Monatsarchiv: Juli 2011

Du vom Himmel…..

Sie nannte mich:
Du vom Himmel gefallenes Stück
schwermütig glitzernde Scheisse!

Ich fand das sehr poetisch.
Poetischer als alles, was andere
zu mir gesagt hatten, selbst wenn
auch das poetisch gewesen war.

Aber die Poesie vergeht,
immer; fast immer.

Die Uhr der Poetik tickt.

Tickt. Tickt.

Worte der Poesie werden zu
Worten der:

manchmal Freundschaft
manchmal Feindschaft
manchmal Gleichgültigkeit
manchmal Langeweile

Dieses Mal wurden sie
– & das ist die grausamste Variante –

zu
Schweigen.


Murmeln

Die Freitagsschlange im Supermarkt.
Alte Menschen bei zähklimpernder Kleingeldsuche.
Ich schob meinen Flaschenwagen ans Laufband;
Alkoholvorrat für die nächsten Wochen.
Es gab mal wieder irgendeine lächerliche
Kundenlock-Aktion: für so&soviel Umsatz
bekam man etwas. Kleine Tütchen mit irgend
etwas Dickem, Rundem darin. Da ich
eine Menge Sprit kaufte, bekam ich 7 oder
9 von diesen Dingern & warf sie 8los in
den Wagen. Ich zahlte. Dann schob ich mich & den
Wagen in Richtung Ausgang; folgte den
kahlen Stellen auf den Köpfen der Rentner.
Flaschenklirren.
Ein kleiner bebrillter Junge auf dem Parkplatz.
Sein Roller lehnte an einem Geländer, am
Lenker eine Plastiktüte. Der Junge sprach
mich an. „Sammeln Sie Murmeln?“
„Nein.“ Ich war müde & verkatert, ging
weiter. Er mir nach.
„Haben Sie welche bekommen?“
Ich hielt an. „Was meinst du?“
Ein winziger Zeigefinger deutete auf die Tütchen
zwischen meinen Flaschen. „Die da.“ Ich war
müde & verkatert & begriffsstutzig – aber
dann machte es doch noch Klick!
„Ach so“, sagte ich. „Die brauch ich nicht,
kannst du haben.“

Ich klaubte die Tütchen zusammen, er
machte eine kleine Schale aus seinen Händen.
Als ich die Tütchen hineinfallen lies – es waren
fast zu viele für sein Fassungsvermögen -, kicherte
er glücklich. Er war 5 oder 6 Jahre alt &
grinste mich durch seine Brille an.
„Dankeschön.“
Da wusste ich: Mein Trinken hat
eine helle Seite, die leuchten kann.

Ich fuhr nach Hause. Und
grinste dabei.


Das Sofa

Sie saßen auf dem Sofa.
„Hör zu“, sagte er, „ich habe
bestimmte Bilder im Kopf. Und
wenn die Realität nicht zu diesen
Bildern passt, hat die Realität
schlechte Karten.“
„Du meinst, ich bin hässlich?“ sagte sie.
„Du bist nicht hässlich“, sagte er.
„Du meinst, ich bin zu alt?“ sagte sie.
„Du bist nicht alt“, sagte er.
„Nein“, sagte sie. „Nicht alt. Aber
zu alt.“
Er sagte nichts.
Sie sagte: „Hast du mal in den Spiegel
geguckt?“
„An Spiegeln gehe ich seitlich vorbei“,
sagte er. „Aber du hast recht.“
Die Realität saß auf dem Sofa.
2 Köpfe saßen auf dem Sofa.
In den Köpfen wohnten 2 Fantasien.
Die Fantasien konnten einander nicht begegnen.
Die Realität hatte schlechte Karten.


Die Nacht ist Rum

Die Nacht ist Rum
Der Tag ist Wasser
Manchmal weiß ich nicht
was ich im Glas habe
Vielleicht kalten Grog
ohne Zucker
Und ich weiß nicht
wie spät
Und ich weiß nicht
ob es hell oder dunkel ist
dort draußen
Falls es das Draußen
wirklich gibt
Es ist gleich
Es ist gültig
Es ist gleichgültig
Es ist jetzt &
Es soll mir niemand sagen
wie spät es ist


Nichts los

Mit dieser Nacht war nichts los,
oder mit mir war nichts mehr los.
Ich hasse solche Nächte, die
nach der Euphorie kommen;
hasse den tiefen Absturz nach
den Höhenflügen.
Ich fand alles scheisse, was ich
jemals geschrieben hatte, ich wollte
alles klammheimlich verschwinden
lassen, auslöschen. Ich
dachte daran, dass ich am nächsten
Morgen auf den verdammten
Handwerker warten musste, der
den Stromzähler austauschen wollte;
ich dachte daran, dass ich
einkaufen musste, dass ich
tanken musste, dass der Wagen
vielleicht nicht anspringen würde;
ich dachte daran, dass ich abends
wieder zur Arbeit fahren musste.
Haare waschen, rasieren, Männchen
machen. Alles widerte mich an.
Dazu kam all das, wozu ich mich
wieder nicht hatte aufraffen können:
Wäsche waschen, Staubsaugen,
Haare schneiden. Es war
lächerlich. Ich war lächerlich.
Diese Nacht war lächerlich.
Aber am lächerlichsten war es,
sich hinzusetzen & darüber zu
schreiben.


Würfel

Die Würfel sind
gefallene Engel

aus den Wolken
in die Hölle

gefallen

Sie gefallen mir
Sie tun mir viele
Gefallen

Ich zähle ihre Augen
Dunkle Augen des
Schicksals

Die Summe
immer gleich

Geworfen sind sie
wie wir

geworfen sind

in das Leben

oder in die Wolken
oder in die Hölle

Engel
die fallen


Ihre Jugend

Sie kannte sich nicht aus
mit dem Leben
Sie war so jung
so jung

Sie wusste nicht
dass es
nach dem Schweigen
noch Worte geben
kann

Worte ohne
Vergangenheit
Worte der veränderten
Gegenwart

Worte
der Ermutigung
Worte
ohne Angst

Sie schwieg

Sie musste schweigen
denn sie war so jung
&
sie kannte sich nicht aus


Das Gewohnte

Wohnen im Gewohnten :
Eine Beruhigung, die der letzten Ruhe ähnelt.

Eine Wohnung,
in die man gesperrt wird. Immer wieder.
Jede Flucht endet in dieser Wohnung,
die eigentlich eine Zelle ist. Eine Zelle,
in der man sein Leben verbringt;
in der das Leben verbracht wird,
bis es verbraucht ist.
Eine Zelle voll von fressenden Zerrspiegeln,
Wahrnehmung ohne Wahrheit.

Es geht einem dreckig, und
man gewöhnt sich daran.
Die Hässlichkeit, die Verzweiflung,
der Schmerz sehen erträglich aus
in der verzerrten Spiegelung. Und
man kann weitermachen, mit dem
Bisschen Existenz, das man noch hat.

Aber wehe, wenn es einem nicht
dreckig geht. Den Spiegeln ist es völlig
gleichgültig, was man ihnen vorhält.
Sie fressen alles.Sie verwandeln alles.
Bis einem das Fremde bekannt vorkommt
& uninteressant wird.

Wo ist sie hin, die Schönheit, die ich
gerade noch erkannt habe?
Nur ihr ZerrBild ist übrig geblieben,
und was ich darin erkenne, ist
etwas anderes. Es ist nicht
Erkenntnis.

Ein Anblick, so falsch wie die Gefühle,
die er hervorruft.

Sie sind unzerstörbar, diese Spiegel.
Kaum einen Kratzer kann man ihnen zufügen;
nur manchmal – vielleicht – für einen
flüchtigen Moment. Mit der Kraft der
Gedanken.

Man sieht einen winzigen Haarriss
& darin
das UnGewohnte

wie es verschwindet

 

(Inwendig vorgetragen:)


Der alte Teppich

Der alte Teppich kannte
die Zahl meiner Schritte

Der alte Teppich zählte
die Schlucke, die ich verschüttet hatte

Der alte Teppich schluckte
unsere Orgasmen

Der alte Teppich kannte
die Einsamkeit

Der alte Teppich wußte
wohin

Der alte Teppich wies
mir den Weg

Der alte Teppich war
alt

Er war wie

ich


Fingerkuppen

Ich sah ihre Fingerkuppen
Vibrato auf dem Hals des Cellos
Sah das Licht der Scheinwerfer
auf ihrem Haar

Hörte Bach

Wie schön ihre Finger waren
Wie schön ihre Fingernägel
Kurz gefeilt & glänzend

Noten
die zitterten

HarmoNie
HarmoImmer
HarmoEwig

Ich sah ihre Oberarme
im Rhythmus
der Noten

Sah ihre geschlossenen Augen

Konzentriert aufs Wesentliche

Hörte

Hörte

Ewigkeit


Schwarzes Papier

Die schwärzeste unter den Nächten
verschluckte die Mondscheibe &
fraß Laternenlicht. Schwarze
Perlenketten wurden aufgeschnitten.

Die Nacht schrieb ein Gedicht
mit schwarzer Tinte auf schwarzes
Papier; & nannte es Tod der
Erinnerung
.

Ich wankte durch Dunkelheiten &
spuckte in den Rinnstein: Schwarzes
Blut. Schwarze Tiere mit schwarzen
Zungen leckten es auf.

Das Etikett der Flasche war schwarz.
Ich trank die Nacht. In meinem Kopf war
schwarzes Papier. Ich schrieb ein Gedicht
darauf; & nannte es Egal.

Die schwärzeste unter den Nächten
konnte es entziffern; sie hatte den
schwarzen Schlüssel zur Geheimschrift
meiner Gedanken.

Ich schluckte, was sie schluckte;
ich schrieb, was sie schrieb;
Pulsadern wurden aufgeschnitten &
aus schwarzem Blut formten sich Worte.

Die schwärzeste unter den Nächten
war stumm wie eine Perle, & sie
erkannte mich; denn
sie hatte mich geboren.


Mein kostbarster Besitz

Mein Hirn: eine matschigfaule Frucht
Ein Kater schnurrte darin &
spielte mit seiner Schwanzspitze
Die Sonne tat was ich wollte: Sie ging unter

Was war passiert
letzte Nacht oder
am Morgen bevor ich
schlafenging?

Ich erinnerte mich
dunkel

Ein Gefühl war gekippt
wie billiger Wein der
zulange offen steht

Essig

Ich konnte wieder klar
sehen

Nicht dass mir an der Klarheit
viel gelegen wäre
Aber ich gehörte wieder
mir selbst

Mein kostbarster Besitz

Ich machte mir mein
abendliches Frühstück:
Eier mit Schinken auf Toast
Ketchup
1 Liter Grüner Tee &
ging damit zurück ins Bett

Schaltete das Radio ein
atmete unfrische Luft &

fühlte mich gut

Gedanken kehrten zurück
in meinen Schädel
Sie waren mein Eigentum
Gedanken wie reife
Eiterbeulen

Und diejenigen
die nicht von alleine platzten
konnte ich
ausdrücken

Die nächste Nacht
stand bevor

Mehr brauchte ich nicht

Mehr brauche ich
nie


Fechten

Ich fechte
mit der Zeit

Nicht immer
weiß ich

ist es
Florett
Degen
Säbel
Schwert ?

Ich sehe
die Schmisse

in meiner
Fresse

Die Maske
habe ich abgesetzt

vor langer
Zeit

Schutz
brauche ich nicht mehr

Wer auch immer
gewinnt

ist
der Sieger

& hat
recht

mit kleinem
r


Nichts Besonderes

Ich betrachtete die Fleckenfratzen auf der Theke,
versuchte etwas in ihnen wiederzuerkennen;
gute alte UnBekannte. Die sich aus dem Staub
gemacht hatten. Staub, in den man zeichnen
konnte, mit Fingern der Langeweile.

„Du hättest etwas aus deinem Leben machen können“,
sagte er.
„Das Leben hat etwas aus mir gemacht“, sagte ich. „Und
das ist mir wichtiger.“

Das Bier schmeckte nicht besonders. Ich grinste.
„Ansonsten hat sich niemand etwas aus mir gemacht.“
„Das ist ja wohl nicht wahr“, sagte er.
„So wahr wie meine Wahrheit sein kann.“
„Also nicht besonders wahr.“
„Stimmt“, sagte ich. „Nicht besonders. Aber
es klang schön. Und das ist die Hauptsache.“

Gegenüber saß eine junge Frau neben einem
sehr viel älteren Mann. Sie unterhielten sich
angeregt. Der Mann war etwa
in meinem Alter. Hin & wieder sah die Frau
zu mir herüber; blickte mir tief in die Augen.
Ich las in ihnen: Du bist nichts Besonderes.

Ich bestellte noch 2 Bier.

Worauf wollte ich hinaus?
Keine Ahnung. Auf Nichts wahrscheinlich.
Ich will meistens auf Nichts hinaus.
Ich kenne mich aus im Nichts & mag es.

Wir schwiegen. Wir tranken.
Ich blickte auf die Flecken, betrachtete die Augen.
Hörte auf Nichts.

Dann
machten wir uns aus dem Staub.


Glück & Talent

Ich habe es so oft erlebt
& trauerte so oft
deshalb

Menschen
die unglücklich waren
verzweifelt
verwirrt
verstört

& so reich an Talent
Ihre Worte faszinierten
Ihre Sätze waren einzigartig
Ihre Texte grandios

Und dann

nahm ihr Leben

eine

glückliche

Wendung

Ihre Worte
wurden hohl
Ihre Sätze gemein
Ihre Texte fad

Lange Weile
plätscherte

In Bahnen
die schon Milliarden von Menschen vor ihnen
ins Nichts
geleitet hatten

Es war so traurig

Und doch
Diese Trauer ist reiner
Egoismus

Man sollte es ihnen wünschen
Dieses Glück
Das in die Nichtigkeit führt

Denn für sie
bedeutet es
vielleicht
Alles

Ansonsten
bedeutet es
aber

Nichts

Nichts

Nichts


Der 8eckige Papierkorb

Ich
sehe den 8eckigen Papierkorb
auf dem Foto des Dichters

Ich
habe einen runden Papierkorb

Ich
drehe meine Runden

Er
– so hoffe ich –
eckt
an

Habt

8 !


Der Puppenkopf

Warmer Wind schob Wolken durch das Abendrot
Der Mann hinkte
Die Gassen waren eng
Kopfsteinpflasterschritte prallten an Fachwerkfassaden
Passanten schauten hin schauten weg
Zu & von dem Mann der hinkte
In der einen Hand die Weinflasche
In der anderen den blonden Kopf einer Schaufensterpuppe
Der Kopf war stumm aber der Mann spielte
mit Wortmurmeln die er splitternd fallen ließ
& die niemand fangen konnte

Sein Verstand war ein anderer als andere
Von anderen nicht verstanden
Von ihm nicht begriffen
Ein Labyrinth in welches das Leben ihn
gestoßen hatte
Ohne Roten Faden
Aber mit einem Ungeheuer im Mittelpunkt
das keine Erklärungen für ihn hatte

Er setzte sich auf den Rand eines Blumenkübels
Dort wo 2 Gassen aufeinander stießen
Er trank vom Wein &
schaute in die aufgemalten Augen des Puppenkopfes
Er sagte etwas
Er schwieg etwas
Er legte den Kopf zwischen die Blumen

Dann stand er auf & hinkte fort

Weiter & weiter im Abendrot
Von einer Gasse in die nächste

Plötzlich blieb er stehen
hob die Hand mit der Weinflasche
schüttelte sie leicht
sah wieviel noch darin war & lächelte

Hob die andere Hand
sah dass sie leer war
& weinte


Der Zahnärzteball

So wahr mir Satan helfe,
oder sonst irgendeine dieser Lichtgestalten!
Genau so ist es geschehen,
so & nicht anders :

Der Zahnärzteball war vorüber.
4 Uhr nachts, der letzte Zahnarzt, die letzte
Zahnärztin samt Anhang waren fort, die
Musik aus, die Kerzen erloschen. Der
Saal wurde aufgeräumt. Ich saß am
Empfang & las Tschechow, während die
anderen arbeiteten; Gerechtigkeit muss sein.
Schließlich kamen die Kellnerinnen & Kellner
nach & nach zu mir, um abzurechnen.
Münztürme wurden aufgebaut, Scheinstapel geschichtet.
Kredit- & EC-Karten-Belege aufaddiert.
Ein Mann betrat die Halle, hustete, rülpste,
sah sich um, kam zu uns, lehnte sich auf den
Rezeptionstresen.
„Was issn das hier?“ sagte er. Laut. Sehr laut.
Und riechend.
Ich antwortete. „Hab mir sagen lassen, man nennt
sowas Hotel.“
„Sehr witzig, Alter. Sehr witzig.“
Ich freue mich jedesmal über Menschen, die nur
zum Stänkern hereinkommen, sofern sie mir
unsympathisch sind (es gibt auch Stänkerer, die
sofort meine Sympathie haben); die Unsympathischen
aber bieten mir die Gelegenheit, alle aufgesetzte
Höflichkeit auf den Müll zu schmeissen.
„Ich bin Komiker“, sagte ich, „das hier ist mein
Nebenjob.“
Er starrte auf das Geld. „Und was kostet ein
Zimmer in diesem Saftladen?“
„Hängt von der Nase des Gastes ab.“
„Und wenn ich ein Zimmer will?“
„Ich hab da noch eins in Besenkammergröße.
Für Sie mach ich nen Sonderpreis. 750 Euro.“
Er langte über den Tresen. Wischte alles von
der Arbeitsfläche; Münzen, Scheine, Belege
flogen & flatterten.
„Is doch alles Scheisse hier“, rief er. „Alles
Scheisse!“
„Die Drehtür wartet schon auf Sie“, sagte ich.
Er warf mir einen Blick zu; ich warf zurück.
Er machte kehrt. Richtung Ausgang.
„Drecksladen“, rief er. „Verfickter Drecksladen!“
Die Tür schaufelte ihn nach draußen. Er überquerte
die Straße, verschwand im gegenüberliegenden
Hauptbahnhof. Türmchen wurden neu gebaut.
Abrechnung, die Zweite.

Später. Das Personal saß in der abgedunkelten
Bar beim Feierabend-Bier. Ich stand hinter der
Theke & trank mit, obwohl ich keinen Feierabend
hatte. Und dann sah ich ihn. Im Geschwindschritt
überquerte er die Straße. Bei Rot. Bewegte sich
wieder aufs Hotel zu. Ich beeilte mich, schloss
Drehtür & Seiteneingang ab. Blieb dort stehen &
wartete. Unsere Blicke trafen sich durch Glas.
Erst rüttelte er an der einen Tür; dann an der andern.
„Ey!“ rief er, „Was solln das?! Mach auf, Alter!“
„Nichts da. Verpiss dich.“
„Ich muss kacken, Mann. Da drüben im Bahnhof
sind die Klos geschlossen.“
„Dumm gelaufen“, sagte ich. „Solche Eventualitäten
sollte man immer vorab in Erwägung ziehen.“
„Arschloch!“ rief er.
Die Hotelbar leerte sich, wir bekamen Publikum.
Ich grinste ihn an.
„Ey, wenn du bei 3 nicht aufmachst, scheiss ich euch
in die Drehtür!“
„Viel Spaß dabei, aber pass auf, dass die Bullen dir
dann nicht die Nase in den eigenen Haufen drücken.“
„Eins!“
Ich grinste.
„Zwei!“
Ich grinste.
„Drei!“
Ich grinste, und er machte den Gürtel auf.
Das Publikum kam näher. Bildete einen Halbkreis.
Knopf, Reißverschluss …. Er ließ die Hose runter.
Hockte sich ins Drehtürviertel. Alle lachten &
kommentierten seine Erscheinung.
Ich habe viele Schwächen; Koprophilie gehört nicht
dazu. Also ersparte ich mir den Anblick & ging zum
Telefon. Wählte die Nummer, die ich längst auswendig
wusste; die zuständige Dienststelle. Wahrscheinlich
erkannten die mich schon an der Stimme.
„Also, Sie werdens vielleicht nicht glauben, aber uns
kackt hier gerade einer in den Eingang; und ich rede
nicht von einem Tier.“
„Ich schick gleich mal jemanden vorbei.“ (Ich hörte
das Grinsen in der Stimme.)
Es gab Applaus. Azubinen kicherten. Amüsierter Ekel.
„Ich könnt das nicht“, hörte ich. (Richtig, irgendwie
war der Kerl beneidenswert.)
Papier hatte er keins. Er erhob sich wieder & zog sich
an. Dann ging er auf & ab. Konnte sich offenbar
nicht trennen von seinem Publikum. Oder von seinem
Haufen. Die Polizei fuhr vor. Ein Mann & eine Frau.
Der Produzent & sein Produkt wurden in Augenschein
genommen. Ich schloss den Seiteneingang auf.
Diskussionen folgten. Personalien wurden aufgenommen.
Ich fing an, mich zu langweilen. Ein Azubi, der die
meiste Zeit über bekifft war, mischte sich ein; richtete
sich an die Polizei. „Ihr macht solche Leute doch erst
möglich“, sagte er. – „Schnauze“, sagte der
Restaurantleiter. – „Man kann einem Mann doch nicht
den Stuhlgang verwehren“, sagte der Scheisser.
Es endete damit, dass die Polizei verärgert war, den
Mann laufen ließ, und der bekiffte Azubi den Haufen
wegmachen musste. Er tat dies mit einer
Kehrschaufel aus Plastik. Dann ging er in die
Küche & legte die Schaufel in die Geschirrspülmaschine.
Zu Tellern, Gläsern & Besteck.
Niemand hielt ihn davon ab.
Es dauerte Wochen, bis ich mich dazu durchringen
konnte, dort wieder etwas zu essen. Immer musste
ich an die Gesellschaft denken, in der das Geschirr sich
befunden hatte. (Wäre es wenigstens der Scheisshaufen
einer hübschen jungen Frau gewesen!)
Die Gäste ahnten nicht, von welchen Tellern sie aßen,
aus welchen Gläsern sie tranken, welches Besteck
sie sich in den Mund schoben.
Und jedes Mal, wenn ich beim Zahnarzt auf dem
Stuhl sitze, muss ich an jene Nacht denken ….

So wahr Satan mir helfe!


Das Leben als Sein & Vorstellung

Ich erwachte in dem Gehirn
eines anderen Menschen
Erwacht aus dem Schlaf
der meine Realität gewesen war

Plötzlich lebte ich als
Vorstellung
als Fantasie
als Traum
eines Anderen

Mein Leben war nur noch
der Reflex des fremden
Geistes

Ich wurde wahrgenommen
aber diese Wahrnehmung war
nicht wahr
War
nicht ich

Dennoch
es war aufregend
eine neue Form der
Existenz

Ein Leben im
Woanders

Ungewiss
für eine gewisse Zeit

Dann:

Wurde ich wieder gelöscht
von dem fremden Bewußtsein
aus dem fremden Bewußtsein

Vorstellung Fantasie & Traum
waren mir verschlossen
blieben mir verschlossen

Für einen Moment
schien ich nicht mehr zu existieren
Der fremde Geist ließ mich nicht mehr zu
Meine Realität hatte ich irgendwo
vergessen
Ich musste mich erst erinnern
wo
Ich musste sie wiederfinden

Musste sie wiederfinden
obwohl ich das Interesse an ihr
verloren hatte

Aber irgendwo
muss man ja

sein


Abwasch

Ich liebe es
Berge von schmutzigem Geschirr spülen
Das eingetrocknete Olivenöl aus der Pfanne schrubben
Teebeläge aus der Kanne bürsten
Besteck & Gläser zum Glänzen bringen
Die Reste der Martinis aus dem Shaker wischen
Fettpfützen aus tiefen Tellern entfernen
Zwiebel- & Knoblauchreste von Brettern kratzen

Ich liebe es
die Schublade des Toasters ausschütten
Die Kaffeemaschine zum Glänzen bringen
Den Herd blinken lassen
Die Spüle polieren

Töpfe waschen
Backbleche reinigen

Ich liebe es
das schmutzige Wasser
das in den Ausguss fließt

Sinn
Eine einfache Tätigkeit
die ein einfaches Resultat zur Folge hat
Sauberkeit

Ein Ergebnis
das
nicht auf sich warten lässt

Ein Anblick
der einen belohnt
für das was man getan hat

Licht
das reflektiert wird

Ich liebe es

Weil es so einfach ist


Die Beschaffenheit des Wahnsinns

Der Helle Wahnsinn!
Der Reine Wahnsinn!

Nein danke
kein Bedarf

Ich brauche den
Dunklen Wahnsinn
Den Wahnsinn
der nachts auf Friedhöfen swingt
& die Fuselflaschen auf
Grabsteinen zerschmettert

Ich brauche den
Unreinen Wahnsinn
Den Wahnsinn
der voll von schmutzigen Gedanken
aus dem Sumpf des Lebens
kriecht

Gelächter
in Dunkelheit & Dreck

Versiffte Schatten
die mit mir tanzen
zur Musik eines Komponisten
der in geistiger Umnachtung
endete

Danse Macabre!

Bilder von
abgeschnittenen Ohren

Fantasien
die hinter syphilitischen Stirnen
geboren wurden

Schwarzes Feuer
das ewig brennt

Helligkeit
Reinheit
Ich brauche Euch nicht !

Ich kenne die Gosse
in die der Dichter fiel
schwarz gekleidet

in einer Nacht
die niemals endete


Rollos

Die Rollos
(schreibt man das heutzutage so?)
runtergelassen
gegen alles
das eindringen könnte

Normalität
Worte
Liebe (falsch)
Blicke
Sonne
Stimmen
Nüchternheit

Der Schmerz
bleibt draußen

Gedanken
bleiben dunkel

Gefühle
düster

Wie schön
Das Geräusch

Wenn man
die Rollos

herunterlässt


Etwas

Sie
haben
nichts
zu sagen

Aber
sie
sagen
etwas

Und
dieses
Etwas
ist

Nichts


Nichts

Ich
habe
nichts
zu sagen

Also
sage
ich

nichts


Der Schnellzug

Und wiedermal bist Du drüber hinweggekommen
Wie der Schnellzug über den Kopf des Selbstmörders
Ein bisschen was von Dir ist auf der Strecke geblieben
Aber das ist nicht wichtig

Wichtig ist
dass Du etwas hattest, worüber Du
hinwegkommen musstest
Und dass Du es geschafft hast

Die Veränderung, die es bewirkt hat, ist gut
Der Schmerz ist gut
Die Traurigkeit ist gut
Denn das ist die Lebendigkeit in Dir

Du kannst großzügig sein
mit Dir
& mit Anderen
Keine Rechtfertigungen
Keine Vorwürfe
Es ist keine Zeit dafür

Zu schnell wird der Zug sein Ziel erreichen
Den Kopfbahnhof, wo Du aussteigen musst
Schau aus dem Fenster
solange er unterwegs ist

Sieh was auf der Strecke liegt
Es ist nicht so wichtig
Wie Du manchmal denkst


Der hohle Baum

Nacht. Wald. Windstille. Mondlicht, das durch Baumkronen splitterte. Meine Schritte, mal knisternd, mal dumpf. In der einen Hand hielt ich eine Taschenlampe, in der anderen einen Zettel. Ich hatte diesen Zettel gestohlen, aber der, dem er gehörte, vermisste ihn wahrscheinlich gar nicht; wusste vielleicht nicht einmal etwas von dessen Existenz. Egal. Die Wegbeschreibung hatte mich fasziniert. Kritzelei. Geheimnis. Vielleicht etwas Unbekanntes, das man finden konnte. Irgendwo am Ende. Endlich etwas suchen. Das man nicht verloren hatte.
Es war noch angenehm warm. Waldluft, Geraschel von Tieren … Was hätte ich Besseres tun können, als mitten in der Nacht hier umher zu laufen? Das Taschenlicht auf den Zettel gerichtet, kam ich nur langsam voran; die Zeichnung & die dazugehörigen Worte waren alles andere als eindeutig. Mögliche Mißverständnisse schienen absichtlich eingebaut, sollten in die Irre führen. Das reizte meine Neugier nur noch mehr. Wie lange ich schon unterwegs war, keine Ahnung; ich habe nie eine Uhr bei mir. Dort, wo man manchmal wissen muss, wie spät es ist, gibt es immer jemanden, der es einem sagen kann; an allen anderen Orten muss man es nicht wissen.
Irgendwann also. Irgendwann stand ich vor dem gewaltigen Baum. Das musste er sein. Dicker als alle andern. Im Lichtfleck der Taschenlampe wirkte seine Oberfläche krank. Pilze umstanden ihn wie kleine Schachfiguren. Den Mond wehrte er ab. Man musste etwas Bestimmtes tun; es stand auf dem Zettel.
[…]
Warmes Licht strahlte blaß durch die schmale mannshohe Öffnung des Baumes. Es kam von unten. Rötlich-orange, ein Rechteck, schwach auf den Waldboden reflektiert. Fast blendend nach all der Dunkelheit. Ich trat näher. Schaute durch die Öffnung. Eine steile Treppe mit Geländer führte hinab zu einem Holzfußboden. Essensduft stieg nach oben. Wie eine Kindheitserinnerung.
Ich bin recht dünn. Zwängte mich seitlich durch den Spalt. Leicht nach hinten geneigt, Hand am Geländer, Stufe um Stufe hinab. Viele Stufen, viele Meter. Hinter mir schloss sich der Baum, knarrend. Der beengte Abstieg endete …..
….. endete in einem großen Gewölbe voll feurigem Licht; Kerzen & Kamine leuchteten. Alles war mit dunklem Holz ausgeschlagen. Möbel aus dunklem Holz. Asymetrisch angeordnet; keine rechten Winkel. Wärme, Hitze. Schatten wie Scherenschnitte. Leuchtende Schleier aus Tabakqualm. Und überall Bücher & Zettel. Papierene Welten. Bleistifte. Staub & Spinnennetze.
Die junge Frau stand mit dem Rücken zu mir an einem altertümlichen Herd. Rührte. Lange schwarze Haare. Schlank. Sie trug einen dunklen Pullover, der ihre Oberschenkel zu einem Drittel bedeckte. Sonst nichts. Barfuß. Ich blieb an der Treppe stehen.
Sie wandte ihren Kopf, blickte mich über die Schulter hinweg an. Zögerliches Lächeln.
„Hey“, sagte sie.
„Hey“, sagte ich.
„Wieder mal einer, der den Weg gefunden hat.“
Traurige Augen. Die sie dann wieder auf den Topf richtete.
„Ja, ich habe die Karte gefunden“, sagte ich.
„Gefunden?“ (Ihre Stimme!)
„Mehr oder weniger.“
„Wenn du sie gefunden hättest, wärst du nicht hier.“
Weg von der Treppe, ein paar Schritte wenigstens. Ich sah, was die Flammen mit ihren Schenkeln machten.
„Wieso?“ fragte ich ihren Hinterkopf.
„Nur wer sie stiehlt, findet hierher. Und das waren bisher nicht viele.“
„Tja, Scheisse, ich bin ein verfickter Dieb, ich gebe es zu.“
Genet“, sagte sie.
„Genau. Genet.“
„Setz dich.“
Sitzgelegenheiten noch & noch. Ich legte Lampe & Zettel auf den nächstbesten Tisch & wählte ein Sofa, zu dem ein Grammophon gepasst hätte; eine Kissen-Oase.
Sie drehte sich herum. „So, Köcheln ist angesagt.“ Es war ein Rollkragenpullover. Grobe Maschen. „Was zu trinken?“
„Alles, was die 40%-Hürde schafft, ist willkommen.“
„Absinth“, sagte sie.
„Grün wie die Hoffnung“, sagte ich.
Verdammt, da stand ja tatsächlich ein Grammophon. Vor einem Regal mit ausgestopften Vögeln; ganz oben ein starrender Uhu.
Sie tappste zu einer Kommode voller Flaschen & Gläser.. Reflexionen. Zuckerwürfel, die sie in Brand setzte; Zischen & Rühren & Löschen mit Wasser.
Dann trat sie mir nah. Beine, Pullover, Schatten unter den Augen. Sie reichte mir das Glas. Fingerspitzen, die sich berührten.
Sie setzte sich zu mir.
„Was gibt’s zu essen?“ fragte ich.
„Hackbraten mit Pilzen. Als Nachtisch Feigenkompott.“
Falscher Hase, dachte ich, Alice im Wunderland …. Wo ist der echte Hase? Wo die Uhr?
Es gab eine Standuhr, aber die zeigte eine Zeit an, die nicht stimmen konnte. Das Pendel bewegte sich; lautlos. Lautlos?
Ihre Schenkel so nah. Angewinkelt. Haut, so blass. So glatt. Duft.
Wir nippten gleichzeitig getrübten Anis.
„Verrückt“, sagte ich.
Verrückt“, sagte sie. Bei ihr klang es so anders. Ein Wort, das man streicheln musste. Ihre Nase war eine Sprungschanze, ihr Mund das Kissen für die Landung. Sommersprossen. Kerzenflämmchen tanzten in ihren Pupillen.
„Was mach ich hier eigentlich?“ sagte ich.
„Tja, was? Vielleicht – mich retten?“
„Wovor?“
„Vor all dem.“ Eine ausladende Geste.
„Ich finde es sehr schön hier.“
„Nur wenn man es zum ersten Mal sieht. Für mich ist es der Schädel eines Wahnsinnigen, in dem ich lebe.“
„Wieso lebst Du dann hier?“
Sie nahm einen großen Schluck.
„Lass uns über was anderes reden“, sagte sie.
„Wie du willst.“
Ich stellte mein Glas auf einen Tisch voller Bücher. Zwischen Joyce, Proust & Huysmans.
„Du hast ein Grammophon.“
Sie lächelte. Eine winzige Zahnlücke zwischen ihren oberen Schneidezähnen.
„Ja, manchmal lege ich eine uralte Platte auf & tanze dazu. Nachts. Allein.“
„Das würde ich gerne sehen.“
„Du spinnst.“
„Nur manchmal“, sagte ich. „Bist du denn immer allein?“
„Ja, immer. Ich weiß nicht mal, wo das Essen herkommt. Oder alles andere, was man so braucht. Es ist einfach da.“
Sie kippte den milchigen Rest & stellte das Glas neben meins.
„Ich habe längst aufgehört, mir Fragen zu stellen“, sagte sie, „oder nach der Realität in all dem hier zu suchen. Logik ist mir scheissegal inzwischen. Es gibt sie nicht. Nicht hier. Die meiste Zeit bin ich ohnehin verwirrt.“
„Aber du schreibst.“
„Ja, ich schreibe. Was soll ich auch sonst tun?“
Sie rückte etwas näher. Ihr Knie berührte mich. Leicht.
(Schwere in meinem Schwanz.
Schnell, so schnell. Vielleicht. Aber auch die Zeit hatte hier etwas Seltsames, Unbekanntes. Eine Mixtur aus -Raffer & -Lupe.)
„Ich bin so einsam“, flüsterte sie.
„Ich auch“, flüsterte ich.
„Aber nicht so.“
Die Flämmchen glitzerten näher.
„Wie heißt du?“, fragte ich.
„Das ist unwichtig“, atmete sie in mein Gesicht. „Und du?“
„Das ist noch unwichtiger.“
Sie legte ihr Bein über meine Oberschenkel. Weich.
Dann: Hände … Haut … Lippen … Zungen … Gerüche … Nässe zwischen ihren Beinen … Glitschige Finger …
Sie erhob sich vom Sofa. Durchquerte den Raum. Hinüber zu dem großen schweren Bett zwischen roten Lampenschirmen. Im Gehen zog sie den Pullover über ihren Kopf. Mein Schwanz beobachtete sie. Die schwarzen Haare, die über den hellen Rücken fielen. Ihren Arsch, wie sie ins Bett kletterte. Jede Schwingung. Ihre Fußsohlen. Feuerlicht auf ihrer Haut. Sie legte sich auf die Decke, bäuchlings, mir zugewandt. Augen. Blick. Blick. Augen. Ich ging zu ihr.

Die Zeit …. Seltsam … Unbekannt … 2 Einsamkeiten, die sich ficken … Sehnsüchte … Etwas Vergessenes, das wieder einfällt & in ein anderes Vergessen führt … Saufen, was aus Körpern dringt … Schläge in & außer Takt … Schreie … Worte … peitschende Beschimpfungen … Atem & Atemlosigkeit … schwitzende Fantasien … Schmerzen … Tränen Sperma Fotzensaft … zitternde Suche … ziellose Gier …

Schwitzend auf dem Bett. Sie drehte sich eine Zigarette; schnell, geschickt. Spitzzunge. Das Zipp-Clock! eines Zippos. Sie inhalierte tief.
„Das Essen kannste wohl wegschmeissen“, sagte ich.
„Nö, das geht schon noch, irgendwie. Ausserdem hab ich einen Mordshunger.“
Die meisten Kerzen waren erloschen. Kamingeflacker. Sie blies Rauchringe ins Licht der Nachttischlampen. Wir drückten unsere nassen Häute aneinander.
„Wie bist du hierher gekommen?“ fragte ich.
„Genauso wie du. Ich hab einen Zettel geklaut. Ist Jahre her.“
„Wieviele von diesen Zetteln mag es wohl geben? Oder ist es immer derselbe?“
„Nein“, sagte sie, „allein hier unten liegen bereits 16 Stück.“
„Hmm. – Und, lebte damals jemand hier?“
„Ja, es lebt immer jemand hier. Damals war’s ein etwas seltsamer älterer Mann. Ich glaube, die meisten Bücher hier sind von ihm. Bin mir aber nicht sicher.“
„Hast du ihn auch gefickt?“
„Ja.“
„Und er hat dich allein gelassen?“
„Auf Dauer kann immer nur einer hier leben“ sagte sie. „Das ist einfach so.“
Ich streichelte ihren Oberschenkel.
„Wieso, was passiert denn sonst?“
„Einer von beiden verändert sich. Nach einiger Zeit. Es ist wie eine Art Krankheit.“
„Krankheit?“
„Ja. Einfach widerlich. Ich will da nicht drüber reden.“
„Okay“, sagte ich, „aber warum ist dann er gegangen, und nicht du, wo du’s doch hier so grauenhaft findest?“
„Anfangs fand ich’s ja nicht grauenhaft. Außerdem war er schneller.“
„Versteh ich nicht.“
Sie lächelte. „Du musst ja auch nicht alles auf einmal verstehen. Das ist ein bisschen viel fürs erste.“
Fuck“, sagte ich.
„Ja, genau, Fuck. Ich kümmer mich mal ums Essen.“
Mit der Zigarette im Mundwinkel stand sie auf. Ging zum Herd. Po-Swing! Blaßrötliche Landkarte meiner Schläge. Um die sie gebettelt hatte.
„Tja“, sagte sie, „Pilze zerkocht, Kartoffeln püreeähnlich, und das Gehackte ist sicher furztrocken.“
„Egal“, sagte ich.
„Genau, egal, der Hunger treibts rein. Kannst schon mal den Tisch decken; da drüben ist alles.“
Vorher ging sie noch pissen. Auch das Klo stand offen; es gab einfach keine Wände. Sie saß da & plätscherte, lächelte mich an, warf den Zigarettenstummel zwischen ihre Beine; Zisch. Sie wusch sich nicht die Hände anschließend; das gefiel mir.
Dann saßen wir nackt am Tisch. Teller & Töpfe zwischen Büchern; frische Kerzen. Die die Schatten unter ihren Augen beleuchteten.
„Wußt ich’s doch, dass es trotzdem super schmeckt“, sagte ich. „Eine Zauberkünstlerin der Gewürze.“
„Ich bins gar nicht mehr gewohnt, nicht allein zu essen. Irgendwie seltsam. Aber irgendwie auch schön.“
Titten sind mir nicht besonders wichtig, aber ihre gefielen mir. So als Garnierung des Essens.
Eine Spinne huschte über den Boden, als hätte sie eilige Geschäfte.

Sie finden nicht hierher. Sie finden nicht den Zettel. Sie würden den Zettel niemals stehlen, wenn sie ihn fänden. Sie hätten kein Interesse. Menschen, die funktionieren. Menschen, die mitten im Leben stehen; in einem Leben, das als normal bezeichnet wird. Menschen wie Zahnräder in einer Uhr. Ihre Zacken greifen ineinander, treiben die Zeit voran; sinnlos, leer. Zeitvertreib folgt auf Zeitvertreib. Bis dass der Tod sie scheidet ….. Sie ist kaputt, ich bin kaputt. Vergangenheiten, die uns die Zacken abgeschlagen haben. Fremdkörper in der Uhr. Schmerz, Neugier, Selbstzerstörung. Absonderung. Selbsthass & Egozentrik. Hungrig auf Alles & doch oft unfähig zu schlucken.

Tage? Oder Wochen?
Keine Ahnung. Ich verstand die Zeit nicht mehr. Und sie konnte mir die Zeit auch nicht erklären; sie wusste noch weniger darüber als ich. Und ihre Standuhr war verrückt.
Es lohnte sich nicht, Klamotten anzuziehen. Bett, Essen, Trinken; Trinken, Essen, Bett & Badewanne. Schaumblasen, die zwischen uns platzten. Nur hin & wieder zog sie etwas an, das mir besonders gefiel; etwas, das ihre Beine betonte. Ich lernte die kleine Narbe auf ihrer Zungenspitze kennen. Gespräche & Gespräche & Gespräche. Gegen das, was sie erlebt hatte, kam mir mein Leben nahezu geschmeidig vor. Es erklärte ihre Augen; es erklärte ihre Schatten. Es erklärte ihre Ängste. Ich las vieles von dem, was sie geschrieben hatte. In all diesen unterirdischen Jahren. Wenn es Jahre gewesen waren. Worte, die einen eigenen Ton hatten, einen eigenen Geruch, einen eigenen Puls. Und sie war so jung. Ich: 30 Jahre älter.
Wir tanzten zum Grammophon. Knisternde Orchestermusik; eine unbekannte Melodie. Die Hände auf dem Arsch des andern. Ab & zu gab die aufgezogene Feder einen aufschreckenden Knall von sich; manchmal zuckten wir leicht zusammen. Gekicher. Grinsen.
„Du machst mich so glücklich“, flüsterte sie.
Schweigen.
Tanzen.
Schweigen.
„Was meinst du, wann die Veränderungen einsetzen werden“, sagte ich.
„Ich weiss es nicht. Vielleicht schon bald. Und ich weiss auch nicht, wen es treffen wird.“
„Sieht man es?“
„Oh ja, man sieht es. Aber ich vermute, es verschwindet wieder, sobald man sich trennt.“
„Du bist nicht sicher?“
„Wie kann ich das?“, sagte sie. „Man sieht sich ja nicht mehr wieder.“
Wir tanzten. Die Nadel kratzte über die Schellackplatte. Mein Schwanz klemmte zwischen unseren Bäuchen.
„Ich fühle mich wie eine Irre“, sagte sie.
„Wie die Irre, in die ich geführt werden sollte“, sagte ich.
Wie oft wir diese Platte hörten …. Und immer kamen neue Kratzer hinzu.
Leben. Zeit. Abnutzung.

Schatten werden größer.
Spinnen werden schneller.
Essen wird nicht mehr zerkocht.
Wörter wechseln die Temperatur.

Und dann kauerte sie unter dem Bett. Nackt wie ein Tier. Geduckt wie ein Tier. Umschattet. Ich zitterte. Sie zitterte. Ihre Augen: Angst, die Angst machte. Verzweiflung, die verzweifeln ließ. Schmerz der Einsamkeit. (Mordgier im Hintergrund? Möglich.) Die Pupillen so weit, dass die Iris verschwunden war. Ihre Haut war zu einer Landkarte geworden; schwarze Linien, schwarze Flecken überall. Ihr Gesicht: eingefallen bis zur Hässlichkeit. Haare waren ihr büschelweise ausgefallen. Gesprungene Lippen.
Ich saß am Tisch & beobachtete sie. Nur wenige Kerzen brannten. Ich hatte mich angezogen. Es war alles schnell gegangen. Glaube ich. Die ersten Veränderungen noch beinahe unmerklich, zunächst in ihrem Wesen, dann auf ihrer Haut. Ich wußte, was es bedeutete; sie wußte es schon nicht mehr. Anfangs fickten wir noch, aber es war anders. Etwas seltsam Verbissenes war dabei. Andere Flammen tanzten in ihrem Blick …..
Wir starrten uns an. Hielten uns in Schach. So lange. So lange. Vielleicht. Schließlich schaute ich woanders hin. Sie sollte sich beruhigen. Schau ihr nicht in die Augen; sie ist Tier, sie ist Furcht.
Irgendwann. Sie kroch unter dem Bett hervor. Leise. Zaghaft. Ich schaute nicht hin; sah es nur am Rande. Sie lief zur Treppe, dumpf das Geräusch ihrer Füße. Vor der untersten Stufe blieb sie stehen, drehte sich zu mir herum. Sie atmete schwer. Grauen in der Schwärze ihres Blicks. Nackt, so nackt … und doch, ihre Haut tätowiert vom Schrecken. Kahle Stellen auf ihrem Schädel. Ich wandte mich von ihr ab, stand ganz langsam auf & ging hinüber zu dem Stuhl, auf dem ihr Pullover lag. Ich nahm ihn, er roch nach kaltem Rauch, drehte mich, noch langsamer, in ihre Richtung, und warf ihn ihr zu. Sie fing ihn; es war nur ein Reflex.
Dann rannte sie die Treppe hinauf, den Pullover in der einen, das Geländer in der andern Hand, ich hörte das Knarren des Baumes, rannte selber zur Treppe, schaute nach oben, sie zwängte sich durch die Öffnung, ihre Titten machten es ihr schwer, sie schaffte es, war draußen, blickte noch einmal durch die Öffnung, hinunter zu mir, es war Nacht, ihr Gesicht so dunkel.
Dann ….
Schloss sich der Baum.

Schreiben & Lesen. Lesen, was sie geschrieben hat. Schreiben, was sie niemals lesen wird. Ich versuche mir vorzustellen, wie sie lebt. Dort oben. Jetzt. Ich esse, trinke, existiere, schlafe, wichse, träume. Begreife nichts. Keine Verbindung zur Außenwelt. Innen. Welt. Ich langweile mich nicht, weil ich mich nicht langweilen kann. Sie lebt & erinnert sich an nichts. Vermute ich. Sie wird wieder schön sein, inzwischen. Ich hoffe es. Für sie.
Es ist merkwürdig mit dieser Treppe. Ich stehe manchmal vor der untersten Stufe, und ich kann meinen Fuß nicht darauf setzen; mein Bein bleibt unbeweglich, in dieser Richtung, wenn ich dort stehe. Fast noch merkwürdiger ist es, dass ich als junger Mensch – vielleicht so jung, wie sie es gerade ist – einmal eine Story geschrieben habe, die von einer Treppe handelte, die lediglich abwärts führte, von einer Treppe, die niemand hinaufgehen konnte. Als hätte ich es schon damals geahnt. Als hätte ich mein Leben schon im vorhinein überblickt.
Hin & wieder lasse ich das Grammophon laufen. Und wenn genug Absinth in mir ist, tanze ich dazu. Es gibt noch weitere Platten, aber ich höre immer nur die eine. Die kaum noch zu hören ist. Oftmals bleibt die Nadel hängen. Und ich tanze dennoch weiter.
Ich fühle mich nicht wie im Schädel eines Wahnsinnigen. Ich fühle mich wie in meinem eigenen Schädel. Aber vielleicht ist das ja das Gleiche.
Gibt es noch weitere Zettel? Irgendwo? Gibt es noch jemanden, der sie stehlen würde? Fast ist es mir egal. Nur zum Spaß mache ich gelegentlich den Stufentest. Im Grunde habe ich dort oben nichts zu suchen. Nicht mehr.

Ich habe dort oben nichts mehr zu suchen, weil ich dort oben nichts mehr verloren habe.


Die Schlangenfarm

Ich lebe auf einer Schlangenfarm
Die Schlangen haben Beine
lang & schön
Die Schlangen haben Haare
lang & schön

Die Schlangen hängen sich
an meinen Hals
Sie zischeln mir ins Ohr
bis ich grinse

Ihre Bewegungen sind geschmeidig
wie ihre Worte

Ich liebe ihre Haut
Ihre Zungen & ihre Zähne

Ich liebe ihren Biss

Ihr Gift ist
ein künstliches Paradies
Ein schmerzendes Vergessen
Ein schmerzendes Erinnern
Fantasie vielleicht
Sonst nichts

Ich lebe auf einer Schlangenfarm
Wo sonst könnte ich leben ?


Glückliche Momente

Manchmal möchte ich sie auslöschen
Die glücklichen Momente der Vergangenheit
Sie haben eine Farbe, die sich
beisst mit der Grundfarbe meines Lebens
Sie sind getaucht in eine Helligkeit
die einen zu starken Kontrast bildet
Farbe & Helligkeit & Kontrast schmerzen
Sie brennen in den Augen
Sie trüben den Blick
Sie verändern die Sicht auf das Leben

Die glücklichen Momente der Gegenwart
Auch ich bin schwach
Auch ich möchte sie bewahren
Die Augen schließen &
ihre Helligkeit dennoch sehen
durch Lider, die zu dünn &
voller Blut sind

Aber Gegenwart ist nicht greifbar
Nur die Vergangenheit bleibt einem
Nur die Vergangenheit ist immer präsent
Eine stetig wachsende Fläche
mit einer bestimmten Grundfarbe

Die glücklichen Momente der Vergangenheit
Ich möchte sie auslöschen

Manchmal
Manchmal

oft


10

Ich bin die Null
Du bist die Eins

zusammen sind wir

Zehn


Die Schmeißfliege

Ich würde sie küssen
die Schmeißfliege, die
auf Deinem Scheisshaufen saß

Sie ist blau
schimmernd

Blau wie ich
der ich nicht schimmern kann

Sie kann fliegen
Sie kann summen

Fliegen kann ich nicht
Vielleicht in Träumen

Summen kann ich
Wenn wir miteinander sprechen

Aber wir sprechen nicht mehr
miteinander

Die Klatsche

Ich habe einen an der Klatsche

Die Schmeißfliege
Ich träume von ihr

Ich werde sie nicht verletzen
Ich kann ihr nicht weh tun

Sie soll fliegen

fliegen

summend

blau

schillernd

dorthin

wo Dein Duft wohnt

Vielleicht
kommt sie von meiner
Leiche
an der sie saugte

Vielleicht
lächelte sie dabei

Ihre Flügel
zittern

Ich zittere
mit ihr

Und ich
küsse sie


Gefühl?

Gefühl?
Nein, nicht ich, nicht ich, nicht ich
Ich bin cool
so cool
fast schon tot

Ich erinnere mich an
irgend etwas
das an Gefühl erinnert
aber kein Gefühl mehr ist

Gefühl?
Nein, nicht ich
Ich bin cool
Ich bin kalt

Kalt wie der Gin
aus dem Gefrierfach

Kalt wie die Toten
die ich kannte

Gefühl?
Nein, nicht ich, nicht ich, nicht ich
Ich bin cool
so cool
fast schon tot

Ich lache
wenn andere weinen

oder ist es umgekehrt?
In der Nacht….

In welcher Nacht?

Ich kenne Nächte
inzwischen
die ich glaubte
vergessen zu haben

Aber nein!
Ich bin cool
so cool
fast schon tot

Da ist etwas
kalt wie Gin

Gin aus dem Gefrierfach

Gefühl?


Papier & Vodka

Alles was auf Lüge beruhen könnte
sollte man auf Papier schreiben
Gedichte – von der Lüge gezeugt
& von der Gutgläubigkeit empfangen
Stories – die aus dem Verstand kommen
den die Lüge gefickt hat

Fehlgeburten, nichts als Fehlgeburten

Papier Papier Papier

Papier ist real

Virtuell war der Ursprung
der Gefühle
Virtuell wie das Computerprogramm
in dem die Worte nicht greifbar sind

Papier
Ich schütte Vodka darauf
die Lieblingsmarke der Lüge
ABSOLUT
Ich zünde es an
Sehe wie Zeichen sich kräuseln
Sehe den Tod meiner Worte
die niemals das Recht hatten
geboren zu werden

Papier
die Sterbeurkunde der Hoffnung

Flammen
die sich in Rasiermessern spiegeln

Wörter sollen nicht gelöscht werden
Sie sollen verbrennen

Sie sollen schreien vor Hitze
Sie sollen verglühen

Tod Tod Tod
Tod der Worte
Kein Erbarmen

Papier & Vodka
Vodka der kein Vergessen bringt
Papier

das zu Asche wird


Tagesfragen

Erwachen
& die üblichen Tagesfragen:
Lustspiel? Trauerspiel? Endspiel?
Wer hat sich zurückgezogen?
Wer kommt auf Dich zu?
Wer tritt Dir in die Kniekehle?
Wer nimmt Dich in den Arm?
Kannst Du überhaupt aufstehen?
Musst Du liegenbleiben?
Kannst Du etwas essen?
Brauchst Du einen Drink?
Wirst Du heute Geschwätz ertragen können?
Wirst Du heute den Job überstehen?
Wird der Wagen anspringen?
Willst Du sterben?
Willst Du leben?

Erwachen
& irgendwelche Antworten
meist die ewiggleichen
Manchmal Variationen
die nicht viel bedeuten

Erwachen
immerhin Erwachen

Vielleicht
Weiterträumen