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Schock

Und schon ist man ein Dutzend Mal
der Fünfjährige der Vergangenheit.

Das ist ein Schock -
so hab ich’s noch in der Schule gelernt:

5 Dutzend sind ein Schock.
Das kann man wohl sagen.

All diese Fünfjährigen,
die man in sich trägt –
Jeder hat anderes erlebt.
Und anders empfunden.
Man erinnert sich
an die Empfindungen, die
es nicht mehr geben kann,
weil man den Schock auf dem Buckel hat.
Die Illusion von Kontinuität.

Dabei hoppelt, ruckelt & springt man durchs Leben
und altert auch so. Es addieren sich bloß die Abschnitte;
kein Wunder, daß man nicht erwachsen wird.
Manchmal hatte man auch zweieinhalb
Fünfjähre in sich – dann war man so um die 12.
Ich will hier ja nicht so tun, als gäbe es
irgendeine Regelmäßigkeit. Ein Gleichmaß
des Daseins. Keine Maßeinheit
beschränkt die Maßlosigkeit.
Man wechselt die Spielplätze
und spielt, man wäre altersgemäß.
Der Verfall ist die Maske
vor dem wahren Gesicht.

Glaubt mir nicht, glaubt mir nicht –
das bin ich nicht.
Und Ihr seid auch nicht,
was ich sehe.
Maskenballer, wir alle.

Vorhang

Ein letzter Auftritt wird versucht —
Da hackt der Schmerz in die Achillessehne!
Die Bühne zu hart, der Schritt zu forsch,
der Körper zu alt.
Wieder nichts.
Und es ist ja auch richtig:
mit 60 hat man lange genug gelebt.
Wie erbärmlich sich alle ans Leben klammern!
Immer noch ne Wiederholung des Bekannten;
oder dessen Abklatsch, mieser als das Original.
Haben die alle kein Gedächtnis?
Zu viel Eiweiß im Gehirn?
Oder erscheint ihnen durch die schwindenden Sinne
Alles ganz neu?
80, 90, 100 —
Der Traum von der Unsterblichkeit. Ein Alb!
Tja leider, bei mir klemmt der Vorhang auch.
Seit 2 Jahren will er sich nicht schließen.
Man muss warten. Und versuchen,
das geliebte Wesen (das einem heldengleich
zur morschen Seite steht) nicht gar zu sehr zu nerven.
Bleibt man, tut es weh – geht man, tut es weh.
Nicht sein. Ganz vorsichtig von den Brettern humpeln,
von den Brettern, die
nicht – so – viel –
bedeuten.

P.S. Ich mag keinen Besuch.
An mein Grab soll auch keiner kommen.


Als der Schnee noch von den Antennen fiel

Als der Schnee noch von den Antennen fiel
und die bewegten Bilder rauschten
fluchte man –

weil man nicht ahnte
daß selbst dies Gegenstand einer Sehnsucht sein kann
im Rückblick der Zukunft

Denke daran
versuche ich mir zu sagen, wenn
ich fluche

Erinnere dich an die Zukunft
Das Bessere könnte dich langweilen
Und der Charme des Ärgerlichen

dich erheitern.

Versagen – ein kippender Text

Das Versagen ist ein stilles Zimmer.
Kein Schall, der stört, keine Augen, die glotzen.
Erfolg wäre Lärm, ein Schmerz im Gehör.

Ich habe mein Leben vertrödelt, versoffen, vertändelt,
ver-fault. Hab mich versagt. Gehöre
niemandem, nicht dazu, nirgendwo 

hin, wo ich nicht bin. 
Mach’s mir gemütlich im künstlichen Licht.
Hab mich verschrieben

dem Privaten. Abgeschottet & zufrieden.
Verstehe kaum, was Menschen mögen,
was sie antreibt, was sie treiben.

Das Menschenmögliche ist mir zu viel.
Moment – versuche ich hier gerade
mich zu trösten? mich abzufinden?

mich schönzureden? mich interessant zu machen?
Das wäre das Schlimmste, das Niedrigste,
das Unsägliche. Das letzte Versagen.

Schlimmer als selbstverlegt, schlimmer
als ein E-Book bei Amazon –
nein, bitte nein!

Finde ich etwa gut, was ich hier tue?
Fand ich es je? Mit Alkohol im Blut
vielleicht. Im Suff finden sich ja alle gut.

Die armen Schweine. Die sollten sich mal
nüchtern betrachten. Ganz trocken.
Dann ist es aber aus

mit der Unsterblichkeit. Mit Epigonen kann
selbst die Nachwelt nichts anfangen. 
Und man gerät nicht in Vergessenheit

wenn man niemals im Bewusstsein war.
Oh, du stilles Zimmer. Mein Raum.
Nur mit mir in dir. 

Unverzagtes Versagen. Sonst gibt es nichts 
zu tun. Alles
weitere versage ich mir. 

Schnauze jetzt! Tu doch 
nicht so! Möchtest gern, 
du Möchtegern. 

Der Wille aber ist 
nichts. Das weiß ja jeder 
Serienkiller. 

Da zählt nur die Leiche, 
und nicht das Messer in der Lade. 
Ja, der blindlings tastende Soziopath 

trifft nur sich selbst. Da ist keine Welt 
im Raum. In jenem Zimmer. Und 
keiner versteht ihn. 

Raureif

Du reifst so vor dich hin
und reifst und reifst

Reifen
Rollen spielen
Profil haben

Auch wenn’s längst nicht mehr vorwärts geht

Die Luft wird immer rauer
(zumindest kommt es dir so vor)

Und irgendwann bist du platt

Dann bist du reif


Im Werk

Der Mensch definiert sich gern
Über seine Zahnrad-Existenz
Es ist ihm wichtig
Wo er sitzt im Werk
& wer ihm in die Zähne greift
Um ihn voran zu treiben

Seine Welt ist eine Uhr
Und er denkt die fliehenden Zeiger
Seien die Zeit an sich

Und ohne ihn ginge nichts
Aber nichts geht immer
Es braucht ihn nicht

Das Nichts

Ich bleibe lieber stehen
Ohne mich vergeht alles
Genauso schnell

Es zieht vorbei
An meinem Stand der Stillstand heißt
Ich muss nur bleiben wo ich bin

Ich setze nichts ins Werk
Ticke nicht & tacke nicht
Weder falsch noch richtig

Gehe nicht & gonge nicht

Es ist mir wenig wichtig
Und was mir wichtig ist
Verstehen nur wenige

Ich hab versucht kein Mensch zu sein
Es ist mir nicht gelungen
Ein Zahnrad bin ich nicht

Sonst knirschten meine Zähne
In dem Getriebe jener Welt
Lasst mich

Rast & Ruhe sein
In dieser Uhr
Die nichts bedeutet

Im Gedächtnis der Welt

Du warst in dieser Welt
Ich hatte Angst vor dir
Ich fühlte mich beschützt von dir

Wieviele sind noch am Leben
Die dich kannten
Wirst du vergessen sein

Wenn ich sterbe
Als wärest du nie gewesen
Auf dieser Welt 

In der dein Schutz mir fehlte
Als du verschwunden warst
So jung so früh

Es ist egal
Nur die Wesen vergessen
Was verwest

Im Gedächtnis der Welt
Bleibt alles Erinnerung
Sie weiß dass du da warst

Und die Angst ist vergangen

Der Stau

»Warum hältst du?« fragte sie.
Leise lief der Motor: eine gerade Landstraße,
grauer Asphalt, leer & verlassen, einsam
bis zum weit entfernten Horizont - - - - -

»Hier geht’s nicht weiter«, sagte er,
»ich hatte es befürchtet.«
Ein stilles Fragezeichen
auf dem Beifahrerinnensitz: ?

»Im Verkehrsfunk verheimlichen sie so etwas immer.
All diese Staus, die von Tarnfahrzeugen verursacht werden.
Das kann jetzt ein paar Stunden dauern.«
Verdutzt ist ein schönes Wort.

Lächeln ein noch schöneres.
Sie war wie ein Buch der schönen Wörter.
»Unser Leben ist so ereignislos«, sagte sie,
»nie passiert was —

aber was WIR so alles erleben!
Das geht auf keine Brontosaurushaut.
Nur gut, daß keiner seinen Motor laufen läßt.«
»Ach ja«, sagte er – und drehte den Schlüssel.

Wie still es war!
Still & aufregend. Hier -
wie überall; wo man sein konnte.
Bei sich. Mit sich. In sich. Zusammen.


Der Faltenwurf der Spiegel

Die Spiegel werfen Falten
Egal wie jung man auf die Fläche blickt
Alles verkehrt
Und der Geist unsichtbar
Erkenne dich selbst
Wie du nicht bist
Stumm & geruchlos im Glas
Eingeweckt und doch verfaulend
Tiefe nur vorgetäuscht
Leben als optisches Phänomen
Was man da sieht
Soll ein Mensch sein?
Sein sein?
Silbrige Gaukelei
Geht vorbei, geh vorbei
Fabrikat aus Splittern
Ein Ganzes wirst du nie
Lass dich fallen
Wirf dich hin
Wie der Spiegel die Falten
Wie die Schwerkraft die Alten
Täusche vor geh zurück
Schmeiss noch einen letzten Blick
Auf Alles
Was nicht du ist 
Auf Alles 
Was du nicht bist
Spieglein Spieglein Märchentand 
Plisseevisage Stundensand 
Die Spiegel werfen Falten
Sie solln mein Bild behalten




Phazit

Im Sitze meines Lebens 
(was bei Anderen im Laufe heißt)
gemütelte ich häufig auf dem Sopha mit p-h
und Büchern in den Tellern meiner Hände

Mit Blätterfingern fuhr ich durch das Laub
der Bände – ganz fremd wurde mir da zufurchte;
fremd der Waren Welt mit ihren Würglichkeiten
und ihrer Enge, die außerhalb des Geistes liegt

Im Rascheln der Romane war ich zu Hause
im Rauschen der Gedichte unterwegs
Der stumme Besucher in den Winkeln
der Biographien: das war ich

Reich war ich in meinen Reichen
Auf den Brettern, die Regal bedeuten
Traf nie einen meinesgleichen
Mischte mich nicht unter Meuten

Was zur Neige geht, ist nicht mein Leben
Eine Welt nähert sich dem Ende
Was Gedanken leise weben
Fällt am Schluß durch offne Hände

Kontakt

Vorsichtig gehen – – –
nicht dass man versehentlich in Kontakt tritt
wie in so’nen Haufen.
Den Gestank wird man so schnell nicht wieder los.

Jeder Auftritt könnte der letzte sein.
Lieber gleich daheim bleiben, denn da ist man schon
und muss sich kaum bewegen.
Lauschen wie der Treibsand durchs Stundenglas rieselt.

Die Klingel hat keinen Strom mehr,
und die Haustür ist verklemmt.
Menschenscheu war ich früher,
heute meprisier‘ ich nur noch.

Schöne Ausblicke sieht man auch durch Fenster.
Bäume, Himmel, Mädchenschenkel —
gehen, bleiben,
nur nicht winken!


Ohne mich

Des Malers Hand schafft
eine Landschaft
ohne Menschen
ohne sich

Denn er ist ein Mensch
Jeder Mensch ist eine Umweltzerstörung
Schon allein – sein Anblick zerstört
die Harmonie

Ich stehe in einer Landschaft
ohne Menschen
blicke aus mir heraus
als wäre ich nicht da

Nein, ich stehe in einer Landschaft
mit mir – wie schön
wäre sie erst ohne mich!

Der Maler soll mich löschen


Virtuell

Eine virtuelle Welt verschwindet
Im leeren Raum des Todes

Ein Idiot stirbt
Auch er dachte

Und hatte eine Sicht auf das
Was er für Alles hielt

Es wird kaum dunkler
Durch sein Verschwinden

Wie finster wird es hingegen
Wenn ein Geist dahingeht

Den wir groß nennen
Und doch — bloß

Eine virtuelle Welt verschwindet
Im leeren Raum des Todes


Jetzt, dann & in Ewigkeit

Und dann wird kommen die Zeit
Da man uns beneiden kann
Um diese Gegenwart

Und beneiden wird man uns
Darum, daß wir tot sind
Und wir würden uns freuen

Tot zu sein wie wir
Uns nie unseres Lebens gefreut haben
Wenn wir es noch könnten

Also —
Was jammern wir
Es geht uns noch gut

Und wird uns noch besser gehen


Howard

I am too old & cynical & world-weary
to be interested in books of my junk —

Howard war 35 Jahre alt, als er das schrieb.
Er nannte seine Tante »Tochter«
und sich selbst »Großvater«.

Kinder hatte er nicht. Er liebte Spaghetti
und hasste moderne Architektur.
Sein Kinn war gewaltig

und die Welten in seinem Geist beängstigend.
Er hatte keinen Job,
und eigentlich wollte er auch keinen.

Er wollte nur lesen, schreiben und
es warm haben.
Kälte konnte er nicht ertragen.

Folglich schrieb er eine Geschichte
über jemanden, der nur in der Kälte existieren kann –
weil er längst tot ist.

Howard starb mit 46 Jahren,
also war er mit 35 tatsächlich alt.
Die meisten Menschen wissen nicht,

wie alt sie wirklich sind.
Howard war ein besonderer Mensch.


Momentaufnahme (für die Ewigkeit)

Eine Träne rinnt ihr über die linke Wange.
»Wie groß er heute war«, sagt sie.
In der Tat: zwei Mal hatte sie leicht gewürgt,
und kühles Nass war den Damm hinab gesickert.

Sie lächelt und kam
unter dem Tisch hervor. Weiß & fleckig
stand der Mond im All; er besorgt uns
die Romantik. Wie groß er heute war!

So kommt es mir
zumindest vor. Eine optische Täuschung,
die etwas mit Nähe zu tun hat, glaube ich.
Ein Nachtfalter hat sich an die Scheibe geheftet

im Schein der alten Lampe mit dem grünen Schirm.
Ein leiser Wind bewegte die Zweigsilhouetten,
und der Tag gleitet unausweichlich in die Vergangenheit.
Einen Moment noch

blieb er uns gegenwärtig. Der Moment —
wie groß er heute ist!
Er berührt die Zukunft — und reicht vielleicht
noch weiter. Wir werden

es erlebt haben.


Tod in der Lebendfalle

Man wollte human sein
Die Maus in einer Lebendfalle fangen
Die Falle stand auf der Terrasse

Nachts trippelte es in den Wänden
Erster Tag: nichts
Zweiter Tag: nichts

Schon dachte man nicht mehr daran
Kümmerte sich um anderes
Bis

Tod in der Lebendfalle
So könnte meine Autobiografie heißen
Zwei Stücke Schokolade

Hatte sie gefuttert, ratzeputz
Kein Wasser, wer denkt schon an Wasser
Elender langsamer Tod

Kein erlösender Bügel im Genick
Tot, und als Symbol verwurstet
In einem schlechten Text

Die ganze Falle vollgeschissen


Still Leben

Die Jahrzehnte, die ich vor mir gehabt hatte
Liegen hinter mir
Der Sinn, den ich nicht gesucht habe
Hätte mich nicht finden können

Erinnerungen sind Schatten auf einem Spiegel
Wer hineinschaut, sieht nichts als Zweifel
Niemand weiß, wo ich bin
Und ich will es nicht wissen

Das Ende bewegt sich nicht auf mich zu
Und ich stehe still
So kommen wir uns näher
Wenn wir uns treffen

Ist es der Abschied


Das Unglaubliche

Sein 91jähriges Gesicht
konnte ich mit seinem 70jährigen Gesicht
einfach nicht
in Verbindung bringen

War er das?
Nein
Das konnte er nicht sein
Oder doch?

Diese 21 Jahre waren so lang
wie alle 21 Jahre lang sind

Wie konnte – – –

Die Gleichförmigkeit der Zeit hilft
Niemandem
Der Verfall hält sich nicht daran
Was lebt verfällt ungleichmäßig

Doch das eigentlich Unglaubliche:
21 Jahre lang hat er in den Spiegel geschaut
Heute sehe ich aus wie gestern, hatte er gedacht
Am Tag darauf dachte er es auch

Er erkennt sich noch heute
Ja, das bin ich, denkt er

Manchmal war das Erschrecken groß
Als hätte er sich jahrelang nicht gesehen
Doch das verging

Wie er selbst


Der Scherz des Fotografen

Niemand           weiß,          was        das       Foto     zu     bedeuten     hat.
Es        ist        ein                  Rätsel,       so              rätselhaft,              dass
man        es       für etwas         anderes       als         ein     Rätsel         hält.
Der             Gegenstand,                 der            alles    erklären          würde,
lag        im           Blickfeld           des     Fotografen.       Er       hatte     ihn
beiseite geschoben.      Beinahe wäre sein Schatten in das Bild gefallen.

Der Fotograf lachte, als er das Foto betrachtete.


				

Dornen, oder: Ein schlechter Tausch

In meiner Kindheit
Konnte es mich glücklich machen
Einen breiten Gürtel zu haben

Einen Gürtel mit 2 Dornen.

Es war mir wichtig
Wie hoch die Absätze meiner Schuhe waren.
Es konnte mich traurig machen

Wenn mir etwas nicht perfekt erschien.

Aber die sogenannte Gelassenheit des Alters
Die Erkenntnis was wirklich wichtig ist
Im Leben

Sind ein Dreck dagegen.


Keine Zeit für Zeitgenossen

In der Gegenwart lebe ich
selber. Ich
habe keine Zeit

für Bücher meiner Zeit.
Lasst mich in Ruhe
die Toten kennen

lernen; den Blick werfen
aus meinem Zeitfenster,
das so schmal ist

wie ein Sarg.
Ich muss leben
vor meiner Zeit.


Unbegreiflich

Immer leichter fühle ich mich,
und irgendwann werde ich abheben,
wenn keine Erinnerungen mich mehr am Boden halten.
Die letzten Bilder, Worte, Filme
in den Köpfen derer, die mich kannten,
werden verschwunden sein.

Das ist doch Unsinn.
Sie können nicht Alle überleben,
die Sie kannten. ICH kenne Sie,
und Sie sind so viel älter als ich.

Niemand lebt mehr,
der mich als Kind gesehen hat.
Also muss ich mir selber glauben,
dass ich ein Kind gewesen bin;
niemand kann es bezeugen.

Das können Sie nicht wissen.
Und außerdem: gibt es keine Fotos?

Ach Gott, wollen wir uns auf dieses Niveau begeben?
Fotos! – Hatten Sie nie diese Gedanken?:
Es gibt eine Zeit, da ist man überall.
Gespiegelt, erinnert, gesehen, gehört,
vervielfältigt. All das
vergeht. Stirbt. Am Ende
existiert man nur noch
in sich selbst.
Ohne Verbindungen.

Ich wusste nicht,
dass Ihnen DIE ANDEREN so wichtig sind.

Ich rede doch nur von mir.

Das ist mir auch schon aufgefallen.

Ich bin eine Geistererscheinung
in den Anderen. Wenn die Anderen sterben,
bleibt nur das Greifbare – und das Greifbare
ist so gut, ist so schlecht wie Nichts.

Sind Sie lieber eine Erscheinung als Sie selbst?

Hören Sie auf Fragen zu stellen, sonst
muss ich alles bezweifeln, was ich sage.

Sie denken nur an diejenigen,
die Sie auch kennen oder kannten, an diejenigen,
die Sie selber wahrgenommen haben.
Vielleicht sind Sie einmal an einem Genie vorbeigegangen,
dem sich Ihr Bild eingebrannt hat. Vielleicht auch
gibt es Sie in einem Buch, und Sie wissen es nicht.

Sie wollen mich trösten. Als wäre ich
nicht ganz bei Trost. Das ist nett,
aber sinnlos.

Der Postbote kennt Ihren Namen.

Ist das mein Name?
Er wurde mir gegeben.
Vielleicht gehörte er jemand anderem.

Es geht Uns Allen gleich.

Von außen betrachtet,
aber da bin ich nicht.

Vielleicht werden Sie irgendwann da sein.

Ich bliebe lieber hier.

Aber

Bitte lassen Sie mich

hier

bleiben!

Gefällt es Ihnen denn so gut hier?
Das wusste ich nicht.

Nein.

 

 

 

Was denken Sie?

Nichts Nichts Nichts.
Ich betrachte nur
die Parallelen auf dem Fußboden.

Das sind bloß Schatten.

Meinen Sie,
das wüsste ich nicht?
Die sind das Schönste
an der Abendsonne.

Möchten Sie spazierengehen?

Nicht in dieser Welt.
Lassen Sie mich
schlafen.


Todlos

Wenn ich mich todlos im Grabe herumdrehe,
wie ich mich schlaflos hin&herwälzte im Leben,
dann – weil mich hier wie dort
zu Vieles noch beschäftigt.

In meinem Bett gab’s keine Zeitbezüge,
und dass ein Sarg nicht ewig hält,
ist auch nicht in Ordnung.
Der Tag ist noch nicht abgetan,

das Leben noch nicht erledigt.
Wie soll man da denn abgeschaltet
werden können?
Die endgültige Entspannung

gibt’s nicht unter Strom.
Ein Blitz fährt in die Erde,
meine Hand schießt draus hervor;
es ist kein Abwinken, dass

die Passanten erschreckt.
Immer wollte ich schlafen,
wenn ich es nicht konnte.
Und jetzt? Das möchte man

gar nicht zu Ende denken.


Im Museum der abgenutzten Bilder

schmeckt es nach Gemeinheit,
riecht es nach dem Applaus der trägen Masse,
hat man aufgehört zu denken.

Fade Plakate kleben überall.
Luftblasen im Kleister schlagen Wellen.
Anhand von Fingerabdrücken identifiziert man

die Begreifenden. Denen jedes Verständnis fehlt.
Auf der Suche nach Begriffen, die frisch sind,
gehe ich ins Freie.


Zeitkritik

Diese zeitkritischen Dichter,
diese Gesellschaftskritiker —

Schon toll, gell?
Langlebig nicht, aber toll.

Ich kann die Zeit ja auch nicht
leiden. Die macht alt. Und tot.

Und die Gesellschaft erst.
Zum Kotzen! Nur auf

dem Friedhof kann man sie ertragen.
Also treffen wir uns da. Kommen Sie,

wenn ich tot bin. Lang leb ich
nicht mehr, aber toll.


Schau da

Schau da, ein Mensch!
Manchmal weiß ich nicht, kucke ich
gerade aus dem Fenster

oder in einen Spiegel.
Und wo ist da
der Unterschied —

Die Grenzen sind aus Glas.
Ich versuche, mich
zu unterscheiden,

aber wenn das jeder tut,
wird’s schwierig. Hinterm
Glas ist immer eine Welt.

Ich winke kurz, dann weiß ich
mehr. Vielleicht. Ja, aha,
ich bin also doch

eine junge Frau.


Rand halten !

Wie befremdlich vertraut
Sie im Leben stehen.
Regen sich

auf über Politik
& das TV-Programm,
unterhalten sich

miteinander. Nur
weil Sie zur selben Gattung gehören.
Was Sie für den Rand halten,

ist in meiner Wirklichkeit
immer noch die Mitte.
Ich verbitte

mir alle Vertraulichkeiten!
Halten Sie den Rand!
Da stehe ich

den leisen Fahrtwind
der Erde im schütter werdenen Haar.
Sie regt sich

für mich. Allein.
Auf & ab.
Stille.


Unter Glas oder Feine Fäden

Sie stehen auf dem Papier –
die Wörter. Wie die Beine
einer Zitterspinne

die ein Ängstlicher gefangen hat
unter Glas. Und nun –
wohin damit?

Geh dicht heran
& schau sie an.
Ohne Angst

sieht Alles ganz
anders aus.
Man kann

ein Fenster öffnen.
Denn auch im Freien
wollen Netze

gesponnen sein. Feine Fäden,
in denen Lebendiges
sich verfängt.


Unter meiner Zeitlupe

Auf dem Motorroller
werden Schnecken zu Bienen,
heiß wird flott, es knattert,
es kracht, es spuckt & röhrt,
es raucht aus dem Auspuff,
oben ein Helm, unten ein Höschen
geöffnete Schenkel, nackt & glatt,
jedes Haar, das dort flimmern könnte,
ist wegrasiert. Alles vibriert.

Es ist so viel mehr
als Sex. So viel mehr
als Erotik. Es trifft mich
so tief im Kern
des Wesens, das nicht nur mein
eigenes ist. Berührt Bereiche,
die das Körperliche niemals
erreicht. Wehmut
& weltumspannende Freude.
Eine erträumte Jugend, die
niemand jemals haben kann.
Vergänglichkeit im schönsten Augenblick
des noch nicht Vergangenen.
Eine reine Idee. Von allem befreit.

Ja, es mag aussehen,
als stände da ein schmutziger alter Mann
an der Straße. Gleich wird ihm sicherlich
der Geifer aus dem Maul laufen, er wird sich
unsittlich berühren und sich vorstellen,
etwas Altes in etwas Junges zu stecken,
um sich aufzuladen.

Nein. Vielleicht stehe ich
noch einen kurzen, nachzitternden Moment
dort. Denke an die Vergeblichkeit
des Versuchs, Bilder in all ihren
Breiten, Tiefen. Längen &
unsichtbaren Dimensionen zu bewahren.
Spüre, dass ich schon nicht mehr
so viel spüre wie in jenem Augenblick,
der eben erst vorüberrauschte.
Vielleicht ein dummes Lächeln im Gesicht.
Ein Lächeln, von dem man nicht wissen kann,
wie dumm oder traurig es ist, und doch
auch glücklich.

Die knappen Shorts
waren von einem Gelb gewesen,
wie es Kinder verwenden,
um die Sonne zu malen.

Unter meiner Zeitlupe
ist das Vergehen immer noch Vergehen,
außerhalb alles längst vergangen.
Lasst mich stehen. In der Ferne
ist noch leise zu hören, was ich gesehen habe.
In der Stille brennt noch ein Bild.
Es duftet. Ich will
versuchen, den Rauch festzuhalten.


Zeitbogen

All diese Tode
die die Toten nicht mehr erleben
All diese Lebenden
die in der Welt der Toten noch lebten
und jetzt nicht mehr da sind
so wie jene nicht mehr hier sind

Gut dass du tot bist
So hast du ihren Tod nicht mehr erlebt
Gut dass sie tot ist
So wird sie meinen Tod nicht mehr erleben

Bewahre die Welt
in der du lebtest
Dann bleiben alle die fort sind dort

Für einen Augenblick nur
möchte ich in eine vergangene Welt treten
und mich wundern

»Ach! Du hier? Wie schön.
Wo ich herkomme, kennst du niemanden.
Nur ich erinnere mich an dich.«

»Du lügst doch.«
Ja, vielleicht. Ich möchte lügen,
dass die Zeit sich biegt.

In ihrem Bogen wandeln
Im Wandel der Zeit eine Pause einlegen
Für einen Augenblick nur

Wundern
Und alle bleiben lassen
Wo sie waren

als sie mich an sich erinnerten


Irgendwas mit Bällen & Kaffee

Der Fremde nahm einen der beiden Snookerbälle
von unserem Wohnzimmertisch. Furchtbar,
wenn die Symbolik so simpel passt.

Er redete irgendwelchen Unfug
jenseits des Tisches
und schaute abwechselnd

auf die Reflexe der polierten Kugel (pink)
und unter den Schulmädchenrock
meiner Freundin, die neben mir

auf dem Sofa saß. Ein bulliger
älterer Kerl. »Bist du aber klein
& schlank«, sagte er, »ich

erdrück dich ja.« Sie
lächelte. Unter dem Rock
trug sie nichts

als Abenteuer. Sonderlich
sympathisch war er uns beiden nicht,
aber letztlich war das egal.

Am Ende des Lebens
will man sich nicht vorwerfen
müssen, etwas nicht ausprobiert zu haben,

was einem in der Phantasie
des Ausprobierens wert schien.
Ich ging in die Küche,

um Kaffee zu kochen. Als das Wasser
sprudelte (es tut mir leid wegen der Symbolik,
aber ich kann die Wahrheit nicht ändern),

hörte ich ihn im Wohnzimmer
mit dunkler Stimme befehlen:
»Schön tief in deinen Mund. Los!«

Da ließ ich den Kaffee stehen.
Eigentlich war es ja ohnehin schon zu spät,
um Kaffee zu trinken.


Vertragt euch doch

In meinen Bücherwänden stehen sie
Seite an Seite. Die Autoren,
die einander kannten

& hassten. Ihre Werke
kuscheln fast, so nahe
stehen sie sich.

»Vertragt Euch, Kinder«, sage ich.
»Ihr seid nun schon so lange tot,
da streitet man nicht mehr.

Dachtet Ihr, Ihr hättet nicht genug
Raum? Habt Ihr nicht gesehen,
daß Ihr gegen dasselbe kämpftet,

wenn auch nicht immer für dasselbe?
Ihr hattet gemeinsame Feinde;
das hätte Euch zu Freunden machen können.

Aber nun ist Ruhe. Ich dulde keine
Auseinandersetzung in meinen Regalen.
Die streitsüchtige Jugend ist vorbei,

Ihr seid tot – und habt überlebt.
Reicht Euch die Bände.
Ich hab Euch alle lieb.«