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Verschwundene Läden

Die Straßen gibt es noch.
Die Läden sind verschwunden.
Die Läden, in denen ich Dinge gekauft hatte,
die kaputt gingen
und auf den Müll geworfen wurden.
Irreparabel. Die Verkäufer
sind tot, denn sie waren
schon alt, als ich jung war.
Doch vielleicht nicht so alt
wie ich – heute.
Mich gibt es. Noch.
Noch nicht
kaputt. Noch. Nicht
auf dem Müll. Irre
parabel.
Ich bin noch
da. Mit all den kaputten Dingen
in meiner Erinnerung.

Vorhang

Ein letzter Auftritt wird versucht —
Da hackt der Schmerz in die Achillessehne!
Die Bühne zu hart, der Schritt zu forsch,
der Körper zu alt.
Wieder nichts.
Und es ist ja auch richtig:
mit 60 hat man lange genug gelebt.
Wie erbärmlich sich alle ans Leben klammern!
Immer noch ne Wiederholung des Bekannten;
oder dessen Abklatsch, mieser als das Original.
Haben die alle kein Gedächtnis?
Zu viel Eiweiß im Gehirn?
Oder erscheint ihnen durch die schwindenden Sinne
Alles ganz neu?
80, 90, 100 —
Der Traum von der Unsterblichkeit. Ein Alb!
Tja leider, bei mir klemmt der Vorhang auch.
Seit 2 Jahren will er sich nicht schließen.
Man muss warten. Und versuchen,
das geliebte Wesen (das einem heldengleich
zur morschen Seite steht) nicht gar zu sehr zu nerven.
Bleibt man, tut es weh – geht man, tut es weh.
Nicht sein. Ganz vorsichtig von den Brettern humpeln,
von den Brettern, die
nicht – so – viel –
bedeuten.

P.S. Ich mag keinen Besuch.
An mein Grab soll auch keiner kommen.


Der Faltenwurf der Spiegel

Die Spiegel werfen Falten
Egal wie jung man auf die Fläche blickt
Alles verkehrt
Und der Geist unsichtbar
Erkenne dich selbst
Wie du nicht bist
Stumm & geruchlos im Glas
Eingeweckt und doch verfaulend
Tiefe nur vorgetäuscht
Leben als optisches Phänomen
Was man da sieht
Soll ein Mensch sein?
Sein sein?
Silbrige Gaukelei
Geht vorbei, geh vorbei
Fabrikat aus Splittern
Ein Ganzes wirst du nie
Lass dich fallen
Wirf dich hin
Wie der Spiegel die Falten
Wie die Schwerkraft die Alten
Täusche vor geh zurück
Schmeiss noch einen letzten Blick
Auf Alles
Was nicht du ist 
Auf Alles 
Was du nicht bist
Spieglein Spieglein Märchentand 
Plisseevisage Stundensand 
Die Spiegel werfen Falten
Sie solln mein Bild behalten




Howard

I am too old & cynical & world-weary
to be interested in books of my junk —

Howard war 35 Jahre alt, als er das schrieb.
Er nannte seine Tante »Tochter«
und sich selbst »Großvater«.

Kinder hatte er nicht. Er liebte Spaghetti
und hasste moderne Architektur.
Sein Kinn war gewaltig

und die Welten in seinem Geist beängstigend.
Er hatte keinen Job,
und eigentlich wollte er auch keinen.

Er wollte nur lesen, schreiben und
es warm haben.
Kälte konnte er nicht ertragen.

Folglich schrieb er eine Geschichte
über jemanden, der nur in der Kälte existieren kann –
weil er längst tot ist.

Howard starb mit 46 Jahren,
also war er mit 35 tatsächlich alt.
Die meisten Menschen wissen nicht,

wie alt sie wirklich sind.
Howard war ein besonderer Mensch.


Alarm !

ALARM!
WIE? WAS? SIE HÖREN
NICHTS?

Je nun, dann brauche ich ja nicht zu schreien,
obwohl ich es möchte.

Vorsicht – wenn Ihnen jemand etwas in eine Körperöffnung steckt,
könnte es Ihr Leben verändern.

Zerstören.

Erinnern Sie sich? Ich konnte keine Grille mehr hören.
Ich erwähnte es einmal.

Nun habe ich ein ganzes Volk im Ohr.
Dem Facharzt sei Dank!

ZIRPZIRPZIRPZIRPZIRPZIRPZIRPZIRP
ZIRPZIRPZIRPZIRPZIRPZIRPZIRPZIRP
ZIRPZIRPZIRPZIRPZIRPZIRPZIRPZIRP
ZIRPZIRPZIRPZIRPZIRPZIRPZIRPZIRP

Und wenn Wasser fließt,
Bäume rauschen,
eine Plastiktüte leise knistert –

gibt es ALARM! FEUERALARM!
SCHRILLEN KREISCHEN PFEIFEN
im ganzen Kopf, fast könnte man denken

man hätte gar nichts darin,
da alles so

HALLT.

»Ist Ihnen das schonmal passiert«, fragte ich.
»Extrem selten«, sagte der Arzt.

Ein Glück, dass das Leben so begrenzt ist.
Da möchte man nicht noch mal 20 sein

(und so verkorkst wie damals).

Plötzlich gibt es wieder eine Zeit davor
und eine Zeit danach.

Eine Zäsur und Gedanken wie
‹Ach, hätte ich dieses Buch doch gelesen,
als es mir noch gut ging!› — obwohl

es einem vielleicht nie gut gegangen war. (Oder
eigentlich doch; man hatte es nur nicht gewusst.)

Ein neuer Orientierungspunkt in der Zeit
wie der Tod eines nahestehenden Menschen.

Und wer stünde einem näher
als der eigene Körper.

Werde ich jetzt böse, verbittert, unerträglich,
einsam, asozial? – Ach, war ich das
nicht schon immer?

Und doch –

Die Hoffnung tickt ganz leise
wie das Werk einer alten Uhr,
die eine falsche Zeit anzeigt.

Sinnlos bewegt es die Zeiger.

Nein, halte sie nicht an dein Ohr.
Selbst wenn du nichts mehr hörst.

Kannst du die Zeit noch lesen?
Es ist egal.

Herbst.

Falls du noch gehst –
gehe vorsichtig
am Laub vorbei

damit es nicht raschelt,
denn sonst gibt es


Das Unglaubliche

Sein 91jähriges Gesicht
konnte ich mit seinem 70jährigen Gesicht
einfach nicht
in Verbindung bringen

War er das?
Nein
Das konnte er nicht sein
Oder doch?

Diese 21 Jahre waren so lang
wie alle 21 Jahre lang sind

Wie konnte – – –

Die Gleichförmigkeit der Zeit hilft
Niemandem
Der Verfall hält sich nicht daran
Was lebt verfällt ungleichmäßig

Doch das eigentlich Unglaubliche:
21 Jahre lang hat er in den Spiegel geschaut
Heute sehe ich aus wie gestern, hatte er gedacht
Am Tag darauf dachte er es auch

Er erkennt sich noch heute
Ja, das bin ich, denkt er

Manchmal war das Erschrecken groß
Als hätte er sich jahrelang nicht gesehen
Doch das verging

Wie er selbst


Dornen, oder: Ein schlechter Tausch

In meiner Kindheit
Konnte es mich glücklich machen
Einen breiten Gürtel zu haben

Einen Gürtel mit 2 Dornen.

Es war mir wichtig
Wie hoch die Absätze meiner Schuhe waren.
Es konnte mich traurig machen

Wenn mir etwas nicht perfekt erschien.

Aber die sogenannte Gelassenheit des Alters
Die Erkenntnis was wirklich wichtig ist
Im Leben

Sind ein Dreck dagegen.


Die letzte Grille

Wie konnten mir Grillen auf die Nerven
gehen in meiner Jugend! Und später.
Dieses ewige Gezirpe!

Ach, ewig – das sagt man so
dahin.

Abend. Wir liegen im Bett.
Das Fenster steht offen.
»Oh, wie schön«, sagt sie.

»Was?«
»Die Grille. Ich hab schon ewig
keine Grille mehr gehört.«

»Ist das nicht ein Vogel?«
»Nein, nicht der Vogel,
die Grille. Eine einzelne Grille.«

Ich stehe auf. Halte
den Kopf aus dem Fenster.
»Na ja«, sagt sie. »Es ist

ja nur eine, und der Ton ist
sehr hoch und leise.«
Ich sage nicht:

Da ist keine Grille. Es gibt
keine Grillen mehr. Sie sind
verschwunden. Für immer.

Aus. Gestorben. Da liegt sie.
Mit ihren jungen Ohren.
Ihren jungen, hübschen Ohren.

Ich lege mich wieder zu ihr.
Wie konnten mir Grillen auf die Nerven
gehen? Jemals.

In meiner Jugend. Und später.
Wie lange ist es her,
dass ich die letzte Grille gehört habe?

Und es nicht wusste.
Nicht ewig. Denn das sagt man nur so
dahin.


Die Differenz

Wie oft ich schon gestorben bin
in ihren Träumen, weiß ich nicht.
Auch nicht woran & wie.
Ich frage nicht,
wenn meine Schulter nass wird
und sie mich so sehr drückt,
als wolle sie das Leben
in mir festhalten
& versiegeln
für immer.

Ich mag mein Alter,
ich mag ihr Alter –
und die Differenz dazwischen.
Aber die Wahrscheinlichkeit,
von der sie träumt, würde ich
ihr gern ersparen.
»Ich kann hier nicht bleiben – «
sagt sie. » – dann.« Mehr
sagt sie nicht.
Ich versuche, mir vorzustellen,
wie es wäre,
hier ohne mich zu leben.
Ich kann es nicht.

Ich bliebe gerne da,
wenn ihre Träume wahr werden.
Unsichtbar, nur um zu sehen,
dass es ihr gut geht. Doch
auch das kann ich nicht.

So lange
halten wir uns fest –
als hätten wir die Hoffnung,
dass so – und nur so –
niemand zurückbleibt.


Beim Zahnarzt

Sie schmerzt immer mehr
Die alljährliche Zahnsteinentfernung
Blut fließt, ich balle die Fäuste

Mein Zahnarzt ist 78 Jahre alt
Zwei Oberschenkelhalsbrüche hat er hinter sich
Seine Frau ist tot
Aber manchmal läuft sein Hund durchs Behandlungszimmer
Die Sprechstundenhilfe, peinlich berührt, führt ihn
Dann wieder hinaus – den Hund
»Du darfst hier doch gar nicht sein«, sagt sie
Und tätschelt ihn
Ob sie sich hinterher die Hände wäscht
Weiß ich nicht; es ist mir auch egal
Der Zahnarzt hat nicht mehr viele Patienten
Aber was ich ihm vor 12 Monaten sagte, hat er vergessen
Dass ich seit 7 Jahren keine Zigarren- & Rotweinbeläge mehr
Auf den Zähnen habe, wundert ihn
Jedes Jahr aufs neue
Und immer wieder fragt er, ob ich keinen Tee mehr trinke

Er will nur noch arbeiten
Bis seine Sprechstundenhilfe in Rente gehen kann
Woanders würde sie doch keinen Job mehr bekommen, meint er
»Außerdem – was soll ich denn sonst machen?
So bin ich gezwungen, jeden Morgen aufzustehen
Und mich zu rasieren; das ist was Gutes.
Und solange meine Hände nicht zittern….«

Das Poster an der Decke kenne ich
In- & auswendig
Kitsch: Elvis Presley, Marilyn Monroe, Stan Laurel & Oliver Hardy,
James Dean und und und – kreisförmig angeordnet
Auch schon alle tot
Wie meine Mutter, die sich hier ein neues Gebiss besorgt hatte
Vor langer Zeit
Gerahmte Fotos verstorbener Hunde zieren die Wände
Da gibt’s viel Staub zu wischen
Ob das jemand tut, weiß ich nicht; es ist mir auch egal
Die Hunde ähneln einander

Nach Einbruch der Dunkelheit
Geht die Sprechstundenhilfe Gassi
Damit der Doktor nicht wieder stürzt
Sie ist etwas schwerhörig
Aber der Hund ist jung
Er könnte uns alle überleben

Kinderbücher im Wartezimmer
Obwohl keine Kinder mehr kommen
Doch die Erwachsenen erinnern sich vielleicht
Sie gelesen zu haben

Werde ich nächstes Jahr wieder hier sein?
Wird der Doktor nächstes Jahr noch hier sein?
Er würde sich wundern
Wo meine Beläge geblieben sind

Und ich könnte ihm sagen, dass ich keinen Tee mehr trinke
Obwohl das nicht stimmt
Ich möchte nicht der letzte Mund sein
In den er schaut

An meinem Ende
Des Dorfes kann ich hören
Wie der Hund des Zahnarztes
Am anderen Ende bellt

Er begrüßt jeden Patienten persönlich
& meldet ihn an
Aber manche Hunde bellen auch
Weil sie einsam sind


Striche Streifen Schleier

Nu blas schon

die Kerzen

aus

Ich sehe

Striche Streifen Schleier

in Flammen

 

Durchgestrichene Lampen
als hätte ich etwas
gegen Licht

Und nachts auf der Autobahn
nähern sich mir
die leuchtenden Kreuze

Memento mori

Ausgerechnet
ich der ich
schon als Kind
jede Kunstfunzel jedes Petroleumlämpchen
der unsubtilen Lichtverschütterin am Himmel
vorzog
kann nun der freien Wattwahl mich nicht mehr erfreuen

Schraffierte Welt

»Also, wenn wir
Ihren Nachstar jetzt schon lasern, könnte es passieren,
dass die Linse nach hinten ins Auge fällt.
Dann hätten wir ein Problem.«

Wir? Ich
muss jedesmal lachen, wenn ich daran denke.
Halt doch mal
das Auge still, du klapperst so laut!

Und Glaskörper klingt doch auch
irgendwie erotisch…..
Da sehe ich
ein Ballett durchsichtiger Nackttänzerinnen

schillernde Prismenpopos
buntgebrochenes Licht aus diaphanen Schenkeln
mundgeblasene Brüste

ich schweife

ab

Wo waren wir?
Ach ja – nu blas schon
die entzündeten Dochte

Wackelnde Flammen
Striche Streifen Schleier
Rauch geformt
wie eine französische Wolke

 

Und dann bleibt nur noch der Mond
der durchgestrichene
Und am Ende

ergreife ich
den Schweif in meinem Auge
& klettere hinauf

zu ihm

zu ihm

Mare Tranquillitatis

 


Oh, Herbst des Lebens!

Oh, Herbst des Lebens
Warmes Licht der Dämmerung…..

Ja, kein Wunder!
Die Linse des Menschen vergilbt!
Pissgelb wird das Teil im Alter; und
wenn jeder seine eigene Sonne im Auge hat –
was ist dann noch Realität?

Ich kann mich nicht erinnern
an den kalten Blick der Jugend.
Die Täuschung der Gefühle.

Das trübe Ding
wurde mir herausgeschnitten,
(aus anderen Gründen, gewiß)
nun seh ich wieder klar.

Was ist denn das für’n Dreck
da in der Ecke?
Kunst im Auge
wird zur Wissenschaft

wie die Spinne zur Wollmaus.

Mit Blaulicht Richtung Tod,
oder wählen Sie eine Linse mit Filter.
Andrerseits: für mich ist kein Himmel
mehr grau!

Was ist nochmal Realität?
Im Kopf hab ich sie nicht.
Der Arzt, der mit dem Skalpell
auf mich zu kommt

und spricht: »Hören Sie’s auch?
Jemand ruft ganz leise:
›Ich bin ein Star,
holt mich hier raus!‹«

Hahaha, ein Witz,
den hoffentlich bald niemand mehr verstehen wird.
Ich bin sediert,

ein Glück! Legt ein Tuch über mein Gesicht,
steckt mir einen Schlauch in die Nase,
und dann los! Mt 5,29

Und schon sitzen wir am runden Tisch
beim Kaffee: alte Piraten,
die alles verschütten.

Jeder seine eigene Schatzinsel.

Pj. Jrtndz frd Örnrmd
Est,rd Öovjz frt F#,,rtimh—–
 
In der Vergangenheit werden wir

    nie mehr leben

In der Zukunft waren wir

    noch nie

Aber auch was noch nicht da ist
kann immer kleiner werden
wie ein nasser Fleck, der verdunstet

Verschüttete Zukunft

Schnell noch ein Blick
aus dem Fenster – – –
Bevor es zu spät

ist – wird – sein könnte –

Es sieht nach Schnee

Aus


Unfassbar

Der Mond hing tief
Dicht über der Straße
Unfassbar

In der einbrechenden Nacht
Obwohl ich so lange Arme habe
Die Hände am Steuer

Swingte es im Radio
Dann war das Stück
Zu Ende. Jemand sprach.

Nannte den Interpreten
Den Titel & das Erscheinungsjahr.
1989. Ich dachte an jenes Jahr

& die einzige Frau
In meinem Kopf. Damals
Hatte mich dieser Job

Ereilt. Der erste
Lohn. Mit 29! Unfassbar
Wie man durchs Leben kommt.

Anders als man denkt
Wenn man denkt
Und wenn man nicht denkt

Kommt es auch
Anders. Ich
Stellte sie mir vor. Wie sie hätte

Getanzt haben können
1989. Zu dieser Musik, die jetzt
zu Ende

gegangen war. Swing! (Auch heute noch
Schaukelt sie für ihr Leben
Gern.) Es tanzt

Mit unsicheren Schritten. Über die
Es nicht nachdenkt. Leicht
Könnte es fallen; gerade

Erst hat es Gehen gelernt –
Das tanzende Mädchen
Wild in meinem Kopf. Das tanzende Mädchen

Das ich nicht gekannt hatte. Das
Tanzende Mädchen, das ich
Kennenlernen würde, verborgen

In einer Frau, die schaukelt. In der einzigen
Frau in meinem Kopf. Ich musste
Lächeln bei diesem Gedanken

Spiel. Und schaltete
Das Radio aus. Die Nachrichten
Von 2016, ich wollte sie

Nicht hören. Unterwegs. Noch immer
Derselbe Job wie damals. Und
Die Tänzerin wartete zu Hause

Auf mich! Es war wirklich
Unfassbar. Unfassbar
Wie man durchs Leben kommt.

Und der Mond hing so tief. Dichter
überm Horizont. Und meine Arme
Hatten exakt die richtige Länge

Für Umarmungen. Und die Krater könnten
ein Lächeln
Bilden

Wie in einem alten Gesicht.
Es ist Alles eine Frage
Der Interpretation.


Die innere Zeit

Ich vergesse oft
wie jung du bist

& oft vergesse ich
wie alt auch schon

Als wäre die Zeit nicht
messbar, die hinter dir liegt

Wie alt bist du
wirklich?

Wie ist die Zeit
in dir

vergangen? In
Jedem vergeht sie

doch
anders.

Sag mir
wie spät es ist

in deinem
Innersten

Nie vergesse ich
wie ich vergehe

Als wäre ich selber
die Zeit

auf der Flucht
& du würdest sein

der einzige Augenblick
an den ich

mich erinnere
am Ende

wenn es
zu spät ist


Sperrmüll in der Nacht

Sperrmüll im Licht der Laterne
Ein Sessel am Straßenrand
Ein Mann schlief
darin

Ich fuhr vorüber

Sein Gesicht sah
aus als hätte ein Nachtfalter
sein Unwesen darin
getrieben

Jemand hatte ihn an den Rand gestellt

Da waren Risse in der Oberfläche
Sprungfedern die herausgesprungen waren
& Schatten
auf dem Bürgersteig

Ich schaute in den Innenspiegel

Das Bild entfernte sich
Es blieb zurück
Während ich weiter fuhr
Durch die Nacht

Ein Falter starb in meinem Abblendlicht

Ganz still & leise
Während aus dem Radio irgend
eine Musik kam
die ich vergessen habe


Winter des Lebens

Im Winter sind die Menschen stiller
& die Leichen härter

in meiner Vorstellung
Schneegedämpfte Schritte auf
weißen Friedhöfen

frisch Verstorbene
fremd in festgefrorener Erde

Schweigendes Fleisch

Und die Toten
die schon lange tot sind
& die man kannte
haben nichts mehr

was gefrieren könnte

Nichts
als die Erinnerung
der Hinterbliebenen

Alles
Andere zerfällt
oder ist schon längst zer
fallen

Im Winter sind die Menschen stiller
& die Leichen härter

So stelle ich ihn mir vor: den
Winter des Lebens.

Wenn auch das Leben
stiller & härter
wird

mitten im Ver
Fall


Kartoffelstaub & Tod

Der alte Mann war Stammgast
in diesem Hotel.
Und er erzählte dem Nachtportier,
der ich war, von
Norwegen & vom Tod.
Auf seinen Schuhen war
Kartoffelstaub. Der alte Mann wusste es
zu erklären, und ich hörte zu.
Dann lächelten wir.
Er tanzte gern.
Das war der Grund.
Und in dem Büro hinter dem Empfang
stand mein Essen.
Und da war keine Sättigungsbeilage
auf dem Teller; ob
wohl die Köchin mich mochte.
Manchmal
passt einfach Alles
zusammen.


Der Fall des Stockes

Der Stock
des alten Mannes
fiel

Das Geräusch
von zitterndem Holz
auf kaltglatten Fliesen

Er fiel
als der alte Mann
Hut & Mantel an der Theatergarderobe abgeben wollte

Ich bückte mich
mit der Jugendlichkeit
die über 30 Jahre her ist

Hob den Stock auf
& reichte ihn
dem Mann

Ein Lächeln – seins
»Danke, das ist überaus freundlich
von Ihnen«

Ein Lächeln – meins
»Bitte sehr,
gern geschehen«

(Den Theaterbesuch hätte ich mir
kaum leisten können. Man hatte ihn mir geschenkt.
Mehr noch, man hatte mir ein Abo geschenkt. Das ich mir
auf keinen Fall hätte leisten können. Ja, ich war ein
Abonnent; gehörte plötzlich zu der Spezies, die von den Künstlern
so oft verspottet wird. Mit Recht verspottet. Wahllose Allesfresser.

Schluck die Klassik! Schluck die Moderne! Schluck den Boulevard!
So ging ich regelmäßig ins Theater. Meist noch vor dem Frühstück.
Nachtmensch, schon damals. Und es war nicht das einzige
Theater-Abo, das ich geschenkt bekam…. Irgendwann hörte ich auf,
in jedes Stück zu gehen. Irgendwann hatte ich keine Lust mehr,
mich vom Wecker aus dem Schlaf reissen zu lassen, um zu meinem reservierten
Platz zu eilen. Irgendwann wiederholten sich die Stücke. Oftmals waren die
Schauspieler noch das Beste daran – all diese Berühmtheiten, die
inzwischen tot sind…. Tot wie….
Doch zurück zu dem alten Mann & seinem Stock. Wo ist er denn? Gerade
war er doch noch da.
Ach ja, dort….)

Unser Lächeln
Sein Alter
Meine Jugend

Die freundlichen Worte
Das Geräusch des fallenden Holzes
Was auch immer

Wer weiß schon
von jedem Moment
warum

er sich
ins Bewusstsein
das zur Erinnerung wird

einbrennt

Momente
die so unscheinbar
erscheinen

Nichtig
wie ein schlechtes
Theaterstück

Ich sah den alten Mann
nur
dieses eine Mal

Das Stück? –
habe ich
vergessen

Den Stock –
habe ich
behalten.


Leerstehend

Ein weiteres Haus steht
leer …..
Vertraute Gesichter
die man altern sah
sind
verschwunden …..
Das Leben endet
im Ungewohnten …..
Herausgerissen aus Zusammenhängen
wie ein Blatt aus dem eigenen Lieblingsbuch …..
Verfall in engen Räumen …..
Fremdheit am Schluss …..
Das Blatt hat 2 Seiten
voll von Sätzen die man auswendig kannte
& es fällt
zerknüllt
in einen Mülleimer …..

Ich schaue aus dem Fenster.
Noch sieht das Haus bewohnt aus.
Noch bewohne ich mein Haus.
Es verfällt.
Wie ich.

Ich denke an Häuser
die man Heim nennt
ohne es zu
sein …..

Das nächste Haus
das leerstehen wird
ist mir vielleicht
das nächste

& der Mülleimer
quillt über

denn
Niemand
kann

ihn
leeren.


Ein nostalgischer Moment der Zukunft

Es war ein Moment purer Nostalgie, als
der alte Mann sich mir näherte.
Eine Nostalgie, die mich
würgen ließ.
Er roch wie das Innere
einer Telefonzelle aus den 70er Jahren.
Als ein Ortsgespräch 2 Groschen kostete.
Wie oft war mir in ihnen schlecht geworden
als Kind……
Es war mir stets vorgekommen, als gäbe
nirgendwo auf der Welt eine dieser Zellen, die
nicht nach Pisse & Erbrochenem roch.
Und ein bisschen nach
Zukunft.
Kaum wagte man, die Tür zu schließen.
Der alte Mann bewegte sich mit winzigen Schritten;
atmete schwer. Er trug
einen schwarzen Cowboyhut.
Auf dem Rücken einen Rucksack, in der rechten Hand
eine Reisetasche.
Er hatte sich ein Zimmer genommen;
in einem Hotel jener Stadt, in der er wohnte.
Vielleicht hatte er vergessen, dass er eine Wohnung hatte.
Die Nacht lag hinter ihm.
Eine von vielen.
Eine von zu vielen. Vielleicht.
Hinter mir lag
dieselbe Nacht.
Und doch
eine andere.
Eine Nacht im selben Hotel.
Er: der Gast.
Ich: der Portier.
»Guten Morgen«, sagte er.
»Guten Morgen«, sagte ich.
Wir sagten also dasselbe. Nur dass es bei ihm
älter klang. Und kurzatmig.
»Wo ist das Frühstück?« fragte er.
»Im ersten Stock.«
»Wie – komme ich da – hin?«
»Sie gehen zurück in den Aufzug, drücken auf die 1,
und wenn sie aus dem Aufzug kommen, ist gleich links
der Frühstücksraum.«
Er starrte mich an.
Es schien zu dauern, bis meine Worte
irgendeinen Sinn ergaben – für ihn.
Die Worte reisten gemächlich durch seinen Kopf.
Je länger er mich anstarrte, desto länger musste ich
ihn riechen.
»Könnten Sie bitte mit raufkommen? Nicht – dass ich mich – verlaufe.«
»Es ist ganz einfach«, sagte ich.
»Trotzdem. Bitte.«
Der Aufzug, dachte ich – eine Telefonzelle, die sich
auf & ab bewegt. Und in der meist
geschwiegen & gestunken wird.

Ich sagte:
»Ok. Sie nehmen den Aufzug, und ich gehe über die Treppe;
ich darf den Aufzug nicht benutzen – für den Fall, dass der
steckenbleibt.«
War für eine Vorstellung!
»Wie?« sagte er.
»Sie gehen in den Aufzug zurück & drücken auf die 1.
Ich nehme Sie dort in Empfang & zeige Ihnen den Weg.«
»Hmm – – auf die 1.«
Er machte kehrt, trippelte
langsam & schnaufend
zurück in die Kabine.
Cowboyhut, Rucksack, Reisetasche. Und das Alter.
Was für ein Aufzug!
Die Türen schlossen sich. – –
Ich war im ersten Stock bevor
der Aufzug dort war &
nicht hielt.
Ich hörte es:
Er hielt im zweiten (die Türen gingen auf & zu),
er hielt im dritten (die Türen gingen auf & zu),
er hielt im vierten (die Türen gingen auf & zu).
Mehr Stockwerke gab es nicht.
Nur noch Dach & Himmel.
Ich wartete.
Zeit verging.
Wie immer.
Gleich schnell – für uns beide …..
Obwohl wahrscheinlich einer von uns
weniger davon zu verlieren hatte als
der andere.
Keiner wusste,
wer.
Er kam an.
Endlich.
Im ersten Stock.
Ich wies ihm den Weg
zum Frühstücksraum.
Er hielt inne.
»Ich habe meinen Beutel vergessen«, sagte er.
»Beutel?« sagte ich. »Sie meinen nicht Ihren Rucksack
oder Ihre Reisetasche?«
»Nein. Ich hatte noch einen Beutel. – Würden Sie ihn bitte
aufheben – bis ich wiederkomme?«
»Natürlich«, sagte ich. »Gerne.«
Er sagte:
»Ich danke Ihnen für Ihre Bemühungen.«
Nostalgie & Zukunft
vermischten sich –
wie Pisse & Erbrochenes.
Dabei hatte der alte Mann
über Nacht
ins Bett geschissen.
Ein Hauch von Kindheit.
Der Atem des Alters.
Und das hübscheste Zimmermädchen von allen
hatte es entdeckt.
Sie tat mir leid.
Ja – auch ich hatte im Bett geschissen.
Als Kind.
Wie wir alle.
Ja – auch ich wurde alt.
Wie die meisten.
Und die Zukunft ähnelt der Vergangenheit –
immer wieder.
Auch ich hatte gern einen Cowboyhut getragen ….
als Kind …. als ein Ortsgespräch noch 2 Groschen kostete ….
2 Groschen
in einer stinkenden Zelle, die
still stand ….


Pfandflaschen

Es ist nicht besonders warm
an meinem Arbeitsplatz
im Winter.
Aber es ist
erträglich.
Und hinter mir steht
ein Heizlüfter.
Durch die Fensterfront blicke ich auf
den Bahnhof gegenüber,
erleuchtet in der Nacht.
Mehrspurige Straßen ….
Ampeln ….
Laternen ….
Mülleimer ….
Am Wochenende werden die Mülleimer
immer wieder
aus ihren Halterungen gerissen
von besoffenen Jugendlichen –
ein Geräusch, das ich sehr gut kenne.
Und immer wieder sehe ich
den alten Mann mit seinen Plastiktüten,
der in den Mülleimern nach Pfandflaschen sucht.
Auch ihn kenne ich sehr gut –
vom Sehen.
Das Klirrgeräusch in seinen Tüten eilt ihm voraus.
Doch manchmal sind die Tüten auch leer.
Nie schaut er durch die Fenster herein zu mir.
In den Fenstern sehe ich mein Spiegelbild
vor der künstlich beleuchteten Dunkelheit
da draußen.
Es ist kalt da draußen.
Sehr kalt.
Ich werde mich warm anziehen müssen.
So wie er.


Das alte Radio

In meiner Kindheit war ich
klug. –
In meiner Jugend
dumm. –
Nun –
ist es
zu spät.
Ich liebte das Radio, das
auf dem Nachttisch meines Vaters stand.
Das warme Licht
der Röhren;
die Zahlen
der Skalen;
die Knöpfe,
die Tasten,
die Regler.
Den Klang.
Irgendwann kaufte er sich
ein neues Radio.
Transistoren.
Kalte Farben.
Kein Licht.
Ein flacher Klang.
Ich bekam
das alte Radio.

In meinen schönsten Kindheitsnächten
war es meine einzige Lichtquelle,
mein schönstes Geräusch,
wenn alle schliefen.

Ein Rausch.
Eine Wärmequelle.
Ein Lagerfeuer.
Stimmen & Noten.

»Kann das weg
oder willst Du’s behalten?«
fragte meine Mutter.
Sie mistete den Keller aus.
Lange
nach dem Tod meines Vaters.
Ich war kein Kind mehr.
War
voller Hass
auf
Vieles.
Voller
Gleichgültigkeit.
Voll
scheinbarer
Kälte.
Und doch
voll
Feuer.
Ich war –
keine Ahnung.
»Weg«, sagte ich. »Das
brauche ich
nicht
mehr.«

Es gibt noch
alte Schwarzweiß-Photos,
auf denen das Radio
zu sehen ist.
Mein Vater liegt daneben.

Photographierte
Musik.

Ich bin
kein Kind mehr.
Nicht mehr jung.

Klugheit
Dummheit
Hass
Gleichgültigkeit

Was gäbe ich
heute
für das warme Licht der Röhren;
die Zahlen der Skalen;
die Tasten;
die Regler;
den Klang …..

Dieses Geräusch.
Diesen Rausch
der Kindheit.

Dieses Feuer.

Vielleicht
ist auch das
nur
Dummheit …..

Wie auch immer –
es
ist
zu
spät.


Das Atmen der Wände

Auf Wände starren
in einer Nacht, die
verstummt ist
wie das Gedächtnis eines
geistig Umnachteten

Das Vergessen ist ganz still

& die Wände atmen
durch die Löcher, wo
einst Bilder hingen

Schwarze Punkte
die den leeren Blick einfangen

Bilder
die kein Nagel mehr
ertragen kann

Das Atmen der Wände ist
vielleicht
das Letzte
was man
hören wird

Nichts schweigt
so grausam
&
so schön

wie

das Vergessen


Kahl & hohl

Und wenn man zu
alt wird,
gehen sie einem
aus –
die Themen
die Erinnerungen
die Gedanken
. –
Sie gehen einem
aus
wie Haare –
& kahlköpfig,
hohlköpfig
starrt man in
die
innere
Leere …..
Alles,
was einem noch einfällt,
sind die Wangen.
Ein Totenschädel, der
wartet.
Leere
ist
überall.
Wenn
man
zu
alt
wird.


Der dünne Katalog

Der alte Mann hörte wie
die Klappe vom Briefschlitz
in seiner Haustür
zuschlug

Post!
Nachricht von draußen!

Langsam
erhob er sich vom Sofa &
langweilte sich
durch den kurzen Flur

Die Post
lag auf dem Boden
auf der Fußmatte

Der alte Mann
bückte sich

langsam

beschwerlich

hob die Post auf

Nur eine
als Brief verkleidete Werbung
&
ein dünner Katalog

Als der alte Mann sich
aufrichtete
schmerzte
sein Rücken

Den Brief
der keiner war
warf er sofort
in den Müll

Den Katalog
nahm der mit auf
das Sofa

Denn auf der Titelseite
war
eine junge Frau

Eine junge Frau
in einem kurzen Sommerkleid

Die Frau
lächelte
wie
eine Erinnerung
an schöne Zeiten

Sie war
perfekt
die junge Frau

Denn
ihr Abbild war
retuschiert
wie
die Erinnerung
an schöne Zeiten

Ihr Lächeln
Ihre Schultern
Ihr Dekolleté
Ihre Beine
Ihre Füße

Der alte Mann
betrachtete sie
lange

Dann schlug er
den Katalog
auf

&
blätterte
darin

Seite
für
Seite

Viele Bilder waren
darin
doch er
verfolgte nur

die junge Frau
von der Titelseite

Das Geräusch
des Blätterns
hatte er ausgeblendet
(oder war er schon zu alt
es zu hören?)

Er fror

Auf den ersten Seiten
trug sie
Kleider
Röcke
Hosen
(lange Hosen
Shorts
Hotpants)

Der alte Mann
blätterte
langsam

sehr langsam

Befeuchte
ab & an
seine Finger
mit der Zunge

Einige Seiten weiter
trug sie
Bademode

Der alte Mann
roch
das Meer
fühlte
den Sand
schmeckte
Salz
&
Haut

Bunt waren
die Seiten
Bunt wie
seine Jugend

Das Licht war
künstlich
in der Wohnung
des alten Mannes
denn draußen
war es
düster & grau

Dann kam
die
Unterwäsche

Der alte Mann
suchte

suchte
nach der jungen Frau

Er sah nur
fremde Gesichter
fremde Körper
war
verstört
war
enttäuscht

blätterte um

& –
da war sie

Der alte Mann war
beruhigt

So schön war sie
in
Dessous

So
perfekt
wie seine
Einsamkeit

Die Zeit
verging
seitenlangsam

Die Seiten
färbten ab
& er
schmeckte sie
die Seiten
die Farben
das Künstliche

Ist diese Sehnsucht
dieselbe
wie
früher
dieselbe
wie
damals? –
Das
kann
nicht
sein
Das
kann
nicht
sein

Schließlich
kam
die
Nachtwäsche

Die junge Frau
in
Schlafanzüglichkeiten

Wovon würde sie
träumen
in diesen
Pyjamas
diesen
Shorties?

Nicht
von dem alten Mann
auf dem Sofa
der in diesen Seiten
blätterte

Nicht
von seiner
Sehnsucht

Nicht
von der
Vergänglichkeit

Vielleicht
von
ihrer
Perfektion

Von der Perfektion
die sie nur
in diesem
Katalog
haben konnte

retuschiert
&
gebannt

für
die Zukunft

Eine Zukunft
die
begrenzt war
wie
die Hoffnung
des alten Mannes

Der alte Mann
schlug den Katalog
zu
& legte ihn
mit der Rückseite nach oben
neben sich

Auf der Rückseite
war
eine Waschmaschine
abgebildet

Der alte Mann
legte
die Hände
in den Schoß

In den Schoß

der

tot

war


Sonnenfinsternis

Die alte Frau lag auf dem Sofa,
die wassergeschwollenen Füße
auf der Armlehne ….
Der Fernseher lief. Werbung. Laut,
denn die Frau hörte schlecht.
Die Sonne schob einen Lichtbalken
durchs Südfenster, Staub flitterte darin.
Es war der Frau zu sommerheiß; sie
zitterte, als sie mühsam das Wasserglas
mit dem Strohhalm vom Tisch nahm, um
einen Schluck zu trinken.
Sie zitterte, als sie das Glas zurückstellte,
doch sie verschüttete nichts.
Manchmal blendete sie ein Lichtreflex, der
ihr, vom Metall des Rollators ausgehend,
direkt ins Auge stach.
Eine junge Frau in Unterwäsche saß auf dem Rand
einer Badewanne & rasierte sich die Beine.
Die alte Frau beobachtete sie dabei. Sie
betrachtete die glatte Haut durch die
dünne Staubschicht, die auf der Bildröhre lag.
Die Helligkeit im Zimmer ließ das Bild verblassen.
Eine Fliege verließ die Wohung durch die
geöffnete Balkontür, und als die Werbung
zu Ende war, begann die
Direktübertragung.
Die gefilmte Sonne …. Menschen, die sich
dunkle Filter vor die Augen hielten ….
Langsam näherte sich der Mond ….
Die Frau war sich sicher,
Finsternisse schon erlebt zu haben, aber
sie konnte sich nicht erinnern,
wann ….
Die Frau war sich sicher,
dass dies die letzte Finsternis ihres Lebens
sein würde.
Die letzte Finsternis, die nichts mit ihrem
Dasein zu tun hatte.
Durch das Fenster konnte sie die Sonne nicht sehen;
die Sonne stand zu hoch.
Sie schaute auf das Abbild im Fernsehen ….
Angespannt & maskenhaft war das
Gesicht der Frau; sie atmete
durch den geöffneten Mund.
Der Mond schien die Sonne zu berühren ….
Die Frau griff nach der Fernbedienung, die neben ihr
auf dem Sofa lag, und schaltete
den Ton aus – zu viel wurde
geredet – zu viel
kommentiert.
Sie verspürte nicht den Drang,
aufzustehen.
Langsam wie der Mond hätte sie sich
dem Balkon & der Sonne nähern können ….
– – Doch wozu?
Auf dem Bildschirm würde die Finsternis
total sein – hier, wo die Frau wohnte,
nur partiell.
Und während sich hinter der dünnen Staubsicht
der dunkle Kreis vor den hellen schob,
erloschen in dem Zimmer die Reflexe des Metalls,
und der fliegende Staub wurde unsichtbar ….
Ein scheinbar düsterer Tag lag jenseits des Südfensters,
und das Abbild im stummgeschalteten Fernsehen
wurde kräftiger ………….
Das Abbild
ihrer
letzten
Finsternis.


Die Abstände werden größer

Die Abstände werden größer –
größer im Lächeln

Da ist
dieses Kinderfoto

Glück –
GlücksEmpfinden

& die Zähne des Lächelns
stehen dicht
beieinander

Dicht beieinander wie
die Momente
über die man lächeln konnte

Und die Zähne sind
weiß

Und dann
nur Jahrzehnte von Momenten später
schaut man in einen Spiegel

Das Lächeln ist
ein Fletschen

& da sind diese
Lücken

Lücken im Glück

in dem
bissigen Lächeln

welches das Leben
& die Zeit
zerkaute

Und die Lücken sind
dunkel

weil dahinter ein
Rachen
ist

Und der Rachen
bleibt stumm

weil dahinter ein
Schweigen ist

Und das Lächeln ist
gelb
oder es ist
braun

Weil es alt ist –
ein Lächeln im Herbst

Und die Lücken werden größer
Die Abstände weiter

Der Rachen ist dunkel

& die Zukunft wird
kleiner