zuschauen


Der Unterschied

Wie banal
einem plötzlich alles erscheint
wenn man aus gewissen Büchern

wieder
auf
blickt

Sogar
wenn Banalität das Thema war

Im Vergleich siegt immer die Kunst

Doch manchmal
legt sich der Glanz der Kunst
auf die Banalität des Alltags

ein schwacher Reflex der Reflexionen

Das Andere Licht
in dem man etwas plötzlich sieht
wenn man aus gewissen Büchern

wieder
auf
blickt


Blau 

Man sollte das Gelb
Aus ihren Nadeln
& Blättern ziehen

Dann ständen die Bäume
Blau in der Gegend herum

Das wäre verstörend
& schön

Schön verstörend
Verstörend schön

Und Mondrian könnte wieder
Aus irgendeinem Fenster schauen

Als wäre er nicht …

Wäre er nicht längst
Tot.


Fehlschluss

Auf seinem Grab
Stein hatte man
Sich verschrieben, ach
Wäre es doch nicht bemerkt worden!
Dann würde er vielleicht
Noch leben, denn er wäre ja
Nicht der, der auf dem Grabstein stand.
Er unterläge einem falschen
Namen. Schall & Rauch
In Stein gemeißelt, am Anfang
War das Wort, am Ende
Aber auch. Leben. Ein Fehler.

Jemand
Hatte sich verschrieben
Dem Leben.

Bis zum Schluss.


Die Illusion der Kommunikation

Die Menschen wollen immer
dass man mit ihnen redet

Aber dann vergessen sie
was man gesagt hat

Es ist
als hätte man geschwiegen

Also schweigt man
von vornherein

Die Illusion der Kommunikation ist
ungenügend.


Schauerroman

Da sitzt man
nun im kalten
Raum

Die Heizung hat nichts
zu saufen Man selber
will nicht

Herbst Sturm
& undicht
die Fenster

Einer der heißesten
Sommer ist vorbei
Da möchte man

doch denken
es müsste etwas
gespeichert sein

Licht Wärme Irgendwas
in den Knochen doch
Nichts bleibt

Die Erinnerung heizt
nicht Früh
dunkel heute

Und der Wind bewegt
die Vorhänge
wie im Schauerroman