Monatsarchiv: Februar 2012

Falsche Gläser

Bier trinke ich am liebsten
aus einem Weinglas.

Wein trinke ich am liebsten
aus einem Wasserglas.

Schnaps trinke ich am liebsten
aus einem Bierglas.

Wasser trinke ich am liebsten
selten.

Alles schmeckt mir besser, wenn
es dort ist, wo es nicht
hingehört.

Eigentlich.

Denn das erinnert mich …..


Vampir mit Knoblauchsucht

Wäre ich ein Vampir,
so wäre ich bestimmt süchtig nach
Knoblauch.

Viel mehr gibt es
über mich eigentlich nicht
zu sagen.

Außer vielleicht:
dass ich nur ein Mensch bin.

Und Knoblauch mag.

Und suche.


Je länger der Stiel

Je länger der Stiel
des Glases, und
je weiter unten
man ihn anfasst,
desto weniger
wird
die Temperatur
des Getränks
von der
eigenen Körpertemperatur
beeinflusst.

Aber
man denkt
nicht
immer
daran.

Und
vergreift
sich
ab
&
an.


Sie oder Du

Und dann liegst Du auf Deinem
Sterbebett,
und der letzte Mensch, den Du
siehst,
siezt Dich –
& es bleibt keine Zeit,
ihm das
Du
anzubieten.


Nur Geduld

Letztlich ist es egal, ob da
ein einzelner Wassertropfen ist, oder
ein Glas Wasser, oder
eine Flasche Wasser.

Oder etwas Größeres.

Bakterien sind
irgendwann
überall.

Mikroben.

Ihre Ausbreitung hat
auch etwas mit
Zeit
zu tun.

Nur Geduld.


Kontraste

Ich liebe die Kontraste.
Zum Beispiel:
Wenn eine Frau in Hotpants
ein hochgeschlossenes Oberteil
mit langen Ärmeln
trägt.


A Muse ment

Ich verstehe es ja, wenn eine Frau
(oder ein Mann)
keine Muse sein möchte.
So lange alles gut läuft, ist es
– vielleicht –
ganz schön & amüsant.
Aber wehe, es kommt Sand
ins Getriebe der Beziehung.
(Sofern es überhaupt je eine
Beziehung war – nicht einmal das ist
nötig. Eine Illusion reicht völlig.)
Dann bekommt sie (er) etwas zu
sehen oder zu hören oder zu lesen,
was verletztend sein dürfte.
Sehr verletzend.
Narben sind vorprogrammiert.
Muse muss ein beschissener Job sein.
Und ich wünsche niemandem
einen beschissenen Job.

(Na ja – »niemandem« ist jetzt
– vielleicht –
auch wieder übertrieben.)


Nachahmung

Natürlich lernt man durch
Nachahmung.

Die Frage ist nur,
was?

Als Kind war ich fasziniert davon,
dass meine Großeltern beim Abendbrot,
wenn die belegten Scheiben vor ihnen
auf dem Brett lagen,
die Rinden des Brotes in kleinen Abständen
mit der Messerspitze einritzten. –
Ich hatte keine Ahnung, warum sie es taten;
aber ich tat es auch – eine Zeitlang.

Vor dem Spiegel spielte ich Fernsehserien nach,
die mit dem Leben nichts zu tun hatten.

Als Jugendlicher – wenn mich ein Buch
fasziniert hatte – setzte ich mich sofort hin &
schrieb irgend etwas & kopierte dabei
nahezu exakt den Stil des Autors.
Inhalt interessierte mich nicht.

All das war leicht
gewesen.

Schwierig wurde es erst, als ich
als Erwachsener
versuchen sollte, ein
normales Leben, einen
normalen Lebenslauf
nachzuahmen.

Es gelang mir nicht.
Es gelingt mir nicht.

Und genau genommen, bin ich
froh darüber.

Schließlich habe ich irgendwann begriffen,
dass meine Großeltern
Dritte Zähne hatten &
nur deshalb die Brotrinden
einritzten.

Ich hatte & habe keine
Zahnprothese,
also was soll der Scheiß?

Stil ist mir immer noch
das Wichtigste, aber
ich hoffe, dass es mittlerweile
mein eigener ist, in dem ich
schreibe.

Und den Tod kriege ich auch hin,
ohne ihn nachzuahmen.


Anleitung zum Selbstmord

Ich möchte
die Anleitung zum Selbstmord
in so
humorvolle Worte
fassen
dass man
vergisst
warum man sich eigentlich
umbringen
wollte.

(Tun kann man’s dann
ja immer noch.)


Wer will das schon?!

Wenn man die Rolleaus zu weit
nach oben zieht,
kann es passieren, dass
man sie nicht mehr
runter bekommt.

Sie hängen fest in ihrem
Kasten.

Und man wird
geblendet
von der Sonne
da draußen.

Und wer
will das schon?


Kettensägenmassaker

Wenn ich
Ketten säge,
die meinen Hals einschnüren &
mich zu ersticken drohen,
fallen
manchmal
Perlen auf den Boden.

Und auf denen
rutsche ich dann

Aus.


Die Treppe hinter der Sofalehne

Damals als
man als Kind noch hinter der Sofalehne
lächelnd eine
imaginierte Treppe hinunterstieg
& sich über das Lächeln der Zuschauer freute

Damals
hatte man vielleicht bereits
die Richtung im Blut
die das Leben einmal nehmen würde

Und vielleicht ahnte man schon
ohne es zu wissen
dass das Lächeln
irgendwann
zu einem Grinsen
werden würde


Die Antwort

N.
E.
I.
N.


Der Eintopf in der Gemeinschaftsküche

Da ist dieser Eintopf in der
Gemeinschaftsküche

Wenn man Glück hat
ist man die eine
einsame
Bohne
die den
lautesten
Furz
verursacht.


Hässliche Unterwäsche

Es gibt Menschen, die sind
schön,
sogar in hässlicher Unterwäsche.

Aber die Voraussetzung dafür ist,
dass
sie es nicht wissen.


Der Busfahrer

Immer wieder traurig, wenn
ein Busfahrer einem die Helden der
eigenen Jugend madig macht &
sie von dem Thron stößt, auf dem diese
jahrzehntelang gesessen hatten.
Besonders traurig, wenn diese Helden
den Soundtrack für die wichtigsten Momente
deines Lebens geliefert haben.
Da stand also dieser Fahrer des Tourbusses
vor mir an der Hotelrezeption & machte
mir, dem Nachtportier, gegenüber seinem
Herzen Luft.
»Der Typ ist echt ein Psychopath. Der
nervt alle. Sitzt während der ganzen Zeit
immer vorne neben mir & klugscheißt
ohne Ende. Hat natürlich immer schon
alles gelesen über die Orte, durch die wir
kommen. Und er weiß immer alles besser;
wo man langfahren muss und so. Zum
Kotzen. Und dann dieses bescheuerte
Toupet, dass der trägt. Ein einziges Mal
während der Tour hat er’s abgenommen;
da sah er zwar halbwegs vernünftig aus,
aber man konnte sehen, dass er Hautkrebs hat.
Glaub ich zumindest. Ich hab ja schon
viele Amis gefahren, aber der ist echt der
Gipfel.«
In dem Ton ging es ungefähr eine halbe Stunde.
Ich fühlte mich wirklich mies.
Ich hatte sämtliche Platten von dem Menschen zuhause.
Sämtliche Filme, in denen er mitgespielt hatte;
neben Leuten wie Jack Nicholson, Orson Welles
& Anthony Perkins.
Die Liebe meines Lebens war untrennbar mit
dieser Musik verbunden.
Es ist nicht immer ein Busfahrer, der
einem zeigt, wo auch nur mit Wasser gekocht wird.
Aber irgend jemand findet sich fast immer.
Ich versuchte, das Gerede
nicht überzubewerten.
Und doch –
ich konnte es auch nicht vergessen, als ich
im Konzertsaal saß
& applaudierte.
Aber immerhin –
ich hatte eine
Freikarte.


Zu oft

Wenn ich ein Musikstück, das ich mag,
zu oft höre,
kann es passieren, dass ich anfange,
es zu analysieren.
Und wenn ich Pech habe,
finde ich heraus,
wie dieses Stück funktioniert,
und welche kompositorischen Tricks
mein Unterbewußtsein besonders
angesprochen haben.
Und schon schwindet der Zauber;
schon wird die Gänsehaut geglättet.
Zumindest ein wenig.
Und es gibt keinen Weg zurück in
den unbewußten Zustand des Hörens.
(Allenfalls im Vollrausch.)
Tragisch, wenn es ein Lieblingslied war.
Noch tragischer, wenn es einem
mit Menschen ähnlich geht.


Vielleicht nur ein Komma

Man wird geboren als
Nacherzählung
einer uralten Geschichte.

Unzählige Male
wurde sie erzählt.

An das Original kann sich
niemand mehr
erinnern.

In diese Nacherzählung
muss man

Ein Zeichen setzen.

Vielleicht nur
ein Komma.

Nur dann ist man
vielleicht
selber
so etwas wie

ein

Original.


Summende Agonie

An manchen Tagen wäre ich gerne
der Herr der Fliegen.

Aber ich bin nur
ein Fliegenfänger.

Ein klebriges Stück Papier,
das irgendwo herumhängt.

Und irgendwann ist das Papier selber
nicht mehr zu erkennen.

Versteckt hinter schwarzen Leibern.
Belebt vom Sterben.

Ein Tonträger.
Hintergrundmusik.
Der Soundtrack des Lebens.

Eine dunkle
summende
Agonie.


Nichts ist mir originell genug

Nichts
ist mir originell genug.

Ich
bin mir nicht originell genug.

Der Serienkiller
ist mir nicht originell genug.

Der Dichter
ist mir nicht originell genug.

Alles
erinnert mich an etwas.

Alles
ist schon dagewesen.

Alles
ist Nachahmung.

Alles
hat Bezug auf Vergangenheit.

Alles
ist Nichts.

Und Nichts
ist mir originell genug.

Und der Tod
ist ein einfallsloser Langweiler.


Political Correctness

Ich esse Negerküsse, weil
sie mich an meine Kindheit erinnern.

Ich höre Zigeunermusik, weil
ich sie liebe –
Django Reinhardt
vor allem.

Ich will keine Schaumküsse der Langeweile.

Es ist immer dasselbe mit den Menschen:
Sie suchen nicht den Kern,
sie kratzen an der Schale.

Und die Mordlust kommt von
Filmen & Videospielen?

Natürlich,
Ihr Langweiler.
Was denn sonst?

Ich habe in meiner Kindheit noch mit
Ausländern gespielt.

Diskriminierung ist
meinem Denken & Fühlen so fremd,
dass ich sie in
einzelnen Worten
meist
nicht erkennen kann.

Ich sehe Splatterfilme &
fühle mich schlecht, wenn ich
versehentlich
jemandem auf den Fuß trete.

ICH SEHE MENSCHEN!
NICHT DIE WORTE,
DIE SIE ZU BESCHREIBEN VERSUCHEN!

Ich mache Witze über
Krankheiten & Tod.
Auch das tut man nicht.
Die Witze sprießen aus dem Boden
der Angst & des Entsetzens –
gedüngt mit Erfahrung.

Nehmt endlich Eure
Politische Korrektheit
– sie ist rein äußerlich,
oberflächlich wie Euer Denken
(wenn man’s »Denken« nennen mag)  –
& schiebt sie Euch in den Arsch,
auf dass Ihr sie Euch
verinnerlichen möget.

In der Zwischenzeit wische ich mir den Mund ab,
zufrieden & satt von
Negerküssen,
& rufe:
»PLAY IT AGAIN, DJANGO!
ALTER ZIGEUNER ….«


Auf Nummer sicher

Das Zimmer kostete 99,– D-Mark damals.
Ohne Frühstück. Er wollte kein Frühstück.
Er bezahlte im voraus & fuhr mit dem Aufzug in den
obersten Stock (er hatte um ein Zimmer im obersten Stock
gebeten; die Nummer habe ich vergessen).
Es war später Abend.
Er schloss die Tür hinter sich ab,
warf die Reisetasche aufs Bett &
öffnete das Fenster; weit.
Milder Sommerabend.
Die Tasche packte er nicht aus.
Er entnahm ihr lediglich
das Rasiermesser.
Ohne sich auszuziehen setzte er sich in die Badewanne;
kein Wasser darin.
Er schnitt sich die Pulsadern an beiden Handgelenken
längs auf.
Ließ das Messer in die Wanne fallen ….
Nach wenigen Sekunden kletterte er wieder aus der Wanne &
wankte – blutpumpend – zum Fenster.
Er sprang nicht; er ließ sich einfach fallen.

Es dauerte ziemlich lange, bis er bemerkt wurde.
Er war an einer Stelle aufgeschlagen, wo des öfteren
Obdachlose schliefen.
Nicht an diesem Abend.

Der Teppichboden musste ausgewechselt werden.
Und der Blutgeruch war hartnäckig.
Trotz des geöffneten Fensters;
dessen es nicht bedurft hätte,
um zu sterben.

Das Zimmermädchen kotzte in die Badewanne.


Kein zurück

Niemals gelingt es,
einen Traum fortzusetzen, wenn man einmal
aus ihm erwacht ist.
Selbst wenn man sofort
wieder einschläft, findet man nicht mehr
in ihn zurück.
Man findet sich wieder in
einem neuen Traum.

Zumindest mir
geht es so – mit jeder Art von Traum.
Egal, ob ich schlafe
oder wache.

Und jedes Mal
tut es mir leid.

Jedes Mal.

Selbst wenn es sich
um einen
Albtraum handelte.


Die Schneekugel

Als Kind wollte ich
in einer Schneekugel wohnen.
Geschlossene Räume mochte ich
schon immer.
Von geschlossenen Träumen
ganz zu schweigen.
Den Kleiderschrank in unserem Kinderzimmer –
ich räumte ihn aus;
stellte 2 Stühle & einen kleinen Tisch
hinein, auf den Tisch
meine Lieblingslampe.
Mein Bruder & ich, wir
setzten uns in diesen Schrank, und
er las mir vor.
Denn ich konnte noch nicht
lesen.
Nur träumen & mir ALLES vorstellen.
Der Kleiderschrank – es
gibt ihn noch; er steht schimmelnd
in einem feuchten Keller.
Er ist eng. Zu eng für mich
& meine Träume.
Mein Bruder – es
gibt ihn noch; er sitzt
mir nicht mehr gegenüber.
Der Kontakt ist abgebrochen.
Die Lampe wurde
weggeworfen.
Geschlossenen Räume –
ich mag sie noch immer.
Ich kann mir nicht mehr
ALLES
vorstellen.
Aber ich kann lesen.
Und der Schnee, den ich
durch geschlossene Fenster betrachte:
er erinnert mich.


Der Sinn fürs Praktische

Ich bin leicht zu irritieren,
und am meisten irrtiert mich
der Sinn fürs Praktische, den
die Menschen in meiner Umgebung
besitzen.
Alles scheint einfach zu sein; für sie.
Vor allem das Einfache, das für mich
so schwierig ist. Das Alltägliche.
Es ist schwierig für mich, weil es
mich nicht interessiert; es sei
denn, ich lese darüber. Aber dann
muss es interessant geschrieben sein.
(Stil über Inhalt.)
Was soll ich mit dem Alltag?
Ich will die Allnacht!
Ruhe.
Und keine Eindringlinge in meinem Kopf.
»Wie kann man nur so lebensfremd sein?«
Ein Satz, den ich des öfteren höre.
Fremd war ich immer –
mir ….
den anderen …..
dem Leben.

Und überhaupt:
Das Leben –

Es kommt mir nicht zu nah, aber
es geht mir zu nah.

Ich besitze keinen
Sinn fürs Praktische.

Vielleicht einen anderen –
aber den hat
das Leben
nicht.


Der Kontrabass

Und dann verlangt jemand von dir, dass du
einen Kontrabass wie eine Geige unter dein Kinn klemmst
& seine Melodie spielst.

Dabei kannst du nicht mal Geige spielen,
und die Melodie kennst du nicht.

Und überhaupt sind deine Arme zu kurz,
um das Instrument zu stimmen.

Es stimmt einfach nichts.

Und vielleicht ist dieser Jemand
einfach
das Leben.


Ein bisschen Leben

Ein bisschen schon
Ein bisschen noch
Ein bisschen zu viel
Ein bisschen zu wenig
Ein bisschen zu früh
Ein bisschen zu spät
Ein bisschen von allem

Zu viel vom Nichts


Der Schweiß in der Matratze

Die Albträume, die mich die größte Menge
an Schweiß kosten, sind diejenigen,
in denen ich jünger bin als in der
Schlaflosigkeit.

Denn
die Hölle habe ich
hinter mir.

Vielleicht habe ich
eine noch schlimmere Hölle
vor mir.

Wahrscheinlich sogar.

Aber von ihr
träume ich nicht.

Gegenwart findet nicht statt
in meinem Schlaf.

Die Matratze ist vollgesogen
vom AngstSchweiß
der Erinnerungen.


Manchmal, wenn es ganz still ist

Manchmal, wenn es ganz still ist,
hört man einen Ton, der von einer Gitarre kommt, die
seit Jahren nicht bespielt wurde.

Vielleicht war nur
ein Temperaturwechsel daran schuld.

Dieser Ton klingt nicht wie
gewollt;
nicht sauber.

Nur ein
Pling!

Es hat etwas mit
Spannung zu tun.

Vielleicht auch mit
der Langeweile
einer bestimmten Saite.

Wenn man zufällig vorübergeht
an dieser Gitarre,
könnte diese Saite einem
ins Gesicht springen.

Eine Wunde schlagen.
Eine Narbe hinterlassen.

Manchmal, wenn es ganz still ist,
fühle ich mich
wie eine Gitarre, die
zu lange nicht bespielt wurde.


Ein Regenbogen in mondlosen Nächten

Und dann ist das volle Glas
das Prisma, durch das
die Welt betrachtet wird,
und das weiße Licht
wird bunt im klaren Schnaps, wenn
der Winkel stimmt.
Die Eintönigkeit wird zum Akkord;
das Spektrum splittert.
Licht wird gebrochen.
Schatten brechen.
Ein Regenbogen, der sich
über mondlose Nächte
spannt.


Die Sängerin in der Bar

Es war Zufall.
Da saß diese schwarze Sängerin
aus Chicago in der Hotelbar;
an der Theke. In diesem
deutschen Kaff.
Trank. Und trank.
Im Saal nebenan: eine Betriebsfeier.
Langweilige Menschen.
Live-Musik.
Schrecklich Musik. Wie ich fand.
Die Sängerin nahm ihr Glas &
ging in den Saal, betrat
die geschlossene Gesellschaft.
Ich machte meinen Job,
oder das, was ich
& andere dafür hielten; an
der Rezeption.
Hin & wieder kamen Kollegen, die im
Saal bedienten, bei mir vorbei.
„Die ist komisch“, sagte einer. „Und
die macht eine der Backroundsängerinnen an.
Fällt allmählich auf.“
Ich sagte nichts.
Sie kam wieder zurück.
Setzte sich wieder an die Theke.
Trank weiter.
Redete mit dem Barkeeper.
Ich hörte ihre tiefe Stimme,
die Stimme, für die sie berühmt war.
Hin & wieder sprach sie auch
mit sich selbst.
Sie ging wieder in den Saal.
Kam wieder zurück.
Trank.
Irgendwann
kam sie zu mir.
Lächelte.
Sagte mir ihre Zimmernummer.
(Als ob ich die nicht gewusst hätte.)
Sagte: “If the girl from the band asks
for me, give her my room-number, please.

Sie lächelte. Ihre Augen ….
ein wenig glasig, ein wenig traurig.
Oder nein – sehr glasig, sehr traurig.
Ich lächelte zurück. Und das nicht, weil es
mein Job war, oder das, was ich & andere
dafür hielten.
Sie kam noch einige Male zu mir, um
sich zu vergewissern, dass ich ihre Bitte
nicht vergessen hatte.
Dann betrat sie den Aufzug. Die Türen
schlossen sich.
Irgendwann verstummte die schreckliche
Musik im Saal.
Die Gäste gingen.
Die Band baute das Equipment ab.
Schaffte es Stück für Stück, an der Rezeption
vorbei, nach draußen.
Ich hörte die Backroundsängerinnen, wie
sie sich unterhielten; mit ihren Durchschnitts-
stimmen. Die nicht immer den Ton getroffen hatten.
Sie machten sich lustig.
Lustig über die kleine Schwäche der
Betrunkenen.
Es war nicht mal Boshaftigkeit, was aus ihnen
sprach. Es war
etwas Schlimmeres.
Es war die Leere in ihnen; das,
was sie von der anderen
unterschied.
Ich stellte mir vor, wie sie da oben in
ihrem Zimmer saß
& wartete.
Aber vielleicht war sie ja auch schon
eingeschlafen.
Betrunken & einsam.
Das ist Jahre her; und es ist
immer noch seltsam, ihre Stimme zu hören,
oder sie im Fernsehen zu sehen – &
sich vorzustellen, dass diese
Backroundsängerin
sie vielleicht auch hört & sieht.
Und noch immer nichts
begriffen hat.


Ich habe keinen Charakter

Im Übrigen habe ich
keinen Charakter.

Jedesmal wenn ich höre oder lese,
was andere über ihren Literatur-, Musik-,
Film- oder Kunstgeschmack sagen,
denke ich mir:
DAS ist Charakter.

Dezidierte Ansichten.
Ein dezidiertes Ausschluss-
verfahren.

Ich:
schätze zu
Vieles.

Zu vieles, das nicht
zueinander
passt.

Literaten, Musiker,
Filmschaffende, Künstler, die sich
untereinander
gehasst haben.

Verschiedene Begriffe,
verschiedene Ansichten.
sich widersprechende &
einander ausschließende
Weltbilder.

Richtungen ohne gemeinsames
Zentrum.

Ich:
habe keinen Charakter.

Vielleicht sollte mein Schädel
enger sein,
um Platz zu haben

für einen Charakter.

Aber wahrscheinlich
würde ich mich dann
schrecklich langweilen.


Das wunderbare Chaos

Wann hörte ich eigentlich auf,
unordentlich & chaotisch zu sein in
allem Äußeren?

Wenn ich genau darüber nachdenke,
war es – als
meine innere Ordnung zusammenbrach &
das Chaos in mir zu wohnen begann.

Das wunderbare Chaos.

Fortan wurde ich so
ordentlich, dass ich jeden Gegenstand,
den ein Besucher in meiner Abwesenheit
in die Hand genommen & ein wenig anders
wieder zurückgelegt (verrückt) hatte, sofort
bei Betreten des Raums
bemerkte – erfühlte.

Eine Art von Austausch
zwischen Innen & Außen
hatte stattgefunden.

Ein Ausgleich, der
ein Gleichgewicht herstellen sollte.

Ab & an
wünsche ich mir die äußere Unordnung zurück,
als könnte diese mein (verrücktes) Inneres wieder
ordnen ….
Dann beginne ich, wie ein Set-Designer
eine Unordnung herzustellen ….

Aber sie ist künstlich –
vielleicht sogar kunstvoll,
eine Kulisse für meinen inneren Film.

Ich belächle meine Versuche,
denn letztlich ist dieser Film doch nur
eine Komödie,

& das innere Chaos
bleibt
wunderbar.