Das Versagen ist ein stilles Zimmer. Kein Schall, der stört, keine Augen, die glotzen. Erfolg wäre Lärm, ein Schmerz im Gehör. Ich habe mein Leben vertrödelt, versoffen, vertändelt, ver-fault. Hab mich versagt. Gehöre niemandem, nicht dazu, nirgendwo hin, wo ich nicht bin. Mach’s mir gemütlich im künstlichen Licht. Hab mich verschrieben dem Privaten. Abgeschottet & zufrieden. Verstehe kaum, was Menschen mögen, was sie antreibt, was sie treiben. Das Menschenmögliche ist mir zu viel. Moment – versuche ich hier gerade mich zu trösten? mich abzufinden? mich schönzureden? mich interessant zu machen? Das wäre das Schlimmste, das Niedrigste, das Unsägliche. Das letzte Versagen. Schlimmer als selbstverlegt, schlimmer als ein E-Book bei Amazon – nein, bitte nein! Finde ich etwa gut, was ich hier tue? Fand ich es je? Mit Alkohol im Blut vielleicht. Im Suff finden sich ja alle gut. Die armen Schweine. Die sollten sich mal nüchtern betrachten. Ganz trocken. Dann ist es aber aus mit der Unsterblichkeit. Mit Epigonen kann selbst die Nachwelt nichts anfangen. Und man gerät nicht in Vergessenheit wenn man niemals im Bewusstsein war. Oh, du stilles Zimmer. Mein Raum. Nur mit mir in dir. Unverzagtes Versagen. Sonst gibt es nichts zu tun. Alles weitere versage ich mir. Schnauze jetzt! Tu doch nicht so! Möchtest gern, du Möchtegern. Der Wille aber ist nichts. Das weiß ja jeder Serienkiller. Da zählt nur die Leiche, und nicht das Messer in der Lade. Ja, der blindlings tastende Soziopath trifft nur sich selbst. Da ist keine Welt im Raum. In jenem Zimmer. Und keiner versteht ihn.
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Versagen – ein kippender Text
Milchreis mit Zimt
In der Regalgasse kam sie auf mich zu mit ihrem Einkaufswagen »Ich hab zweimal Milchreis mit Zimt für dich«, sagte sie. »Äh, danke - - ich glaub, ich mag den im Moment gar nicht mehr.« »Ah – okay ---« »Nach dem letzten Mal ging’s mir so komisch.....« »Aha....« »Ja. Hm. Vielleicht bringst du ihn doch besser wieder zurück.« »Ja; klar; mach ich.« Das wird jetzt niemand verstehen, der nicht weiß, wie sie, und nur sie, etwas sagen kann – aber es hätte mir doch beinahe das pumpende Hohlorgan zerrissen; und ich musste hinterher zur Kühlung Sie stellte die Schälchen zurück Deren Inhalt ich vielleicht lieber hätte herunterwürgen sollen um ihr eine Freude zu machen & um mich selber besser zu fühlen in aller Übelkeit Da nahm ich sie von hinten in die Arme - »Vielen Dank nochmal, dass du daran gedacht hast.« Es fielen noch weitere Worte im Supermarkt, und gelächelt wurde außerdem. Und so wird nun auch Milchreis zum Symbol werden Zur stehenden Redewendung Zum Insider Zur Anspielung in dieser Beziehung. Und natürlich hat das alles nichts mit Literatur zu tun. Denn es wird behauptet, die solle Gefühle erzeugen – und nicht schildern. Aber wenn etwas etwas soll will ich etwas anderes wollen. Und sagen: Seht her! So kann es sein. Es kommt vor dass sich die Richtigen treffen. Das sagt Euch der Pessimist, der an gar nichts glaubt. Übrigens war vermutlich alles ganz anders. Plötzlich hatte ich das kleine Mädchen gesehen & gehört... Das Mädchen, das ich nur von Photos kenne (& in ihren Augen sehe) Und es hatte mich gerührt Gerührt bis an die Schmerzgrenze — An der Kasse war dann noch die Flüssigseife nicht richtig ausgezeichnet und die Kassiererin konnte so kurz vor Schluss niemanden mehr erreichen & in ihrer Liste konnte sie den Preis nicht finden – drum ließen wir die Seife also auch noch zurück. Aber das ist ja eigentlich schon wieder eine andere Geschichte. Die bestimmt ebenfalls irgendeinen Symbolwert hat.
Phazit
Im Sitze meines Lebens
(was bei Anderen im Laufe heißt)
gemütelte ich häufig auf dem Sopha mit p-h
und Büchern in den Tellern meiner Hände
Mit Blätterfingern fuhr ich durch das Laub
der Bände – ganz fremd wurde mir da zufurchte;
fremd der Waren Welt mit ihren Würglichkeiten
und ihrer Enge, die außerhalb des Geistes liegt
Im Rascheln der Romane war ich zu Hause
im Rauschen der Gedichte unterwegs
Der stumme Besucher in den Winkeln
der Biographien: das war ich
Reich war ich in meinen Reichen
Auf den Brettern, die Regal bedeuten
Traf nie einen meinesgleichen
Mischte mich nicht unter Meuten
Was zur Neige geht, ist nicht mein Leben
Eine Welt nähert sich dem Ende
Was Gedanken leise weben
Fällt am Schluß durch offne Hände
Howard
I am too old & cynical & world-weary
to be interested in books of my junk —
Howard war 35 Jahre alt, als er das schrieb.
Er nannte seine Tante »Tochter«
und sich selbst »Großvater«.
Kinder hatte er nicht. Er liebte Spaghetti
und hasste moderne Architektur.
Sein Kinn war gewaltig
und die Welten in seinem Geist beängstigend.
Er hatte keinen Job,
und eigentlich wollte er auch keinen.
Er wollte nur lesen, schreiben und
es warm haben.
Kälte konnte er nicht ertragen.
Folglich schrieb er eine Geschichte
über jemanden, der nur in der Kälte existieren kann –
weil er längst tot ist.
Howard starb mit 46 Jahren,
also war er mit 35 tatsächlich alt.
Die meisten Menschen wissen nicht,
wie alt sie wirklich sind.
Howard war ein besonderer Mensch.
Der Scherz des Fotografen
Niemand weiß, was das Foto zu bedeuten hat.
Es ist ein Rätsel, so rätselhaft, dass
man es für etwas anderes als ein Rätsel hält.
Der Gegenstand, der alles erklären würde,
lag im Blickfeld des Fotografen. Er hatte ihn
beiseite geschoben. Beinahe wäre sein Schatten in das Bild gefallen.
Der Fotograf lachte, als er das Foto betrachtete.
Drei Silberlöffel
Drei Silberlöffel gewann Cervantes.
Das war der erste Preis
In einem Gedichtwettbewerb
Aber mit einem Silberlöffel
darf man nicht mal ein weichgekochtes Ei essen
das man nicht hat
Man kann geboren werden
mit einem silbernen Löffel im Mund
Man muss ihn abgeben
wenn es soweit ist.
Doch was ist damit gewonnen?
Man könnte
irgendetwas rühren
wie mit einem Gedicht
für das man sich nichts kaufen kann
Etwas auslöffeln
das zu dünn ist
um es in die verkrüppelte Hand zu nehmen
Aller guten Dinge sind
nichts. Kennt jemand
dieses Gedicht?
Ich kenne es nicht.
Der Autodidakt
Wem – nein, wer sich die Tür zur Literatur nicht in früher Jugend öffnet, der wird nimmermehr einen Zugang finden. Man trägt den Schlüssel tief in seinem Innern. Oder eben nicht. Wer sich gewaltsam Eintritt verschafft, wird ein Einbrecher im fremden Gebäude sein und nicht wissen, was er stehlen soll. Wer darauf hofft, Andere könnten ihm Einlass gewähren, hat nicht begriffen, dass er so bestenfalls Gast oder Museumsbesucher sein würde. Man kann sich vielleicht umschauen, ein bisschen was lernen sogar, aber im Gefühl des Besitzens darin leben kann man nicht. Und was man zu lernen vermöchte, ist niemals das Wesentliche.
Nun gut, sollen Lehrer und Professoren meinetwegen sich mithilfe des allgemeinen Irrglaubens ihre Existenzen sichern. Vielleicht hilft es ihnen durchs Leben, sich und das, was sie tun, ernstzunehmen — das ist immerhin auch etwas wert und verursacht keinen nennenswerten Schaden. Wir machen uns alle etwas vor. Und wenigstens dies lässt sich sogar lernen.
Aber jetzt entschuldigen Sie mich. Klingeln Sie nicht, klopfen Sie nicht. Ich werde nicht öffnen. Denn ich habe nichts zu tun.
Keine Zeit für Zeitgenossen
In der Gegenwart lebe ich
selber. Ich
habe keine Zeit
für Bücher meiner Zeit.
Lasst mich in Ruhe
die Toten kennen
lernen; den Blick werfen
aus meinem Zeitfenster,
das so schmal ist
wie ein Sarg.
Ich muss leben
vor meiner Zeit.
Die vertauschten Köpfe
Also, ich habe ja diese zweibändige Ausgabe
mit Werken Eduard von Keyserlings.
Auf den Umschlägen der Bücher
& des Schubers ist aber ein ganz anderer
Keyserling abgebildet.
Ich gebe zu,
der Eduard war extrem hässlich
(seine Freunde nannten ihn Todchen).
Der Mann auf den Umschlägen
sieht gut aus. Zumindest besser.
Immerhin: ein Philosoph.
Es hätte schlimmer kommen können.
Aber alles hat seine Grenzen.
Vor allem das Verlagswesen.
Zensur der Gesichter.
Ein fröhliches Gedicht
Ich las ein trauriges Gedicht
in einem blauen Buch
voller Frauen, die lächelten.
Ihre Absätze hämmerten in meinem Kopf,
ihre Kleider rauschten wie Laub
& streiften die Möbel,
bis der Staub durch die Helligkeit
der Seiten regnete. Ich musste niesen
& sie alle ausziehen,
um zur Ruhe zu kommen.
Wie still es ist,
wenn nackte Frauen schweigen.
Sanfte Hügel,
lautloser Stoff,
farbenfrohe Entblätterung.
Jetzt ist es gut.
Ganz leise wandeln bloße Füße,
ganz langsam
schließe ich das Buch.
Im Museum der abgenutzten Bilder
schmeckt es nach Gemeinheit,
riecht es nach dem Applaus der trägen Masse,
hat man aufgehört zu denken.
Fade Plakate kleben überall.
Luftblasen im Kleister schlagen Wellen.
Anhand von Fingerabdrücken identifiziert man
die Begreifenden. Denen jedes Verständnis fehlt.
Auf der Suche nach Begriffen, die frisch sind,
gehe ich ins Freie.
Zeitkritik
Diese zeitkritischen Dichter,
diese Gesellschaftskritiker —
Schon toll, gell?
Langlebig nicht, aber toll.
Ich kann die Zeit ja auch nicht
leiden. Die macht alt. Und tot.
Und die Gesellschaft erst.
Zum Kotzen! Nur auf
dem Friedhof kann man sie ertragen.
Also treffen wir uns da. Kommen Sie,
wenn ich tot bin. Lang leb ich
nicht mehr, aber toll.
Ja, die Wissenschaft
»Du hättest Arzt werden sollen«, sagte sie, »Du hast
so sanfte Hände.« »Ja, als Kind dacht ich daran, ich
konnte so gut Blut sehen und mochte die
Operationen im Fernsehen. Aber letzten Endes
hätte ich doch nur Mädchenarzt werden wollen.«
Sie lachte. »Nicht
Tierarzt?« »Auch das. Aber nur
für Kleintiere. Wer will schon seinen Arm
im Arschloch einer Kuh versenken.
Lieber ein Kätzchen heilen,
oder einem Häschen die Löffel putzen.«
»Perverses Schwein!« Kichern.
Das Erklingen eines Klapses. Nach
Schwingen des Mondes.
Abendrot der Oberfläche.
Ȇberhaupt: die Wissenschaft!
Wie ein Kind sie sich vorstellt.
Astronomie! Da hätte ich
landen wollen mit meiner Rakete.« »Wo?«
»Na da.« »Oh – ha ha, das kitzelt.«
»Oder das Klima erforschen,
heiß & feucht in südlichen Regionen.
Und am Nordpol in einem Lächeln versinken.
Piepmätze beobachten, und
den Schlangen beim Züngeln zusehen.
Und dann erst die Meeresforschung! Wo
Lachmöwen kreischen, und
die Muräne schweigt.« »Na,
jetzt geht’s aber durch mit dir.«
»Das Gefühl habe ich auch.
Recht oft sogar. Mein Vater
war Zoologe. Das erklärt so Manches.
Eines Tages schenkte er mir ein Stethoskop.
Vermutlich kann ich deshalb so gut
zuhören.« »Apropos:
reich mir mal die Decke, du
Polarforscher – nicht dass
ich mich verkühle.« Da lag sie.
Am Boden. Ich dachte noch
kurz an die Lehre von den Vulkanen,
an Couchkunde & Mathematik
(10 + 4 + 19 + 5 + 7 + 15) x 1
Dann war die Sprechstunde vorüber.
Der Somnologe misst die Zeit
in Schweigeminuten.
Unter Glas oder Feine Fäden
Sie stehen auf dem Papier –
die Wörter. Wie die Beine
einer Zitterspinne
die ein Ängstlicher gefangen hat
unter Glas. Und nun –
wohin damit?
Geh dicht heran
& schau sie an.
Ohne Angst
sieht Alles ganz
anders aus.
Man kann
ein Fenster öffnen.
Denn auch im Freien
wollen Netze
gesponnen sein. Feine Fäden,
in denen Lebendiges
sich verfängt.
Vertragt euch doch
In meinen Bücherwänden stehen sie
Seite an Seite. Die Autoren,
die einander kannten
& hassten. Ihre Werke
kuscheln fast, so nahe
stehen sie sich.
»Vertragt Euch, Kinder«, sage ich.
»Ihr seid nun schon so lange tot,
da streitet man nicht mehr.
Dachtet Ihr, Ihr hättet nicht genug
Raum? Habt Ihr nicht gesehen,
daß Ihr gegen dasselbe kämpftet,
wenn auch nicht immer für dasselbe?
Ihr hattet gemeinsame Feinde;
das hätte Euch zu Freunden machen können.
Aber nun ist Ruhe. Ich dulde keine
Auseinandersetzung in meinen Regalen.
Die streitsüchtige Jugend ist vorbei,
Ihr seid tot – und habt überlebt.
Reicht Euch die Bände.
Ich hab Euch alle lieb.«
Ich richte mich
(Und hier sehen wir
den Dichter in der Krise.
Erste Zeichen der Verdüsterung,
die in der Umnachtung gipfelte:)
Ich richte mich
an die noch nicht Geborenen.
Und, wenn ich’s könnte,
an die Toten. An euch,
abenddämmernde Zeitgenossen,
richte ich mich
nicht! Genießt eure
Zeit. Etwas anderes bleibt
euch nicht. Und habt ihr sie
genossen, die Zeit, ihr Zeitgenossen,
frisst sie euch
von innen auf.
Ganz still & ätzend,
den Dreck zersetzend,
der ihr seid.
Ich schreib euch klein.
Ich schreib euch kurz,
da ist mir euer ego schnurz.
Ich richte euch.
Ich richte mich
an — wie eine
Henkersmahlzeit.
Eure.
Mahlzeit!
(Wir enthalten uns
jeglicher Interpretation.
Der kluge Leser wird –
Sagten wir ›der kluge Leser‹?
Hahahaha.)
Diese Tage (Gedicht mit Fußnote)
Diese Tage
an denen ich fast alles,
was ich je geschrieben,
grausam schlecht finde, sind
die schlimmsten!
Schrecklicher Befund.
Schlimme Diagnose.
Keine Heilung.
Letaler Verlauf.
Leben verfehlt.
Alles Psychose.
Das Gestrige ist
heute nicht einmal mehr
meinen eigenen Hohn wert.
Andere lese ich nur noch,
um meinen Platz zu suchen.
Mich einzuordnen.
In der Hoffnung,
noch Schlechtere zu finden,
finde ich – so viele Bessere.*
Früher hätt ich mich besoffen,
bis ich alles wieder gut gefunden.
Jetzt hilft nichts mehr. Nichts.
Nichts zu hoffen.
Nichts zu tun.
Außer warten. Warten.
Ich kann nur warten, bis
es mir wieder gelingt –
mir etwas vorzumachen.
Es ist zum Lachen.
Also lache ich.
Wie einer, der
überschnappt
vom Wahnsinn zur Wahrheit.
Ohne Rückkehr.
Ohne Rückkehr! –
Ohne Rückkehr?
Moment! Halt!
Da ist doch noch…..
Wäre ich so schlecht, wie ich glaube,
würde ich nicht glauben, so schlecht zu sein.
Hoffnung. Verdammte Hoffnung! Willst du
mich quälen? Nun stirb doch. Verrecke
nur einmal nicht zuletzt.
Alte Lügnerin! Blenderin!
Ich bring dich um! Und mich.
Wenn man ohne dich nicht leben kann,
dann eben nicht!
Es ist doch gar zu lächerlich.
Auch DIES wieder: ein DRECK!
_________________________
*(Unter den Toten.
Nur unter den Toten.
Nur sie sind Maßstab.
Die Lebenden
sind so lächerlich
wie ich.)
Zu lang
»Komisch«, (wer spricht? ich nicht),
»die letzte Strophe legt den Eindruck
nahe, es müsse ihr ein langes Gedicht
vorausgegangen sein. Dabei
ist es so kurz. Das wirkt
unharmonisch.
Überstürzt.«
»Ja«, (ich spreche).
»Das stimmt. Aber nur,
wenn man nicht liest,
was nicht dort steht.
Mir ist es viel
zu lang.«
Das Tagebuch
Ich versenkte mich
in das Tagebuch eines Verstorbenen.
Saß mit ihm am Tisch, lauschte
seinen Gedanken, sah
ihm beim Baden zu,
traf die Menschen, die er kannte,
ertrug seine Krankheiten,
ging mit ihm spazieren.
Dann verließ ich das Haus,
um allein zu gehen.
Schon bald bemerkte ich, daß
niemand mich sah.
Niemand mich sehen konnte,
niemand mir auswich.
Ich war es, der zur Seite treten musste,
sonst wären die Menschen
durch mich hindurch
gegangen wie uninteressante Gespräche.
Wenn niemand dich sieht, bist du
dort wo du sein solltest, dachte ich.
Wo immer du bist.
Ich kehrte zurück
zu meinen Regalen. Zurück
zu den vergangenen Tagen des Toten.
Dort ist das Leben.
Nein !
Einige Menschen glauben,
ich schriebe über sie
& über mich.
Ich schreibe aber
über das Menschliche
in meiner Gegenwart.
Wir Einzelwesen sind unwichtig,
nur Statisten in der ernsten Komödie,
ich ich nachzuzeichnen suche.
Wir stehen bloß im Vordergrund,
um den Hintergrund
zu verdecken.
Nein, glaubt nicht,
es ginge um mich,
es ginge um Euch.
Glaubt nicht,
weitet Eure Gedanken!
Denkt!
Auf irgendwas wartet man ja immer
Daß ich ein Genie bin,
fällt zu Hause niemandem auf.
Nur mir natürlich. Zuweilen.
Ich sitze da so rum,
meine Freundin fragt: »Was
machst du heute?«, und
meine Antwort lautet:
»Aufs Kacken warten.«
Dieses Gedicht wiederholt sich
alle 2 Tage. Ich lege großen Wert
auf geregelten Stuhlgang. (Aber
bitte nicht jeden Tag; es
täte mir um die Zeit zu leid
& würde mich emotional
zu sehr mitnehmen.)
Man muß warten können, bis
einem etwas auffällt – einfällt –
rausfällt – da fällt mir ein,
daß Adorno einmal in einem Gespräch sagte,
Beckett habe der Begriff des Fallens in
der deutschen Redewendung der Fall sein, so sehr
gefallen. Als dies Gespräch vor etwa 40 Jahren
von meinem Rundfunkempfänger empfangen wurde,
war es schon 15 Jahre alt & Adorno so tot wie
Tilla Durieux. Alle, die da fallen. Was uns zu Effi Briest führt…..
Oder führen könnte. Doch lassen wir die weiten, von schwarzen Mönchen
bevölkerten Felder der Assoziation ruhen im milden Glanz der Abendsonne.
Immer wenn niemandem etwas auffällt, herrscht
Ruhe. Ich betrachte die
Ordnung der Gedanken
Nicht (als) zufällig.
Im Augenblick der Entspannung könnte ein
Sonett entstehen.
Crazy door of the jakes!
Heute geht irgendwie alles durcheinander…..
Verdammt & aufgetrennt! (Schnell ein Gedicht
von Günter Grass lesen; dann weiß ich wieder, wie gut
ich bin.) Worauf ich eigentlich hinauswollte,
war ja ich. »Wie immer«, würde meine Freundin sagen.
Wir lieben unsere Rituale. Und übermorgen
wird sie mich wieder fragen: »Was machst du
heute?« Und vielleicht werde ich dann antworten:
»DEATH HAS TWELVE WINGS LIKE THE ANGEL OF HELL!«
Aber wahrscheinlich
ist das nicht.
Das schwebende Buch
Nachts trage ich meine Tarnkappe,
damit, falls niemand herein kommt,
er denkt, auch ich sei nicht da.
Es schwebt ein Buch
über dem Kanapee,
und niemand fragt sich,
warum das so ist.
Hätte er mich gefragt,
würde ich ihm geantwortet haben.
Vielleicht wäre ein Gespräch entstanden.
So haben wir alle
noch mal Glück gehabt.
Nicht nur ein Name
Tod, Zeit, Vergänglichkeit
Haben keine Macht
Ohne das Vergessen
Manchmal kehre ich zurück
Aus der Gegenwart und
Suche mich in der Erinnerung
Mit dem Vertrauten meiner Jugend
Alte Geschichten bewohnend
Nähere ich mich den Anfängen
Nicht zum letzen Mal
Still & weich
»Ihr Gedicht ist recht ansprechend«,
sagte Einer.
Ich sagte: »Es tut mir leid,
wenn es Sie belästigt hat.
Ich schärfe meinen Texten regelmäßig ein:
›Haltet die Schnauze! Keiner
interessiert sich für Euch. Sprecht
Niemanden an; das gehört sich nicht.‹«
Wenn Blicke einen einliefern könnten,
wäre es jetzt sehr still um mich herum,
und die Wände wären wunderbar weich.
Das merkt man
Manche Menschen schreiben gern.
Und dann schreiben sie,
weil sie gerne schreiben.
Das merkt man.
Nichts treibt sie, als sie selbst.
Manche werden berühmt damit.
Dann reden sie
im Fernsehen, weil sie gern
im Fernsehen reden.
Das merkt man.
Manchmal bekommen sie einen Preis.
Dann halten sie eine Rede,
die sie vorher geschrieben haben.
Sie schreiben gern,
sie reden gern —
Das merkt man.
Was sagt uns das Alles?
Nichts.
Eisberg
Na, Ihr Eisbergspitzenlutscher!
Wieder was gelesen, was Ihr glaubt,
sofort verstanden zu haben?
Ohne Mühe, stimmt’s?
Wie ist die Luft da oben?
Schmeckt’s? Wenn
Euch die Zunge einfröre,
sie am Eise kleben bliebe,
müsstet Ihr schweigen –
das wäre schön.
Der seltene Name
Ich gab dem Mädchen
einen seltenen Namen.
Dem Wesen in meiner Geschichte.
Ich kannte keines,
das so hieß,
drum hatt ich’s – zu erschaffen.
Das Mädchen mit den Narben
Gedanken Strich Gedanken Strich
Wie kam ich auf den Namen?
Ich weiß es, doch
ich sag es nicht. Nein,
kein Zufall. Natürlich nicht.
Jahre vergingen, andre Namen
zogen vorüber. Novembernächte,
Gewitter & gelbliches Mondlicht.
Dann klingelte es
an meiner Tür – – Ich stolperte wie’n freier
Vers. Ding Pause Dong! — »Na.«
Sie hieß wie das Mädchen
In der Erzählung, die sie nicht kannte.
Narben hatte sie auch.
Aber einen Anorak trug sie nicht.
Ich gab dem Mädchen
einen seltenen Namen.
Dem Wesen meiner Geschichte.
Ich kannte keines,
das so hieß,
darum musste es erst klingeln.
Das Ding – 1 Dong! (= 10.000 Hot)
Die Klinke ergriffen
und alles offen
Ein zaudernder Blick
Das Beste hoffen —
Anis mag sie nicht riechen.
Nachts sehen wir Schwarzweißes im Farbfernseher.
In manchen Gedichten kann man sie sichten.
Spiegelbildlich. Seitenrichtig.
Und alle Uhren zeigen EINE Zeit.
Ninna Nanna in Blu –
– – – – – – – – – – –
Beweise
Wer meine Worte liest
glaubt an meine Existenz
So wie ich
der ich an keinen Gott glaube
vom Dagewesensein
des James Joyce überzeugt bin
der von den Genannten
der Bedeutendste ist
Für meine Existenz scheint es
Beweise zu geben
Vielleicht deuten diese
aber auf jemand ganz
anderen hin
Wer hat noch
gleich Shakespeares Werke
geschrieben?
Wer meine Worte liest
glaubt bestenfalls an gar nichts mehr
Das Haus
So einfach & unscheinbar
ist das Haus – keiner
der Vorübergehenden, Vorüberlebenden
vorübergehend Lebenden ahnt
dass es voller Rätsel & Geheimnisse ist.
Zu viele Häuser haben sie schon gesehen,
zu viele Häuser gibt es.
Nur der Architekt kennt seinen wahren Wert,
den Wert, den niemand bezahlen würde, weil er nicht
dem Warenwert, genauer: dem Materialwert entspricht; nur er kennt
alle Bedeutungen, von deren Existenz keiner
sich etwas träumen lässt.
Die Anzahl der Steine ist kein Zufall,
sie bezieht sich auf das Innere des Hauses, auf
das Innere seiner Bewohner;
die Quersumme aller addierten Türen & Wände
erzählen eine exakt berechnete Geschichte.
Alles geht auf. Der Rest ist Gedanke.
Im Mauerwerk: seltenste Perlen.
Der Dachboden spielt
auf den Keller an; der Keller
existiert nur in der Phantasie des Architekten,
die seine Persönlichkeit ist.
Was die Maserung des Parketts zu sein scheint,
ist in Wirklichkeit Schnitzerei: winzige Gesichter,
die man nur erkennt, wenn man sie kennt
und am Boden liegt.
Zuweilen sticht den Architekten
die Eitelkeit fast mückengleich. Dann
würde er am liebsten erklären, um
den Nichtsahnenden die Augen und,
falls möglich, den Verstand zu öffnen.
Doch dieser Juckreiz geht rasch vorüber.
Das Verständnis der Anderen
würde dem Wert des Werkes nichts hinzufügen.
Alles ist da. Ob es gesehen wird oder nicht.
Es wird noch da sein, wenn
sich an die Passanten längst schon
niemand mehr erinnert.
Denn das ist ein weiteres Geheimnis dieses Hauses:
Es ist unvergänglich.
Ich stehe da.
Auf der anderen Seite der Straße.
Ich betrachte es.
So einfach & unscheinbar.
Wohnt überhaupt jemand darin?
Da stehe ich.
Verstehe ich.
Passanten passieren.
Fassadenbeschauer.
Wer hat es gebaut?
War ich es?
Es ist gleich
gültig. Denn so
viel steht fest:
Dieses Haus ist ein Gedicht.
Der Dritte Weltkrieg
Der Fischer blätterte um
Eine Frau stolperte
Fiel auf die Seite
Das löste den Dritten Weltkrieg
Aus
Ganz langsam
legte der Fischer das Buch
auf den Nachttisch
»Entschuldigung« flüsterte er
Er nahm sich vor
künftig vorsichtiger umzublättern
Dann schlief er
Ein
Das Lyrikregal
Alle anderen stehen
fest stabil massiv
bei
nahe unverrückbar
an den Wänden voll
von Prosa Wissenschaft
Philosophie Nur
das Regal mit den Gedichten
wackelt
Wannimmer man ein Buch herausnimmt
scheint es kurz vor dem Zusammenbruch
fragil & klapprig
Ohne Rückwand
schwankt es von links nach rechts
wie ein besoffener Poet
Eigentlich hatte ich es
festnageln wollen
ganz zu Anfang
Was für ein oberflächlicher
Gedanke denke ich
heute
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