Monatsarchiv: September 2011

Die Suche

Verbrannte Straßenkarten
Zertrümmerte Wegweiser
Verstummte Navigationssysteme

Verlorene Orientierung
Verlorene Richtung

Alles sieht
gleich aus …..

Wo bin ich?

Und wo bin ich
zu finden?

Und wie finde ich mich –

gut?

Suchende Blicke in die
Entfernung – – –

in die Ferne – – – –

in ferne Zeiten – – – – –

Blicke durch ein Fernglas
gefüllt mit hochprozentiger
Leere

Suche Suche
Sucht

Noch ein Glas!

Und vielleicht werde ich mich finden

Und vielleicht werde ich mich gut finden

nach dem nächsten

oder übernächsten

oder

oder


Der Aal in der Zeitung

Ich kaufte mir einen Aal. Der Aal war tot. Das passte gut, denn ich wollte ihn essen. Eine spontane Entscheidung. Der Tag war dunkel. Der Tequila der Nacht saß mir noch in den Knochen, und da war diese rollende Fischbude an diesem Ort, wo sie noch nie gewesen war. Ich ging vorüber, und der Geruch erinnerte mich an andere Zeiten. Also kehrte ich um.
Der Fischhändler hatte etwas Seltsames an sich. Von einem Fischhändler erwartet man, dass er leutselig sei, laut, verbindlich & lustig; dieser war wortkarg, leise & grimmig. Ein dunkler Blick unter dicken schwarzen Augenbrauen. Eine tiefe Stimme, die aus einem verfilzten Vollbart kam. Auch der Aal hatte einen Blick; er war klar. Eine Stimme hatte er nicht. Der Händler teilte den Fisch in 2 Hälften & wickelte sie in Zeitungspapier. Ich wollte nicht wissen, wie es im Innern der Bude aussah, war froh, dass mir der Fußboden verborgen blieb.
Ich sah einen Spiegel, der mir sinnlos erschien. Ich zahlte; der Fisch siffte durch die Zeitung. Aber nur ein wenig. Er hinterließ keine Spur, der man hätte folgen können (falls jemand mir – oder dem Fisch – hätte folgen wollen).
Zuhause angekommen, legte ich ihn in der Küche auf ein Holzbrett. Machte Licht, weil der Tag so dunkel war. Nahm mir ein Bier aus dem Kühlschrank; 3 Grad Celsius. Trank aus der Flasche. Ich war so frei. Ich hatte frei. Freute mich auf den fettigen Fisch. Erinnerte mich an den Tequila & streute mir etwas Salz auf die Zunge; kippte das Bier hinterher.
Musik: Ich startete eine Wiedergabeliste, die ich ‚Kater’ genannt hatte. Versoffene Stimmen & Cool Jazz.

Der Vater sitzt am Eßtisch. Vor einer Bücherwand. Auf dem Teller die Zeitung. Auf der Zeitung der Aal. Der Vater schneidet den Aal in Stücke. Ich schaue zu. Rieche. Mag den Geruch.
„Na, möchtest du ein Stück?“ sagt der Vater. Er kennt meine Antwort.
„Nee“, sage ich.
Angst vor Gräten. In der engen Kinderkehle.
Der Vater lächelt. Ißt genüsslich. Fett tropft. Dazu grobes Brot. Er fischt Gräten aus seinem Mund. Ich finde das eklig. Aber ich mag es, wie er genießen kann.
Die Mutter bringt ein Bier. Blickt auf die Zeitung. Die Mutter mag keinen Aal.
„Na, wie wär’s?“ sagt der Vater.
Die Mutter grinst. „Hau bloß ab mit deinem Aal.“
Ekel vor dem Aal in der Kehle.
Die Mutter geht & schaut fern.
Ich werfe einen Blick ins Aquarium, wo der Wels schwimmt.

Die Musik war laut. Ich nahm mir noch ein Bier. Atmete den Fischgeruch. Blickte auf die Zeitung. Erkannte sie. Erkannte den Artikel. Wusste, was auf der Innenseite stand. Dem Fisch ganz nah. Die Zeitung war knapp eine Woche alt.

Tanja sitzt neben mir am Frühstückstisch. Sie trägt eins meiner Hemden & Sonne; sonst nichts. Der schwarze Kater liegt zu ihren nackten Füßen; er heißt Poe. Sie ist frisch geduscht. Ich nicht. Sie beißt in ihr Marmeladenbrötchen, ich mag das Geräusch.
Die Mutter (gerade zu Besuch) ist in der Küche, um sich noch einen Kaffee zu holen.
Tanja kaut. Ich halte ihr die Finger meiner rechten Hand unter die Nase…… Sie zuckt zurück.
Grinst mich an. Flüstert durch das Marmeladenbrötchen, dicht an meinem Ohr:
„Du Sau.“
Ich grinse zurück; flüstere zurück: „Wieso? Riecht doch gut, mmmh….Man muss Spaß auch im nachhinein noch riechen können.“
„Fisch zu Marmeladenbrötchen?“
Ich küsse ihr einen Krümel weg. Sie kichert.
Die Mutter kommt mit der Tasse zurück.
„Na, macht ihr wieder Unsinn?“
„Dein Sohn“, sagt Tanja, „wie üblich.“
Ich trinke den ersten Schluck Tee (der Geschmack ihres Saftes schwindet). Die Mutter ißt Toast, ich mag ihre Eßgeräusche nicht.
Ich stelle die Tasse ab.
„Ich mache niemals Unsinn“, sage ich. Schaue hinab auf den Kater, der mich ansieht. „Stimmt’s?“ frage ich ihn.
Er blinzelt.
„Ha ha“, sagt die Mutter – ironisch, mit vollem Mund. Ich hasse es, wenn sie mit vollem Mund spricht.
Ich beuge mich zu
Poe hinunter. Er schnuppert an meinen Fingern, seine Nase folgt ihnen – bis ich ihn zwischen den Ohren kraule. Er schnurrt.
Bevor ich mich wieder aufrichte, streichle ich Tanjas Kniekehle. Sie zuckt leicht zusammen.
Die Mutter registriert es. Schweigend. Kauend. – Seit 15 Jahren lebt sie allein. Keine Männer. Nicht
1mal ist sie am Grab meines Vaters gewesen. Weil sie es nicht ertragen könnte, wie sie sagt.
„Warum ißt du nichts?“ fragt sie.
„Keine Lust“, sage ich. – Dabei habe ich einen gewaltigen Hunger; nach all den Rammel- & Spielereien des frühen Morgens. (Tanja hat versucht, leise zu sein …. in Grenzen …. (& sie lässt sich nicht küssen, wenn sie den Geschmack von Sperma im Mund hat…))
Der Kater leckt an Tanjas Zehen.
Sie kichert.

(Eines Tages war der Kater nicht mehr nach Hause gekommen. Man fand keine Spur von ihm. Später gab es in der Zeitung einen Artikel: Viele Katzen waren verschwunden; man vermutete, dass sie für ein Versuchslabor eingefangen worden waren. Das war viele Jahre her.)
Ich stellte das Bier ab & wickelte den Aal aus. Der Aal war stumm. Und zweigeteilt. Die Musik: laut & melancholisch. Im Fischauge: der klare Blick des frischen Todes. War da Druckerschwärze auf der Haut des Fisches? Ich stellte es mir zumindest so vor. Schwarze Spiegelschrift. Ich würde ihn nicht waschen. Würde ihn essen, wie er war. Würde ihn genießen. Die verkehrten Buchstaben fressen. Würde mir die Gräten aus dem Maul fischen & sie auf den Teller legen. Keine Angst um meine Kehle. Und galten Augen nicht als Delikatesse? Irgendwo …..
Die Zeitung war aufgeweicht vom Fett. Die Todesanzeige kaum mehr leserlich. Der Tag dunkel.
Alle waren weg. Auf die eine oder andere Weise. – Ich: war noch da. War hier.
Ich besuchte keine Gräber mehr.
Lud keinen Besuch mehr ein.
Und vermisste den Kater.


Das gerahmte Nichts

Ich hänge leere Bilderrahmen auf
um dem Nichts
einen Rahmen zu geben

Bilder
hat jeder –
auch ich

Gerahmte Illusionen

Verschwundenes
in 4eckigen Gefängnissen

Erinnerungen
die man festnageln will

Bei mir hängt
das Nichts
an den Wänden

An den Wänden

vor die ich
laufe

[geben zu Rahmen einen
Nichts dem um
auf Bilderrahmen leere hänge

Ich]


Kurz vor der nächsten Überrundung

Ich hinke der Zeit so lange
hinterher

bis ich ihr
die so viel schneller ist als ich

durch Langsamkeit
voraus bin


Verlaufen

Manchmal, wenn ich auf
ein Ziel zusteuere, verlaufe ich mich.
Verlaufe mich nur ein wenig –
& bin doch weit von meinem Ziel
entfernt.

Ein andermal, wenn ich auf
ein Ziel zusteuere, verlaufe ich mich
wieder. Verlaufe mich so sehr, dass
ich mich vom Verlaufen verlaufe –
& das Ziel
tatsächlich erreiche.

Der Weg durch die Verwirrung
ist lang – – aber
der Weg ist ja ohnehin das beste ….

Warum also sollte er
kurz sein?

Und warum sollte ich
nicht verwirrt
sein?


Dung

Der hellste Kopf erlischt
sehr schnell; die
universale Bildung wird
gelöscht mit dem
Durst des Todes …. die
Leere wird in
die Erde versenkt.
Würmer fressen verstorbene
Gedanken in Finsternis,
winden sich
in vertrockneten Windungen,
tanzen
in leeren Augenhöhlen …

Bild-Dung
End-Dung
Kompost

Was wächst daraus? – –

Aus Finsternis – –

Unkraut vielleicht ….
Blume vielleicht ….
Nichts vielleicht ….

Sinnlosigkeit

bestimmt.


Belangloses

Sie saß im Bett & las
Belangloses vom Blatt.

Ich
fand es belanglos.

Ich lag neben ihr,
kaum mehr wach ……

Unsere Nacktheiten
aneinander,

ihr Duft
unter der Decke.

Sie las
was ich geschrieben hatte.

Jahrelang hatte
sie danach gefragt – –

doch es war mir
peinlich gewesen.

Es gefiel ihr –
da war es nicht mehr
belanglos ….

Ich schlief ein,
sie las weiter.

Ich träumte, dass
sie fortging

nachdem sie die
Blätter zerissen hatte.

Sie ging nackt,
die Fetzen auf der Matratze ..

Ich lag in ihrem
Leselicht; beschattet von
der Decke

unruhig

Ein Albtraum:
wie ihre Nacktheit sich entfernte.
Ich schwitzte kalt.

Sie kicherte
mich wach
„Das ist schön“, sagte sie.
Alb verwandelte sich in Glück & Duft
& Wärme. –

Wärme & Duft & Glück
verwandelten sich in
Wirklichkeit

als ich
wieder
erwachte

Im Bett lag : meine Leere –
es roch nach mir,

Es war kalt.

Die Blätter lagen auf dem
Boden ….

Ich sammelte sie auf,
nackt & leer

Warf sie
in einen Topf

zündete sie an mit
kalter blauer Flamme

& versuchte
mich zu
wärmen

aber
Belangloses
brennt kalt


Enttäuschung?

In Gruppen stehen die Menschen im
Sonnenlicht & schauen aufwärts – in
Richtung des wolkenlosen Himmels;
beschirmen ihre Augen mit gebräunten
Handflächen.
Vor dem gleißenden Blau: eine Gestalt;
hoch oben auf dem Dach des Gebäudes –
winzig & ohne Gesicht; von Ferne die
Sirenen der nahenden Rettungskräfte.
Und in den Gehirnen der Menschen
sind schon die Bilder des Gehirns –
wie es aus dem verwirrten Schädel platzt.
Sie schauen & sie warten ….
Und wenn der Sprung nicht erfolgt,
werden sie erleichtert sein, und die Er-
leichterung wird den bitteren Beigeschmack
der Entäuschung haben – – :
Schock & Schrecken hätten ihrem Leben
einen unvergesslichen Moment hinzugefügt
…. Intensität !
Ein perfekter Flug mit fuchtelnden Armen;
perfekt bis zum Aufprall.
Sie wären die Überlebenden gewesen im
Anblick ihrer eigenen Sterblichkeit – ihr
pulsierendes Blut, das sie für sich behalten
hätten, während fremdes Blut zu
Schmutz wird …..
Sie schauen & sie warten …….

Ich stehe in der Sonne &
schaue hinab auf die Gesichtslosen;
grau ist der Asphalt.

Sie warten & sie schauen ……….

Die Blaulichter treffen ein.

Darf man Menschen enttäuschen,
die so winzig sind?


Einton

>Das kaum hörbare Pfeifen in den
Heizungskörpern – so anheimelnd,
so gemütlich, wärmend – – -<

So dachte ich – oder
wollte doch so denken;

allein:
Es war August.
Die Heizung ausgeschaltet;
die Heizkörper kalt &
stumm.

Das Pfeifen war
in mir
in meinem Kopf
in meinem Ohr

& es war
unheimelnd

Die 1-tönige Melodie
des Vergehens

Erdacht von einem
wahnsinnigen Komponisten

Er wollte mich
betäuben –
mich dorthin treiben
wo er selbst längst war

& er war unerbittlich;
& er war ohne Mitleid

Und ich hörte ihm zu.

Und mir wurde kalt –

denn
die Heizung war

kalt

& stumm


Uhren

Die Armbanduhr :
eine Fessel
Getragen im Kerker der
Zeit

Die Uhr im GlockenTurm :
betäubt die Ohren
mit Schlägen der
Vergehens

Die Taschenuhr :
ist die Hoffnung,
die Zeit
in die Tasche stecken zu können

Der Regulator :
bemüht sich
vergebens
Regeln in mein Leben zu bringen

Die Spieluhr :
spielt Melodien, die
ich nicht kenne – oder die
mein Leben vergessen hat …..

Die Eieruhr :
ist der dahinrieselnde
Trieb

Die Sanduhr :
ist meine Wüste –
ist
mein Durst – –

Die Standuhr :
ruht – wie die Realität ….

Und hat doch eine Unruhe
wie alle Uhren …..

Wie der Grabstein
über meiner Leiche.


Die Abstände werden größer

Die Abstände werden größer –
größer im Lächeln

Da ist
dieses Kinderfoto

Glück –
GlücksEmpfinden

& die Zähne des Lächelns
stehen dicht
beieinander

Dicht beieinander wie
die Momente
über die man lächeln konnte

Und die Zähne sind
weiß

Und dann
nur Jahrzehnte von Momenten später
schaut man in einen Spiegel

Das Lächeln ist
ein Fletschen

& da sind diese
Lücken

Lücken im Glück

in dem
bissigen Lächeln

welches das Leben
& die Zeit
zerkaute

Und die Lücken sind
dunkel

weil dahinter ein
Rachen
ist

Und der Rachen
bleibt stumm

weil dahinter ein
Schweigen ist

Und das Lächeln ist
gelb
oder es ist
braun

Weil es alt ist –
ein Lächeln im Herbst

Und die Lücken werden größer
Die Abstände weiter

Der Rachen ist dunkel

& die Zukunft wird
kleiner


Meine Schwäche

Ich schiebe sie vor mir her
durch alle Gassen
meines Lebens
in einem Rollstuhl
: meine Schwäche

Sie ist gelähmt –
durch Muskelschwund

Doch auch ich
könnte nicht laufen
wenn ich mich
nicht stützen könnte

auf diesen
Rollstuhl


Der Blick auf mein Gehirn

Beim Pissen blicke ich auf mein Gehirn,
28 Mal in GrauWeiß auf schwarzem Grund.

Über meinem Klo hängt das Bildnis der
Computertomographie,

ein gefangener Moment meines
Denkens

eingefangen in
Enge

Was dachte ich damals?
Erkenne ich meine Gedanken wieder –
in GraußWeiß auf schwarzem Grund?

Dort sind sie –
28 Mal

& ich pisse
bei ihrem Anblick.


Lächeln wie ein Totenkopf

Das Muster des Todes
in Deinem Rücken ….
Die Buckelpiste der
Schmerzen
über die der Blick
hinwegfährt
ohne Stoßdämpfer –
Tumore ohne
Humor –
& dennoch
kannst Du lächeln
wie ein Totenkopf,
über Empfindungen, die
hässlich sind –
weil Du ein Spiegel bist;
ein Spiegel, der
die Hässlichkeit
in ihr Gegenteil
verkehrt

& vielleicht
den Schmerz
in einen Schatten der
Hoffnung


Nervengift

Alkohol ist ein Nervengift –
eine bekannte Tatsache, die
man irgendwann spürt -:
mir brennen die Beine, mir
zucken Muskeln, von denen ich
nicht wußte, dass ich sie habe;
mir kribbeln die Fingerspitzen, die
Dieses tippen –
Meine medizinische Bibliothek sagt:
Polyneuropathie – Ich sage:
Fuck you! – zu mir; denn ich bin
Hypochonder…..

Weniger be- & anerkannt ist die Tatsache, dass
das Leben
ein Nervengift ist –

Ein Gift,
gegen das die AllerMeisten
immun sind –

Süchtige auch sie ….

Hypochondrie ist
fehlgeleitete Fantasie –

Ich bin froh, dass ich etwas habe, das ich
fehlleiten kann.

Ich fühle etwas,
das
vielleicht
nicht da ist –

Vielleicht
fühle ich etwas
nicht,
das da ist –

Fehlgeleitet auch ich ….

Fantasie ist
ein Nervengift,
das brennen kann.

Und Brand bedeutet
Durst – vielleicht :
Durst nach
Gift.

Gift =
Geschenk ….


Pyro-Manie

Im Licht des Feuers erscheint Alles
weniger hässlich –
Egal, was oder
Wer da
in Flammen steht
(brennender Müll, brennender
Mensch, flammender Geist)

Übergossene Realität –
Brandgefahr!

Man zündet sich
von Innen an –
Feuerwasser & glühende Nadeln –
Flucht in ein anderes Licht

Ein Funke
der die Dürre entzündet

Doch auch das Feuerlicht
wirft Schatten –
Schatten, die in
Panik
zittern –
bewegt von schwächstem
Atemhauch :
Das schwarze Abbild der
Wirklichkeit ….

Steckt mich an!
Verbrennt mich!
Starrt in mein Licht!
Und lasst meine Asche
verglühen!

Bis ich keinen
Schatten mehr werfe …..


Das Unvermögen der Geier

Gern wäre ich
der Schädel in der Wüste
das Rückgrat in der Wüste
das Vieh, das von Geiern
gefressen wurde

Den Schädel
können sie nicht fressen

Das Rückgrat
können sie nicht fressen

Die Geier sind
schwach

Das Fleisch
gehört ihnen

Aber was wirklich zählt
liegt
noch immer
im Sand

& sie kreisen darüber
vergeblich


Sherlock Holmes als Arme Sau

Ein kleiner alter Mann sitzt im obersten Stock
des Sherlock-Holmes-Museums in London – schamlos kostümiert.
Er springt auf aus seinem versifften Ohrensessel,
wenn ein Tourist in seine Leere tritt.
Er sagt Worte, die lustig sein sollen.
Sie sind es nicht. Er trägt sie müde vor. 
Man lächelt, um ihm nicht Weh zu tun. Dabei wäre es ihm vermutlich egal, wenn man nicht lächelte. 

Man erinnert sich an seinen eigenen
Job – – – – – Egal.
Das Zimmer, in dem er sitzt, ist so
klein –
kleiner als in den Büchern,
kleiner als in den Verfilmungen;
kleiner als in der Phantasie –
es ist winzig –
es ist deprimierend –

Es ist die Realität des kleinen
Mannes.


Westenknöpfe im Schnee

Man lässt den untersten
Westenknopf offen – das ist so
Usus ….

Robert Walser
ließ
den obersten Westenknopf offen –
das war sein
Usus …

Man fand ihn
im Schnee – –
den obersten (offenen) Knopf
an der Weste des
Toten …

Er war spazieren gegangen –
die Luft der Klapsmühle, in die
er sich – auf eigenen Wunsch –
geflüchtet hatte, durch
frische Winterluft zu
ersetzen.

Flucht aus
Bleistiftgebieten.

Seine Leiche in
weißer Kälte ….

Als hätte er sich
konservieren wollen.

Es war
nicht nötig.

Er wurde konserviert durch
Andersartigkeit
& Genie.

002


Süß

Und dann begann es
süßlich zu riechen in
meiner Garage ….
Ein fremder Geruch,
angenehm auf der einen
Seite – verstörend auf
der anderen ….
Eine Süße mit einem
Geheimnis – von Tag zu
Tag süßer &
geheimnisvoller ….
Und eines Tages nicht mehr
angenehm.
Ich begann zu suchen.
Und fand – unter dem Auto,
hinter der Stoßstange :
einen Vogel.
Mit einer Schaufel konnte
ich ihn befreien – – –
Eine gefiederte leichte
Hülle fiel auf den Boden,
tot & gefüllt von fremdem
Leben –
winzige Schwänzchen unzähliger
Maden wedelten vor Freude.
Ich hatte nicht bemerkt, dass
ein Vogel unter mein Auto
geflogen war; er war
klein gewesen in seinem Leben.
Aber der Tod machte ihn
bemerkbar.


Vorübergehend

1 Blick trifft
mich
im Vorübergehen
(auf der Straße, im
Supermarkt – in der
Welt) – wenige
Sekunden der
Abschätzung.

Der Blick wird
abschätzig –
Ich werde für
nichtig
befunden in
meiner
oberflächlichen
Versteinerung.

Umgekehrt :
das Gleiche –
ich schätze
schätze ab – –
vorüber

Vielleicht
‚kennen’ wir uns?

Aus virtuellen
Nächten – –
seit langem – –

Kennen unsere
dahinfliegenden Worte –
Lieben unsere
FantasieGestalt(ung)en

Voneinander begeisterte
Geister – – ?

In dem
was man Wirklichkeit nennt
gehen wir aneinander vorüber
(2 geistblinde Oberflächen)

Wir könnten
ineinander vorübergehen –
Könnten beide Welten
miteinander verbinden – –
wenn wir uns
erkennen
würden


Erledigt!

Aufgaben, die ich
erledigen müsste,
erledigen mich;
sie ziehen mich
in eine Welt, die
nicht die meine ist.
Welt der Zwänge,
Welt der Ketten;
Ketten, die sich
um meinen Hals
legen; einschneidende
Glieder aus Gründen,
die mich nicht
interessieren.
Mein Leben,
angekettet in einem
finsteren Folterkeller
aus Nichtigkeiten;
Schraubzwingen
an meinen Schläfen.
Ich möchte lassen,
was ich nicht tun will;
aber ich muss tun,
was jene Welt
nicht lassen kann.
Ich weiß:
Ich bin
erledigt.


Comic

Ich erwache gezeichnet.
In Schwarzweiß. Mir selbst:
eine Karikatur. Die Karikatur
eines Mangas. Manga ohne Dialog,
Comic ohne Gedankenwolke.
Manga ⇒ mangiare ⇒ Frühstück.

Nächstes Bild: Küche –
ich habe 6 Arme, so schnell bin ich,
ich toaste Wasser, koche Toast,
schlage Eier – Fett dampft als
wortlose Sprechblase über meinem
verzeichneten Schädel.

Und schon schlinge ich im 3. Bild.
4 Arme bedeuten Gefräßigkeit. Gulp!
Besteck verschwimmt in (( Klammern )) der
Schnelligkeit.

4. Bild: Kacken. Verbissener Gesichtsaus-
druck auf der Schüssel. Aus. Druck.
Druck. Aus.

Nächstes Bild
: An der Tastatur, umgeben von
Bildschirmen & Textprogrammen &
leergesoffenen Flaschen …
50-Finger-System. In einer gewaltigen
Staubwolke, aufgewirbelt aus Fantasie.

Fantasiebilder
: Frame für Frame:
Tentakelnde Monster der Kindheit …
Verschlingungen …
Miniberockte Wesen mit großen GlanzAugen
& Stupsnasen -: Schenkel, Upskirts &
blitzende Höschen
[die Leertaste wird mit dem
Schwanz betätigt] … grinsendschlängelnde Spermatozoen …
Dann: Schmerz spritzt Tränen aus SchlitzAugen.
Mehr & mehr Linien im SchwarzweißGesicht.
Dann: Schwarzbilder. Schwarze Frames. Fin-
sternis – & schließlich:
Der Tod als Karikatur; mit Kapuze &
glitzernder Sense – auch seine Blase ist leer,
auch er hat nichts zu sagen, auch er –
denkt nicht.
Wie wir alle – in diesem Comic.

Letztes Bild
.

Wir erwachen.
Gezeichnet.
Aus. Druck.
Druck.
Aus.


Luft

Luft“, dachte er, „sie ist Luft für mich.
Ganz einfach. Verdammt, ich werde nicht
zulassen, dass sie mein Leben zerstört.
Ich werde nicht mehr an sie denken.“

Doch in ihm dachte
Es
an sie.

Sie, die
Blut
gewesen war,
in ihm.

So lange.

Dann sagte er es laut:
LUFT. Sie ist Luft für mich.“
Er hörte seine Worte.

Und er wollte ihnen glauben.

Ja.
Sie war Luft für ihn -:
Ein kleines Bläschen Luft
in seiner Blutbahn.

Ganz langsam
bewegte es sich auf sein
Herz zu.

Und er spürte es.

Luft“, dachte er, „ich werde
keine Luft mehr bekommen.“

Das Bläschen –
ein winziger Ballon aus
eingeschlossenem Atem –
durchfuhr ihn.

Luft“, sagte er.
Er sagte es laut.

Und er wollte ihr
zuvorkommen.

Und er wußte,
wie …..


Anis

Als Kind vorm Kiosk :
Anisbonbons

Immer der Nase nach!
Glück ….

Als Jugendlicher im Irgendwo :
Ricard & Pernod
Sambuca & Ouzo
& Raki

Der Lust hinterher!
Unruhe ……

Als VErwachsener im Vergessen :
Absinth

Dem Tod voraus!
Sehnsucht
………….


Weichspüler

Der Berg schmutziger Wäsche wächst
neben meinem Bett; die Türme der
Bücher neben meinem Bett
schrumpfen.

Die Stapel der Zettel wachsen
auf meinem Schreibtisch; die
Vorräte schwinden in meinem
Kühlschrank.

Ich trinke Weichspüler.
So nenne ich die Cocktails, die
mich sentimental machen.
Ich sollte Stärke saufen,
um mich zu befestigen.

Ich frage mich:
Wenn Zwangsjacken gewaschen werden –
tut man Stärke oder Weichspüler in
die Maschine?

Da fällt mir ein:
Ich sollte ihn endlich waschen –
den Berg
neben meinem Bett.

Aber
Aber
Aber
Aber


VerständnisLos

Nach seiner Entmündigung hatte
Baudelaire
noch immer mehr zu sagen als diejenigen, die
ihn entmündigt hatten – mehr als diejenigen, die
immer noch im Vollbesitz ihres geistigen
Unvermögens waren – & die vollmundig auf
ihn einredeten, um ihn zu ihrer Art von
Vernunft zu bringen.

Noch heute würde ich gerne die Leiche von
mr. allan ohrfeigen (wenn sie nicht längst
Staub wäre) – für das, was er seinem
Pflegesohn,
MR. EDGAR POE,
angetan hat …..

Es wäre mir egal, dass mr. allan
ein Kind seiner Zeit & seiner eigenen
Beschränktheit war –
ausnahmsweise würde ich auf allen
Determinismus ein gar lustig Liedlein
pfeifen – & die Leiche durchprügeln,
mit stetig wachsender Begeisterung.

Schläge in die Fresse aller
Entmündiger!

Die Zahl ist Legion –
derer, die in die Tombola-Trommel
der LebensFähigen
gegriffen & das
Große VerständnisLos
gezogen haben.

Möge die Welt des
Funktionierens in das
Chaos versinken, das die
LebensUnfähigen
in sich tragen!

Der Verlust wäre – – –
überschaubar.


S läuft

Sie schneidet ihrem Söhnchen die Haare,
während ich mir die Haare wasche. Der
Kleine redet – erzählt alles Mögliche; ich
höre zu.
Sie trägt eine pinkfarbene Morgenjacke,
sonst nichts; die reicht ihr knapp über
den Hintern. Sie benutzt Schere & Kamm.
Keine Maschine.
Das Wasser läuft heiß über meinen Kopf;
ein paar Tropfen landen auf meinen
Hosenbeinen.
„Halt still“, sagt sie.
Der Kleine quasselt weiter. Er sagt
etwas Witziges. Ich lache. Schaum
sickert in meine Augen.
„Warum lachst du?“ fragt sie mich.
Der Kleine übernimmt die Antwort:
„Weil ich was Witziges gesagt habe.“
„Genau“, sage ich.
„Siehst du“, sagt er zu ihr.
Sie scheint mit ihren Gedanken
woanders zu sein.
„Ach so?“ sagt sie.
Ich drehe das Wasser ab; ich höre
die Schere.

Später:
Der Kleine ist beschäftigt in seinem
Zimmer.
Sie & ich sitzen auf dem Sofa; in
einem Sonnenmuster.
„Warum hast du vorhin wirklich
gelacht?“ sagt sie leise.
„Ich fand witzig, was er gesagt
hat. Du nicht? – Warum hätte ich denn
sonst lachen sollen?“
„Ach so“, sagt sie, „und ich dachte,
du hättest gesehen, wie der Saft an
meinem Bein herunterlief.“
„Oh“, sage ich, streichle den
Oberschenkel, der sich an meinen
preßt, „aber ich hatte doch
die Augen geschlossen.“
Sie sagt: „So kann man sich also
irren.“
„Ja“, sage ich, „so kann man sich irren.“
Meine Hand bewegt sich etwas weiter
ins Sonnenlicht.
„Ich glaube, ich hole mal besser ein
Handtuch“, sagt sie. „`s wär schade
um das Sofa.“
Und ich sage:
„Bleib sitzen. Ich mach das schon.“


Die Unoriginalität des Schmerzes

Irgendwann … plötzlich …
gab es in irgendeinem Lebewesen
zum allerersten Mal: Schmerz.

Schmerz war ins Leben getreten, neu
auf der Erde & in der Existenz.

Dann, irgendwann, war der Schmerz
schon überall gewesen – in allen
Körperregionen – in allen Lebewesen –
in allen Körperregionen aller Arten von
Lebewesen.

(Keine Art starb aus, ohne den
Schmerz kennengelernt zu haben.)

Er, der schon überall gewesen war,
begann die endlose Reise der
Wiederholungen …..
Durch die Wesen; durch die
Regionen. Durch die Äonen.

Der Schmerz, der in meinem Kopf wütet,
ist ein verdammt unorigineller Bastard.
Es gab ihn schon im Kopf des
Neanderthalers – & bereits dort
hatte er sich nur wiederholt.

Ich verachte ihn -; noch lieber würde
ich ihn mißachten & mich über ihn
lustig machen; am allerliebsten aber
würde ich ihn ignorieren,
wie die Wiederholung eines
schlechten Films.

Doch ich bin zu schwach dazu,
nicht originell genug, selber nur
eine Wiederholung.

Ich bin die Wiederholung
irgendeines Schmerzempfängers
aus einer Zeit vor meiner Zeit.

Ich mache es mir einfach:
Ich schlucke ein Aspirin &
warte, bis der Bastard
verschwindet.


Landstraße der Nacht

Im Kegel der Scheinwerfer halte ich
– manchmal – das welke Blatt für eine
Kröte – – & weiche ihm aus.

Manchmal halte ich die Kröte
für ein Blatt – –
& überfahre sie.

Die Landstraße bei Nacht
nenne ich
mein Leben.


Der Griff des Schraubenziehers

Als Kind war ich
tiefer als der alte Sack, der ich
heute bin –

In Alles konnte ich mich
verlieben – sofort – & tief –

In das kalte Auge eines Fisches,
den abschätzigen Blick eines Mädchens,
die verächtlich geschwungenen Lippen
eines Jungen –

Ich verliebte mich in den
Griff eines Schraubenziehers, sobald
er das Sonnenlicht auf eine spezielle
Art reflektierte – oder brach –

Heute –
fühle ich mich flach –.
Augen, Blicke, Lippen – sie
müßten sich
Mühe geben –

Der Griff des Schraubenziehers hat
– vielleicht – keine Chance mehr;
aber der Schraubenzieher kann
– zumindest – meine lockeren Schrauben
anziehen.


Bidet

Da mein Badezimmer alt ist (obwohl,
nicht so alt wie ich), gibt es ein Bidet darin.
Aber das tut nichts zur Sache. Ich saß –
nein, nicht auf dem Bidet – ich saß
auf dem Sofa & blätterte durch diesen
merkwürdigen Kalender – einen
Kalender der Geburtstage.
Wer hatte am selben Tag Geburtstag
wie ich? – – :
Johann Peter Eckermann
Stephen King
Leonard Cohen
H. G. Wells
& diverse TV-Nasen
– – –
Was für ein seltsamer Cocktail, dachte ich
& hob mein Cocktailglas. Na dann, Jungs,
HAPPY B-DAY !


Sprünge

Was hilft einem die ganze Philosophie, wenn
sie aus den Sprüngen, die man in der Schüssel hat,
wieder heraussickert? Da trägt man
Schopenhauers ‚Aphorismen zur Lebensweisheit’
in seiner Manteltasche mit sich herum, und dann
wird es richtig kalt & richtig finster, und man
friert & tastet blind – trotz Mantel, trotz Buch.
Man weiß, man versteht, man fühlt, dass die
Gedanken, die man liest, richtig sind – &
sie helfen einem – einen Scheißdreck!
Diese – vielleicht winzigen – Sprünge in der
Psyche sind nicht auszufüllen, nicht zu
schließen, nicht zu überbrücken.

Hin & wieder
vergißt man sie vielleicht, für
Momente, für Stunden, manchmal für
Tage ……

Vielleicht vergißt man sie einfach so,
vielleicht braucht man Hilfsmittel des
Vergessens.
Einerlei.

Diese Momente,
Stunden,
Tage
sind das Beste, was man
bekommen kann.

Mehr ist nicht
drin. In einer Schüssel mit
Sprüngen.