Du warst in dieser Welt Ich hatte Angst vor dir Ich fühlte mich beschützt von dir Wieviele sind noch am Leben Die dich kannten Wirst du vergessen sein Wenn ich sterbe Als wärest du nie gewesen Auf dieser Welt In der dein Schutz mir fehlte Als du verschwunden warst So jung so früh Es ist egal Nur die Wesen vergessen Was verwest Im Gedächtnis der Welt Bleibt alles Erinnerung Sie weiß dass du da warst Und die Angst ist vergangen
Schlagwort-Archive: Erinnerung
Im Gedächtnis der Welt
Ein Stück Erinnerung
Seit sie mir die Pistole weggenommen haben,
besitze ich nichts mehr, um
mir bei Kopfschmerz die Schläfen zu kühlen.
Sie war ein Erinnerungsstück.
Aus der Sammlung meines Vaters.
Alle Erinnerungen
hätte man damit beenden können.
Man hat sie mir nicht weggenommen –
die Erinnerungen. Doch
der Kopfschmerz wurde schwächer,
als mein Vater starb. Ganz
verschwinden wird er nie.
Nachwelt
nach
welt möchte ich
sein für die vergessenen
die toten vergessen
von den leben
den die nach
geboren sind
& ihnen die unsterblichkeit verweigern
trost will ich
sein für die toten
& für jene die noch vor mir sterben
werden
Ein Buch, vorbei
»Ich weiß,
dass ich das Buch gelesen habe,
aber ich erinnere mich nicht
an seinen Inhalt.
Ich weiß,
wann, wo & unter welchen Umständen
ich es gelesen habe. Aber
ich erinnere mich nicht
an seinen Inhalt.
Ich weiß,
worum es geht, aber ich weiß nicht,
was passiert.
Es ist alles
zu lange her.«
»Wovon redest du?«
»Er kann dich nicht hören.
Er phantasiert.«
»Sicher?«
»Sicher. Es geht zu Ende
mit ihm.«
»Sicher, ich weiß,
dass ich es gelesen habe.
Aber was für einen Sinn hatte es,
das Buch zu lesen, wenn ich
mich an seinen Inhalt
nicht erinnern kann?«
»Du kannst es
wiederlesen.
Hörst du?«
»Er kann
dich nicht hören.«
»Ich könnte
es wiederlesen.«
»Siehst du? Er hat
mich gehört.«
»Aber nein,
das geht ja nicht.
Ich kann es nicht wiederlesen.
Es ist zu spät
dazu.«
»Hörst du? Wenn
du es gelesen hast,
wurde das Buch gelesen
von dir. Das
ist der Sinn. Du musst
dich nicht erinnern.«
»Ich erinnere mich,
dass ich es gelesen habe, aber
gerade jetzt weiß ich
nicht mal mehr,
ob ich es gut fand.
Ich -«
»Hörst du?«
»Lass ihn in Ruhe.
Merkst du nicht? – er
faselt nur noch.«
»Was für ein Buch
meint er überhaupt?«
»Keine Ahnung. Lass
ihn. Es ist gleich
vorbei.«
»Vorbei.«
»Vorbei?
Ja. — Vorbei.«
Sägemehl
Unterm Sofa liegt Sägemehl
Als hätte sich etwas bewegt
Ich war’s
nicht Haben die Termiten geschnarcht
Oder ich Hatte jemand
Sex auf dem Sofa
Ist es die Asche
meines Großvaters in dessen
Wohnung es stand als ich
jung war Ich
könnte den Kopf schütteln
Zur Not sogar meinen
Aber wer weiß, was
dabei heraus käme
Unvergesslich
Ich erinnere mich
Niemand kannte den Mann
Manche glaubten es
trotzdem
Er schrieb
Er schreibe
Unvergessliche Gedichte
behauptete er
War das zu glauben?
Er lächelte
»Nichts« sagte er
»hebe ich auf
Alles
werfe ich weg
so
fort«
So war
es wahr
Seine Gedichte waren unvergesslich
weil niemand sie kannte
& er sich erinnerte
In dem indem
»Bilden Sie einen Satz
in dem indem zusammen
geschrieben wird.« Der Lehrer
rief mich auf, obwohl ich
mich nicht gemeldet hatte.
Ich meldete mich nie.
Ich sagte: »Ich langweile mich,
indem ich hier sitze.«
Die meisten Mitschüler lachten.
Der Lehrer grinste
bloß. »Niemand«, sagte er,
»zwingt Sie hier
zu sein.«
Das stimmte
nur bedingt.
Wo war man schon
frei? Oder auch nur frei
willig? Vielleicht
in Gedanken. Aber auch
dort nur bedingt. Eigentlich
hatte ich gelogen. Ich
langweilte mich gar nicht.
Weil ich mich nicht langweilen kann.
Ich war einfach
ganz woanders gewesen
in Gedanken. Dort
wurde es niemals langweilig.
Der Lehrer mochte mich,
und inzwischen ist er
tot. Ich lebe noch
& mochte ihn auch.
Wie die Grammatik.
Die Taubheit der Augenblicke
Die Furcht
einer dieser Augen
Blicke könnte taub werden
Hart
Hörig
& lahm
Wie irgend Jemand
der nicht mehr lange
zu leben hat
Die Furcht
einer dieser Augen
Blicke könnte erblassen
vor Angst
vor dem Tod
& der Vergänglichkeit
Die Furcht
einer dieser Augen
Blicke die uns gehörten
könnte nicht mehr hören
wenn ich ihn zurück
rufe in mein
Gedächtnis
Die Furcht
Die Furcht
Die Angst
Nimm sie
mir mit Deiner
Erinnerung!
Doch behalte sie nicht
für Dich!
Die Anmache
»Mach mich nicht an!«
schien die Musik zu sagen.
In der Maske der Vernunft.
Doch ich wollte nicht
auf sie hören.
Ich musste sie hören.
Also machte ich sie an.
Dann sah ich sie.
Die Musik – in Gestalt der Frau.
Die Maske lag am Boden.
Die Frau stand da
in hellen Hauttönen.
Wie hätte ich sie nicht anmachen können?
Die Erinnerung war zu stark.
Zeit & Raum
Es war 10 vor 4 am
Nachmittag. Längst
hätte ich schlafen müssen.
Leuchtende Ziffern
auf einer digitalen Uhr.
Rot. In dunkler Umgebung.
Bei Kilometer 15,5 hatte ich
einen Unfall gehabt. Tod
& Blut an einem Abend,
dessen Datum ich nicht
im Kopf hatte. Es bestand
kein Zusammenhang. Es
waren nur Zahlen. Die einen riefen
eine Erinnerung
wach. Die anderen waren
das Erinnerte. Wieder
andere hatte ich
vergessen. Sie
beschrieben
einen Punkt
in der Zeit. Und
einen Punkt
im Raum. Getrennt
von einander. Vereint
in meinem Denken. Ich
konnte mich drehen &
wenden, wie ich wollte,
aber schlafen konnte ich
nicht. Und dann dachte ich
an etwas Anderes.
Getrennt in
Wirklichkeit. Vereint
in der Erinnerung. Im
Übrigen hatte ein Tier
den Tod gefunden.
Schließlich
war es 4 –
& es passierte immer noch
Nichts.
Wann ich ein
schlief weiß
Niemand.
1984
Mein Arm unter ihrem Nacken.
Entspannung. »Jahrgang 84«, sagte sie.
»Was hast du 1984 gemacht?«
»Nichts«, sagte ich. »Das war die Phase
nach dem Abi, wo ich nichts gemacht habe.
Außer Lesen & Saufen vielleicht. 7 Jahre
lang. Und von deiner Geburt
hat mir auch keiner was gesagt.«
Sie atmete ein Lächeln aus.
Vielleicht trafen sich
in diesem Moment unsere Blicke –
dort oben. An der Zimmerdecke.
»Ach, halt«, sagte ich, »1984
kam der Film 1984 in die Kinos. Mit
John Hurt & Richard Burton. Guter
Film. Den habe ich gesehen. Damals.«
Wie praktisch, wenn der Titel eines Films
gleichzeitig sein Erscheinungsjahr ist. Wie
leicht man sich sowas merken kann. Aber
viel interessanter war doch die Frage:
Wo war Sie 1960 gewesen?
Die alte Musikkassette
Es gibt sie schon seit langer Zeit
nicht mehr –
diese Musikkassette
aus
meiner Vergangenheit. Es gibt nicht einmal mehr
ein Abspielgerät in meinem Auto, das auch
ein anderes ist
als damals. Alles
ist anders. (Überholte Technik.) Selbst
ich
vielleicht?
Nein, das ist nur Schein. Eine Täuschung. Ich
bin weniger. Gleich. Und mehr. Zugleich.
Ich erinnere mich
nicht mehr,
welche Songs auf dieser Kassette waren –
also auch nicht an die Reihenfolge,
in der ich sie hörte – wenn ich unterwegs war.
Wohin auch immer.
Bei Musikkassetten gibt es keine
zufällige Wiedergabe.
Man weiß immer, was einen als Nächstes erwartet. Wenn man sie kennt.
Manchmal war das gut, und manchmal nicht.
Manchmal war nicht gut, was als Nächstes kam,
und manchmal war es nicht gut, zu wissen, was kommen würde.
Manchmal beides. (Was bedeutet, dass man sich
manchmal sogar freute – auf das, was nicht gut war.)
Man hatte die Möglichkeit
vor- oder zurück-
zu spulen…….
Dass das gefährlich sein konnte
während der Fahrt, war mir
gleichgültig. Aber es war mir meist
zu umständlich. Und beinahe
nie traf ich exakt
Anfang oder Ende
– wenn ich es doch
einmal tat.
Und jetzt habe ich also vergessen:
Welche Lieder. Welche Reihenfolge.
Und doch:
zuweilen höre ich 1 dieser Lieder wieder –
irgendwo – durch Zufall (wenn es Zufall ist) –
& wenn es zu Ende geht, erwarte ich
nach einem kurzen Moment
der Stille
etwas ganz Bestimmtes.
Ich erwarte, einen ganz bestimmten Song zu hören.
Fast höre ich ihn schon. Tatsächlich. In mir.
Ein Teil der vergessenen Reihenfolge ist wieder da!
Ich erinnere mich. Doch
er kommt nicht – dieser eine, bestimmte. Er kommt
niemals. Dieser Zufall (wenn es Zufall wäre) wäre
zu groß.
Zu groß: die Zahl der Möglichkeiten
in einer Welt voller Lieder.
Zu klein: der Ausschnitt davon
auf der Musikkassette.
Es kommt: immer ein anderer.
Und käme der ›richtige‹ Song einmal doch,
würde man vielleicht wahnsinnig werden.
Und da das nächste Lied nicht kommt,
erinnert man sich nicht an das übernächste.
Ach, es ist
& bleibt
kompliziert.
Und die Kassette war
ein Geschenk.
Vielleicht wäre es besser
nicht
darüber
nach zu
denken. So
wie Die
jenigen, die meinen, es ginge
hier
um
Musik.
Nähe oder Ferne?
Da gibt es diese Erinnerung,
die ich habe – & ich weiß
nicht: erinnere ich mich
an eine Fantasie der näheren
oder an eine Realität
der ferneren
Vergangenheit.
Als kleiner Junge war ich so
gelenkig. Und ich probierte
aus – wie gelenkig ich war. Und
wenn ich nackt auf dem Rücken lag
& die Füße auf den Boden
oberhalb meines Kopfes stellte,
war mir mein Schwanz so nahe,
dass er mich störte.
Bei
nahe hing er
mir ins Gesicht.
Fantasie oder Realität?
Nähe oder Ferne?
Sollte es Realität gewesen sein,
wäre also Alles wie immer:
ich war glücklich
ohne es zu wissen, glücklich
ohne damit etwas anfangen zu können.
Was für ein Pech!
(Dass ich nicht mehr so gelenkig bin.)
Die dunkle Zone
Da saß er also
& schaute hinab auf den Schatten,
den die Sonne aus ihm machte.
Der Schatten war lang, denn
die Sonne schwamm tief im Abendhimmel –
hinter der Bank, auf der nur er
allein saß.
Gegenüber, auf der anderen Seite
der Straße, befand sich ein Spielplatz, kinderlos;
der Schatten des Mannes reichte nicht bis dort.
Wenige Menschen gingen vorüber. Diesseits
der Straße. Betraten die dunkle Zone
auf dem Gehsteig. Die dunkle Zone, die
sich bewegte, wenn der Mann auf der Bank
sich bewegte. Doch er bewegte sich nicht –
wenn sie betreten wurde.
Wer bist du? dachte der Mann.
Die Silhouette blieb stumm.
Und die Menschen waren fort.
Ihre eigenen Schatten hatten sie mitgenommen.
Erinnerte Bilder glitten über eine Rutsche
abwärts – – – – – & landeten im Sand.
Hunde hatten in den Sand geschissen. Doch
das war egal.
Das Klettergerüst der Gedanken rostete in der feuchten Luft.
Der Mann spürte die Wärme im Rücken. Die Wärme, die
ihn kalt ließ.
Auch kleine Lampen bilden Schatten.
Und ich liebe sie
mehr als jedes Licht der Sonne.
Die Lämpchen. Und die Schatten. Und ihr Spiel.
2 Absätze klangen wie eine Uhr im Vorübergehen;
Frauenfüße in offenen Schuhen. Leise
in der Ferne. Lauter werdend. Am lautesten
in der dunklen Zone. Dann: leiser werdend. Und
vergangen. Im Licht. Verschwommen.
Er lächelte.
Die Sonne macht sich was aus mir.
Sie macht mich zu einem Schatten.
Zum Schatten meiner Selbst.
Es ist ein Naturgesetz.
Wer bist du?
Ein kleiner Junge an der Hand einer Frau.
Sie gingen übers Trottoir. Jenseits
der Straße. Dort wo der Schatten des Mannes
nicht war. Die Frau trug eine Sonnenbrille & ein gelbes Kleid,
und sie führte den Jungen vorbei an dem Spielplatz. Und der Junge
wandte seinen Kopf. In Richtung des Sandkastens. In Richtung
der Wippe. In Richtung der Schaukel. Und
als sie vorüber gegangen waren, blickte der Junge
noch immer zurück.
Ein geworfener Schatten, dachte der Mann.
Das – ist die Antwort. Sonst
Nichts.
Winter des Lebens
Im Winter sind die Menschen stiller
& die Leichen härter
in meiner Vorstellung
Schneegedämpfte Schritte auf
weißen Friedhöfen
frisch Verstorbene
fremd in festgefrorener Erde
Schweigendes Fleisch
Und die Toten
die schon lange tot sind
& die man kannte
haben nichts mehr
was gefrieren könnte
Nichts
als die Erinnerung
der Hinterbliebenen
Alles
Andere zerfällt
oder ist schon längst zer
fallen
Im Winter sind die Menschen stiller
& die Leichen härter
So stelle ich ihn mir vor: den
Winter des Lebens.
Wenn auch das Leben
stiller & härter
wird
mitten im Ver
Fall
Sang- & klangvoll
Sang- & klangvoll möchte ich
sterben
Mit der seltsam-schmerzlichen Note
einer Saite, die
reißt – in der Stille der Nacht
& jeden erschreckt
der in der Nähe ist
Und wer zu dicht bei ihr steht
könnte verletzt werden
durch den Riss
der Saite
War sie überspannt?
War es Ermüdung?
Einerlei!
Niemand wird mehr auf ihr spielen
Aber so mancher Ton
der von ihr kam in der Vergangenheit
wird fortklingen
im dem ein- oder anderen
Ohr
In dem ein- oder anderen
Gedächtnis
Ein Echo der Erinnerung
Die Halde am Rande des Wahnsinns
Nein!
Es ist kein Schwelgen
in Erinnerungen.
Es ist nichts
Besänftigendes.
Es ist ein Stochern
im Gedächtnis…..
In dieser Halde
am Rande des Abgrundes
wo die heißen Dämpfe der Verwesung
die Bilder flirren lassen
& Unbeachtetes plötzlich glitzert
im Müll.
Nein. Kein Schwelgen.
Nichts Gemütliches.
Nur Stochern
& Suchen
am Rand. Vielleicht sogar
am Rande
des Wahnsinns
Wer bin ich?
Wie bin ich
hierher gelangt?
Was macht mich
aus
Der Rettungsring
Mein Bruder glaubt bis heute
mich schwimmen gesehen zu haben
in unserer Kindheit.
Dabei
konnte ich nicht schwimmen.
Und kann es bis heute nicht.
Ich ließ mich bloß treiben
auf dem Meer.
In einem Rettungsring.
In Sichtweite der Erwachsenen.
Mein Bruder erinnert sich
falsch.
Er erinnert mich
an all die Anderen
die glauben zu wissen
wie
ich durchs Leben
gehe.
Wald der Verdrängungen
Durch den Wald der Verdrängungen
gehen wir
verlaufen wir
uns
im Vergehen
Das Leid pfeift ein Lied
in uns
um sich zu vergessen
Und immer tiefer wird der Wald
immer dichter sein
Bestand
Im Lichtlosen verstummten die Erinnerungen
Doch nichts ist tot
bis wir es sind
Herabgefallenes knistert & bricht
unter unsern Schritten
Und es riecht nach Blühen & Verwelken
nach Blättern die sich lösen
Unsere Wurzeln sind bloß
Fangarme
überirdische Tentakel
die Nichts halten
können
auf Dauer
Wind bewegt die schwachen Äste
mit Gewalt
Und wer glaubt
einen Weg gefunden zu haben
unterliegt
nur einer Täuschung
Wald der Verdrängungen
Wald der Märchen
die wir uns verschweigen
Und irgendwo liegt eine Lichtung
ein entblößter Fleck
glatt wie ein krankes Gehirn
ohne Windungen
Unbeschattet & friedlich
Dort
ruht das Vergessen
& wir
in ihm
Endlich
am Ende
Als wäre
Nichts
gewesen
Vergessene Wege
Oftmals konnte mein Vater sich nicht mehr erinnern
wie er von der Arbeit nach Hause gefahren war
als es auf das Ende zuging
Es war das End
stadium
Etwas fraß an seinem Gedächtnis
Angekommen
war er erschrocken darüber
Aber oft
würde er diese Strecke ohnehin nicht mehr fahren
Das
vergaß er nie
während er von seinem Vergessen erzählte
Er war 5 Jahre jünger
als ich
heute
Oftmals kann ich mich nicht mehr erinnern
wie ich von zuhause zur Arbeit gefahren bin
Ich bewege den Wagen wie in Trance
durch die Dunkelheit
Zu gut kenne ich diese Strecke
Zu oft bin ich sie gefahren
um darüber nachzudenken
Ich denke an
Alles Andere
Ich träume & habe keine Ahnung
in welchem Stadium ich bin
Manchmal weckt mich ein Tier
Dann bin ich erschrocken über meinen Leichtsinn
Doch das ändert nichts
Ich erzähle von meinem Erinnern
Irgendwann werden alle Wege vergessen sein
Und ich werde ankommen
wo Alle
am Ende
sein werden
Menschliche Beziehungen
Ich erinnere mich
an den fehlenden Arm des Zeitungslieferanten;
an sein Gesicht,
das nicht fehlte, erinnere ich mich
nicht.
Das erinnert mich
an uns
& Dein Gesicht
in meinem Arm.
An das Merkwürdige
Menschlicher Beziehungen.
Ich erinnere mich
an Deinen Arm, der fehlt.
Weil er da
gewesen
war.
Nicht so oft
erinnere ich mich
an das Fehl
ende
in der Vergangenheit.
Schon seltsam,
was die Erinnerung tut
& die Wahrnehmung unterlässt.
Seltsam,
was die Erinnerung unterlässt
& die Wahrnehmung tut.
Und der Zeitungslieferant
ist kein Zeitungslieferant mehr.
Und den Arm hatte er
sich selber abgehackt. Aber das
gehört nicht hierher –
obwohl
es merkwürdig ist.
Quoted by heart
Ich zitiere
aus dem Vergessen
in deinem Kopf.
Erinnerungen
die du zum Schweigen bringst
hole ich
von dort zurück.
Sie sind nicht verloren
gegangen.
Was ich auswendig kenne
ist unser Innerstes.
Ich bin
unser Gedächtnis.
Und die Vergangenheit
ist nicht in unseren Köpfen
allein.
Gedächtnislos
Gedächtnislos
möchte ich sein
in Nächten wie diesen
da nur die schönen Erinnerungen
zu existieren scheinen
Ein schmerzvoller Kontrast
Bilder
die nicht
in den hässlichen Rahmen der Gegenwart passen
Bilder
die aus dem Zeitrahmen gefallen sind
Gedächtnis
Los
Aber nein
Nichts ist verloren
in mir
Nichts ist verloren
außer mir
Verwaiste Einträge
Aus
gebremst
Verlang
samt
durch den Ball
ast der Zeit
: Der alte Computer :
Man möchte etwas öffnen
Man klickt auf ein Symbol
& dann
wartet man
& wartet
Lauscht dem Geräusch
der alten Festplatte
ratternde Drehungen
im Inneren
Das Rauschen & Keuchen
der Lüftung
– Der alte Rechner –
In der Registry häufen sich
die verwaisten Einträge
sinnlose Überbleibsel
alles Gelöschten
Daten
die keinen Zweck mehr erfüllen
Und so manche Verknüpfung
so manches Symbol
verweist auf ein Programm
das längst deinstalliert wurde
–
Ich sitze
vor dem Monitor
versuche
Etwas
zu öffnen
& warte …..
Und ich grabe
in meinem Gedächtnis
wie so
ein alter Rechner.
Über
all
Symbole.
Ein
träge.
Man
braucht
Geduld.
Der Schmutzfilm
Am Ende
auf der Windschutzscheibe
macht es
keinen
Unterschied
mehr
ob
das Insekt
schön war
oder nicht
Es ist
vergangen
verflogen
tot
So oder so
ein hässlicher Fleck
der die klare Sicht
behindert
Der anmutigste Schmetterling
ist nur noch
ein Dreck
am Ende.
Ein bunter Dreck.
Ein Schmutzfilm.
Insektengleich
fliegen die Erlebnisse dahin
Erinnerungen
behindern die klare Sicht
auf die Gegenwart
Zeit verfliegt
Leben vergeht.
Und doch –
das Gedächtnis
ist
keine Scheibe
Es ist
nicht
aus Glas
obwohl es
zerbrechlich ist.
Und was den Schmetterling
& all die anderen Insekten
– hässlich oder nicht –
aus-
macht
ist
nicht
ihr Ende.
Ist nicht
der Film
der von ihnen
übrig
bleibt
in der
Erinnerung.
Der Fall des Stockes
Der Stock
des alten Mannes
fiel
Das Geräusch
von zitterndem Holz
auf kaltglatten Fliesen
Er fiel
als der alte Mann
Hut & Mantel an der Theatergarderobe abgeben wollte
Ich bückte mich
mit der Jugendlichkeit
die über 30 Jahre her ist
Hob den Stock auf
& reichte ihn
dem Mann
Ein Lächeln – seins
»Danke, das ist überaus freundlich
von Ihnen«
Ein Lächeln – meins
»Bitte sehr,
gern geschehen«
(Den Theaterbesuch hätte ich mir
kaum leisten können. Man hatte ihn mir geschenkt.
Mehr noch, man hatte mir ein Abo geschenkt. Das ich mir
auf keinen Fall hätte leisten können. Ja, ich war ein
Abonnent; gehörte plötzlich zu der Spezies, die von den Künstlern
so oft verspottet wird. Mit Recht verspottet. Wahllose Allesfresser.
Schluck die Klassik! Schluck die Moderne! Schluck den Boulevard!
So ging ich regelmäßig ins Theater. Meist noch vor dem Frühstück.
Nachtmensch, schon damals. Und es war nicht das einzige
Theater-Abo, das ich geschenkt bekam…. Irgendwann hörte ich auf,
in jedes Stück zu gehen. Irgendwann hatte ich keine Lust mehr,
mich vom Wecker aus dem Schlaf reissen zu lassen, um zu meinem reservierten
Platz zu eilen. Irgendwann wiederholten sich die Stücke. Oftmals waren die
Schauspieler noch das Beste daran – all diese Berühmtheiten, die
inzwischen tot sind…. Tot wie….
Doch zurück zu dem alten Mann & seinem Stock. Wo ist er denn? Gerade
war er doch noch da.
Ach ja, dort….)
Unser Lächeln
Sein Alter
Meine Jugend
Die freundlichen Worte
Das Geräusch des fallenden Holzes
Was auch immer
Wer weiß schon
von jedem Moment
warum
er sich
ins Bewusstsein
das zur Erinnerung wird
einbrennt
Momente
die so unscheinbar
erscheinen
Nichtig
wie ein schlechtes
Theaterstück
Ich sah den alten Mann
nur
dieses eine Mal
Das Stück? –
habe ich
vergessen
Den Stock –
habe ich
behalten.
Das Geräusch der Diele
Ich weiß nicht,
wie oft ich bereits über diesen Flur gegangen bin;
leise in zurückliegenden Nächten ….
Ein Rundgang, der zu meinem Job gehört,
hoch oben im Turm des alten Hotels.
Die Stufen, die dorthin führen,
habe ich nie gezählt.
Wenige Zimmer hinter Doppeltüren,
wo fremde Menschen schlafen
oder schlaflos sind;
dicke Mauern einer mittelalterlichen Befestigung,
welche nun einem anderen, friedlichen Zweck dienen.
Und dann
eines Nachts
steht ein Kinderwagen vor einer der Türen.
Ich muss ausweichen.
Abkommen
von meinem üblichen Weg.
Trete auf eine Diele
ganz am Rande des schmalen Ganges.
Und das Geräusch, das sie verursacht, ist
das Geräusch im Gästezimmer meiner Großeltern ….
Das Knarren, Knetern & Knarzen des federnden Fußbodens,
wenn ich mich auf das Bett zubewegte …. Das Bett,
welches mir so hoch erschien; mit der Decke, die so
dick & schwer war …. Und wenn ich darin lag, kam mir
die Zimmerdecke noch höher vor (ich schätzte die Höhe auf 4 oder 5 Meter) ….
Alles – fast alles – war gigantisch in diesem Haus
im Angesicht meiner Kleinheit ….
Die Räume, die Treppen, die Flure; alles war alt &
roch nach Holz, und an den Wohnungstüren befanden sich
mechanische Klingeln, die durch Drehung eines Griffes
einen metallisch-ratternden Schellenklang von sich gaben ….
Es lebten noch andere Menschen hier, glaubte ich, aber
ich sah sie nie …. Ich konnte sie riechen, glaubte ich,
im Gemeinschaftsklo auf dem Treppenabsatz …. Ich hasste dieses Klo ….
Hasste das Gemeinschaftliche daran; nur die lange Kette, die vom
Spülkasten herabhing, und der Porzellangriff an ihrem Ende faszinierten mich ….
Und oft hörte ich das Rauschen, nachts im Bett …. Nachts? – Ich glaubte,
dass es Nacht sei …. weil in der Kindheit oftmals das als Nacht erscheint, was
in Wirklichkeit doch nur Abend ist …. Das Rauschen
übertönte die Stimmen der Großeltern im Wohnzimmer, die Stimme der Mutter, die
noch nicht »Gute Nacht« gesagt hatte …. & die große Entfernung zur Zimmerdecke
gebar schattige Ungeheuer, vor denen die Bettdecke keinerlei Schutz bot ….
In meiner Erinnerung schien hier tagsüber immer die Sonne ….
Im Hof hinterm Haus befand sich der Schuppen mit der Werkstatt meines Großvaters.
Darin roch es nach Sägemehl & Klebstoff & den filterlosen ägyptischen Zigaretten
aus der Blechdose, die mein Großvater rauchte, und
das Sonnenlicht mochte ich am liebsten, wenn es
durch die schmutzigen kleinen Fensterscheiben auf die Werkbank mit ihrer
Unordnung fiel …. Keine Ahnung, was mein Großvater dort machte, ich jedenfalls
bastelte irgend etwas Zweckloses ….
Zweck
loses
Sinn
loses
der-
weil
die Zeit
verging ….
Und das Haus
schrumpfte ….
Während
ich
wuchs ….
Ob es eingerissen wurde; ob selbst meinen Großeltern alles
zu groß geworden war; ob sie es sich nicht mehr leisten konnten –
ich weiß es nicht.
Sie zogen in eine winzige Wohnung.
Sie waren so alt geworden
wie nie zuvor, obwohl ich sie schon
für so alt gehalten hatte, als ich
noch ganz klein & alle Räume größer gewesen waren.
Es gab dort kein Gästezimmer mehr. Die Klingel war elektrisch &
langweilig. Das Klo wurde nicht mehr mit Fremden geteilt.
Wenige Möbel waren übriggeblieben; alles roch
nach alten Menschen & den Zigarren, die mein Großvater
nur etappenweise & anstelle der Zigaretten rauchte
(in den Aschenbechern lagen Reste:
mal halblang, mal viertellang, manchmal nur ein Stummel, der aus
Sparsamkeit noch weiter, bis knapp über Fingerbreite, heruntergequalmt wurde).
Nichts übertönte die gebrochenen Stimmen des Paares
in der Enge. Nichts Neues wurde erschaffen, denn es gab
keine Werkstatt mehr.
Genaugenommen wusste & weiß ich
fast nichts
über meine Großeltern
& ihr Leben.
In meinem Wohnzimmer steht ihr mächtiges Sofa, und
das Grammophon funktioniert noch. Die Sprungfedern des Sofas
haben ihr eigenes Geräusch, und manchmal erschreckt mich
– mitten in der Musik – ein lauter Knall, den die alte
Grammophonfeder von sich gibt (während sie sich entspannt).
Und irgendwo im Keller liegt eine Zigarrenkiste, in der
hässliche Nazi-Memorabilien verschimmeln.
Ein Kinderwagen auf dem Gang.
Leer. Der kleine Mensch schläft (vermutlich).
In einem Turmzimmer mit hoher Decke.
In einem uralten Gebäude.
Ich gehe weiter.
Knarren, Knetern & Knarzen verändern sich
mit jedem Schritt.
Morgen wird das Hindernis
nicht mehr hier sein.
Das Hindernis, dem ich
ausweichen musste.
Und er
wird sich
bewusst
nicht
an diesen Ort
erinnern ….
Der kleine Mensch.
Die verlorene Erinnerung
Meine verlorene Erinnerung
fand ich wieder
im Gedächtnis
der Geliebten
Aufgehoben
Bewahrt
Sicher
Ich wusste kaum mehr
wieviel ich getrunken hatte
Nur was:
Wodka
Cocktails
Rotwein
Allein
doch nicht einsam
war ich durch das Haus
getanzt
oder
gewankt
oder
gestolpert
oder
was auch immer
Mit dem Telefon in der Hand
Der geliebten Stimme im Ohr
Die Stimme so nah
Die Geliebte so fern
In meinem Schädel
ein Kettenkarussell
bewegt von
Sehnsucht
Alkohol
& langsamem Vergessen
Und irgendwann
war ich
ins Bett
ge-
fallen …..
Und der Film
riss
…..
Als ich erwachte
war da ein Schnitt
in meiner Handfläche
& ich wusste nicht woher
Ich erinnerte mich
an das Blut
Erinnerte mich
es abgeleckt zu haben
Erinnerte mich
an die Stimme
& den Schmerz
Der Schmerz war
vergangen
Die Wunde
ein Rätsel
das sich geschlossen hatte
während ich schlief
Meine verlorene Erinnerung
fand ich wieder
im Gedächtnis
der Geliebten
als wir erneut telefonierten …..
»Komisch«, sagte ich, »da ist ein Schnitt
in meiner Handfläche, und ich weiß nicht mehr,
wie es dazu gekommen ist.«
»Du hast einen Bilderrahmen aufgefangen«, sagte sie.
»Wie bitte?«
»Du hast eine Tür zugeknallt, und dabei ist
ein Bilderrahmen runtergefallen, den Du gerade noch
auffangen konntest.«
»Scheiße, ja – jetzt fällt’s mir wieder ein. –
Nur welcher …. ich habe doch kaum noch Türen hier ….«
Ich ging den Flur auf & ab. Dachte nach. Dachte nach …..
»Ah, ich hab’s«, sagte ich. »Die Schlafzimmertür!
Don Quixote ist runtergefallen.«
»Ja, Du warst auf dem Weg ins Bett.«
»Das ist das erste Mal, dass ich so etwas vergessen habe.«
»Na, jetzt hast Du ja mich«, sagte sie. »Lass mich
Dein Gedächtnis sein.«
Wir lachten
Sie & ich
Dulcinea (die kein Phantasiegespinnst mehr war) &
Der Ritter von der traurigen Gestalt
Es war gruselig
einen Filmriss zu erleben
Doch es ist schön
ein solches Gedächtnis zu haben
Ein Gedächtnis
das meine verlorenen Erinnerungen
aufhebt & bewahrt
Sie in Sicherheit bringt
für mich
Ein Gedächtnis in der Ferne
Ein Gedächtnis
das
mich
liebt.
Memoiren
Eine grobe Skizze
Einige willkürliche Striche
gezeichnet
mit einem stumpfen Bleistift
auf Millimeterpapier
Das Blatt
herausgerissen
aus einem Block
der verloren ging
Die Mine bricht ab
& das Blatt
vergilbt.
Zerfällt
mit der Zeit.
Die seitenverkehrte Erinnerung
Auf dem Weg zum Kühlschrank
passierte die Frau das bisschen Tageslicht,
das durch die verglaste Haustür in den Flur drang.
Da erst sah ich
wie gerötet ihre linke Arschbacke war.
Ich machte sie darauf aufmerksam.
Sie lachte.
»Kein Wunder – wenn Du
mich schlägst.«
»Aber«, sagte ich, »die linke scheint
empfindlicher zu sein als
die rechte. Außerdem sind
die Zahnabdrücke verschwunden.«
Die Frau blieb vor einem meiner
zahlreichen Wandspiegel
rücklings stehen &
schaute über ihre Schulter hinweg,
zehenspitzte & reckte sich, bis sie
ihren Arsch sehen konnte …..
Sie lächelte.
Geschlagene
Stunden lang hätte ich sie in dieser
Po-
sition
beobachten mögen, doch
gerade die
Flüchtigkeit des Augenblicks
brannte sich so eindrücklich
in mein Inneres
wie die Dauer es nicht gekonnt hätte –
rot
rot
rot ……
& heiß.
Und manchmal,
wenn sie nicht da ist,
schaue ich
im Vorübergehen
in diesen Spiegel – &
sehe
das Bild, das sie sah ……
Die seitenverkehrte Erinnerung
an die
Wirklichkeit.
Das vergessene Gedicht
Nun ist es mir also zum ersten Mal passiert:
Nach dem Erwachen konnte ich mich
nicht mehr an das Gedicht erinnern, das ich
vor dem Einschlafen in meinem Kopf
geschrieben hatte.
Nicht einmal eine Ahnung davon,
um was es ging, ist zurück geblieben.
Ich notiere mir nie etwas.
In meiner finsteren Schlaflosigkeit fallen
mir 2 oder 3 Texte ein – dann
schlafe ich, träume ich – &
am Abend, nach dem Frühstück,
brauche ich sie nur noch von meiner
Erinnerung abzuschreiben.
So war es bisher.
Nun gut, ich hatte zu viel getrunken,
aber das habe ich meistens. Für mich
ist das keine Erklärung.
Und es war doch nur 1 einziges Gedicht;
keine 2 oder 3.
Irgend etwas Besonderes muss es
auf sich gehabt haben mit diesem Gedicht;
etwas, das eine Verdrängung
in Gang gesetzt hat.
Vielleicht war es das beste Gedicht, das
mir jemals eingefallen ist (was nicht
viel heißen will).
Vielleicht kommt es irgendwann zurück?
Vielleicht tarnt es sich dann als
neuer Einfall ….
Werde ich es wiedererkennen?
Wahrscheinlich
interpretiere ich in das alles
mal wieder
zu viel hinein.
Wahrscheinlich war es nur ein
Scheißgedicht – wie
so viele andere.
Im allerletzten Moment
»Ist das wirklich schon so lange her?«
»Jetzt ist das Jahr auch schon wieder halb rum.«
»Damals.«
»Warum dauert das so lange.«
»Es war viel zu schnell vorbei.«
»Kommt mir vor, als wäre es gestern gewesen.«
Ob wir
die Zeit
wenigstens
im allerletzten Moment
unseres Lebens
begreifen?
Dann
wenn es
zu spät ist?
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