Jahre später entdeckte ich ein Foto im Internet:
da saß er an einem gedeckten Tisch, und
Helmut Berger leckte ihm die Haare
(zumindest sah es so aus).
Dalli Dalli Aftershow-Party Mitte der 80er Jahre.
Wenn man das gewusst hätte – das wäre doch
ein Gesprächsthema gewesen! Andererseits:
gesprochen hatte man ja nicht so viel.
Ich hatte ihn in einem Sexchat getroffen.
30 Jahre nach HB. – Wir beide auf der Suche
nach einem Dreier (auch so’ne Disziplin).
Fotos wurden ausgetauscht.
Eines seiner Fotos zeigte ich
meiner Freundin. »Und?«
»Ist okay«, sagte sie, »der geht.«
Er/es sollte unser erster sein.
Und dann saßen wir zu dritt auf dem Sofa
meiner Großeltern. Er in Radlerhose & T-Shirt,
sie in ihrem Schulmädchenoutfit zwischen uns
(der karierte Rock so kurz wie das Lineal, das man selber
als Schüler im Ranzen gehabt hatte).
Ich hatte auch was an, aber soetwas merke ich mir nicht.
Der Mann sah älter aus als auf dem Foto, das er mir geschickt hatte,
aber so ist das halt – nicht schlimm.
Wir waren nicht zum Reden zusammengekommen -
sie legte ihren linken Schenkel auf seinen rechten
& streichelte die Ausbuchtung, die in der Radlerhose
besonders zur Geltung kam. Eigentlich
ging alles recht schnell. Dalli Dalli. Er war nun mal
Sportler und auf Geschwindigkeit getrimmt.
Schnell stand er auf, schnell zog er sich aus.
Und schon war sein Schwanz in ihrem Mund.
Der Schwanz war ziemlich kurz, aber die Eier gewaltig.
(Später fragten wir uns, ob das was mit Doping zu tun hatte;
aber ich glaube, da schrumpfen sie eher.)
Er trug einen Cockring.
Schließlich gingen wir in das Zimmer mit den Schaufensterpuppen.
Da lag eine Matratze auf dem Boden. Auch beim Ficken
schien er schnell durchs Ziel kommen zu wollen. Er war ein Rammler.
Es hätte mich nicht gewundert, kleine Rauchwölkchen sich kringeln zu sehen.
Sie sah nicht gerade begeistert aus. Schaute mir in die Augen.
Ein bisschen verloren, ihr Blick. Zum Ausgleich machte ich alles
ganz langsam. Seltsamer Staffellauf. Ich war schon immer
der Langsamste. In der Schule. Beim Sport. Beim Essen. Wie waren nochmal
seine Bestzeiten? »Dein Freund hat einen schönen Schwanz«, sagte er
zu ihr. Nun ja. Ob da was gelaufen war – mit Helmut Berger?
(Der sah auf jenen Fotos noch richtig gut aus, da wäre ich auch
nicht abgeneigt gewesen......)
Ein bisschen Smalltalk gab es dann doch noch. Er saß wieder
auf dem Sofa und musste sich nur noch die Schuhe anziehen.
Wir standen. Ich glaube, ich hatte mir etwas angezogen, aber
soetwas merke ich mir nicht. Sie jedenfalls war noch nackt,
soetwas merke ich mir. Er sprach von seinem Herzen.
Mit seinem Ruhepuls hätte ich mich für tot erklärt.
Ja, der Leistungssport! Ständig musste er
irgendetwas tun, um nicht abzunippeln. Sein Arzt sei besorgt,
sagte er.
Früher hätte ich das alles viel detaillierter geschildert –
aber ich werde ja auch immer älter. Aktuelle Fotos –
ach, Schwamm drüber.
Meine Phantasie arbeitet assoziativ.
Hatte ich nicht beinahe Verbindung aufgenommen
mit Visconti? Die Unschuld. Die Verdammten.
Gewalt und Leidenschaft. Ludwig. (Mit Berger.)
Tod in Venedig. Sehnsucht. (Ohne Berger.)
Wenn man das alles damals schon gewusst hätte!
Der Olympionike hatte bei den Spielen
keine Medaille gewonnen.
Dabeisein ist alles. Das war Spitze!
Auf der Sofalehne fand ich seinen Cockring.
Den warf ich in den Mülleimer
zusammen mit dem Kondom.
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Der Olympionike
Irgendwas mit Star Trek
Ein verwittertes gelbes Flugzeug stand auf dem Gelände.
Einmotorig. Über die linke Tragfläche hinweg kletterten wir
Kinder in sein Inneres. Wir waren zu zweit, und
mehr hätten auch nicht in die Maschine gepasst. Obwohl….
Eine gestreifte Spinne hing zwischen den Instrumenten;
sie konnte nicht fliegen, aber Fliegen flogen in ihr Netz
durch die Löcher der gesplitterten Scheiben. Ich behielt sie
im Auge, diese Spinne. Etwas ängstlich. Etwas angeekelt. Aber
nicht einmal sie konnte mich vom Sitz des Piloten vertreiben.
Es roch nach Metall, es roch nach Rost & Vergangenheit.
Wir waren am Boden. Wir blieben am Boden. Alle Zeiger standen
auf 0. Und nur unsere Fantasie
konnte den Propeller noch in Rotation versetzen.
Die beflügelte, beflügelnde Fantasie der Kinder. Es muss
wenige Jahre vor der ersten Mondlandung gewesen sein.
Es gab noch keine Flaggen dort oben, keine Fußspuren.
Nichts, was Reflexionen & Projektionen hätte stören können.
Der rothaarige Junge, der hinter mir saß, war erst vor kurzem
nach Deutschland & in meine Schulklasse gekommen; sein Vater,
ein amerikanischer Offizier, war hier stationiert. Flaggen
flatterten vor dem Gebäude, in dem sie wohnten. Unsere Eltern
unterhielten sich darin. Der Junge erzählte mir von Amerika,
das ich nur aus Filmen & Fernsehserien kannte. Auch den Mond
kannte ich nur aus Filmen & Fernsehserien. Wir wussten nicht, wo
das Flugzeug gewesen war. Also konnte es überall gewesen sein. Über
All. Das gefiel uns. Und ich kannte niemanden sonst, der aus einem
so fernen Land kam wie der Junge mit den roten Haaren. Ich drückte
Knöpfe, die längst keine Funktion mehr hatten – & die Zeit flog
dahin. Am Boden. In unseren Köpfen. In die Zukunft.
Irgendwann erzählte er mir von seiner liebsten
Fernsehserie. Die Handlung drehte sich um Außerirdische, drehte
sich um ein Raumschiff & um fremde Welten. All
es war so weit entfernt – wie Alles Andere, das ich nicht kannte. Und er
zeigte mir Fotos von einem Mann mit seltsamen Ohren & seltsamen Augen
brauen. Faszinierend, dachte ich. Oder so etwas Ähnliches mag ich
gedacht haben. Einige Jahre später kam die Serie
nach Deutschland. Im selben Jahr als das Apollo-Programm eingestellt wurde.
Wir wohnten längst woanders. Ich ging
auf eine andere Schule. Die alten Kontakte waren ab
gebrochen. Und ich erinnerte mich – als ich die erste Folge sah…..
Das Flugzeug, die Spinne, die Flaggen, die Erzählungen….. Ich
mochte die kurzen Uniformen der weiblichen Besatzungsmitglieder.
Schon damals. Es war alles anders als ich es mir vorgestellt hatte.
Wie so oft. Aber es gefiel mir. Was nicht so oft der Fall war.
Den Ton einiger Folgen nahm ich mit dem Kassettenrecorder auf, und
nachts im Bett in meinem dunklen Zimmer hörte ich diesen Ton
zu meinen eigenen Bildern. Immer wieder. Science Fiction. Schon
der Kassettenrekorder hatte etwas davon. Verglichen mit unserem alten
Bandgerät. Ich drückte Knöpfe – & die Zeit flog dahin. Im Bett. In
meinem Kopf. In die Zukunft. Und sonstwohin.
Und 42 Jahre später bin ich gelandet. Auf dem Boden. In einer
Wohnung, die nicht die meine, in einem Raum, der mir nicht mehr
fremd ist. Zwischen gespreizten Schenkeln. Gespreizt
wie Tragflächen. Und die einzige Licht
Quelle ist ein eingeschalteter Fernseher hinter mir. Ein
charmant-gealtertes Röhrengerät. Gealtert bin ich auch. Doch
weniger charmant. Bekannte Namen erklingen
in der Nacht. Kirk. Pille. Spock. Uhura. Ein Film vom Ende
der 70er. Wiederum eine andere Zeit. Propellernde Zungen. Ein gewaltiger
Mond ist aufgegangen. Der damals noch nicht existierte. Bemannter Raum
Flug. Peterchens Arschfahrt. Auch so’ne Kindheitserinnerung. Es riecht
nach Lust. Nach Jugend & Gegenwart. Im Geflacker des Films
sehe ich wie ein Gesicht sich verändert. Ein Mund sich öffnet. Im Rausch.
Und noch mehr. Öffnet sich. Und jemand ruft:
»Alarm, Alarm! Ein Eindringling! Alles auf Gefechtsstation!«
Und ein anderer ruft: »Scotty, bitte kommen!« – dabei heiße ich gar nicht so.
Gelächter säuft ab. Und erstickt in Körpersäften. Und sie flüsterschreit:
»Oh Gott, oh Gott!«, aber auch das ist nicht mein Name.
Science Fiction. Mit wenig Science. Immer wieder. Und es ist immer dieselbe Zeit,
die fliegt. In unseren Köpfen. Die Zeiger stehen nicht. Es
scheint nur so. Es sei denn, es ist etwas kaputt. Alles
auf 0. Wir waren zu
zweit. Im Cockpit. Und doch nicht
allein. Und niemand weiß wie
& wann die Spinne gestorben ist.
1984
Mein Arm unter ihrem Nacken.
Entspannung. »Jahrgang 84«, sagte sie.
»Was hast du 1984 gemacht?«
»Nichts«, sagte ich. »Das war die Phase
nach dem Abi, wo ich nichts gemacht habe.
Außer Lesen & Saufen vielleicht. 7 Jahre
lang. Und von deiner Geburt
hat mir auch keiner was gesagt.«
Sie atmete ein Lächeln aus.
Vielleicht trafen sich
in diesem Moment unsere Blicke –
dort oben. An der Zimmerdecke.
»Ach, halt«, sagte ich, »1984
kam der Film 1984 in die Kinos. Mit
John Hurt & Richard Burton. Guter
Film. Den habe ich gesehen. Damals.«
Wie praktisch, wenn der Titel eines Films
gleichzeitig sein Erscheinungsjahr ist. Wie
leicht man sich sowas merken kann. Aber
viel interessanter war doch die Frage:
Wo war Sie 1960 gewesen?
Film: orale Bekreuzigung
Ich filmte sie
mit meinen Augen
Blende: auf
Verblendung ein
gestellt
Schärfe: gestochen
scharf
im Fokus: die Frau
Sie kommt zurück
aus dem Bad
zurück ins Schlafzimmer
die Klospülung rauscht
im Hintergrund
Die Frau: nackt im Licht der Kerzen
im Licht der bunten Lampe im Bücherregal
Die Decke liegt am Boden
Ich liege entspannt & ausgebreitet
da
Sie kommt
ins feuchte Bett
5 Küsse gibt sie mir
in rascher Folge:
Schwanz, Bauchnabel, beide Brustwarzen, Mund
Ich grinse
denke irgendwas wie: orale Bekreuzigung
Sünde! Sünde! hahaha
& dann liegt sie neben mir
entspannt
Es läuft
Musik
Wir schauen an die Decke
Und irgendwann
ein paar Songs später:
ich richte mich auf
um sie zu küssen
von oben herab
& ihre Augen schwimmen
»Was ist?«
»Ich werde nie das sein, was du brauchst
& was du dir wünscht.«
»Nicht doch – so’n Quatsch, das bist du
doch schon jetzt.«
»Nein,
lass es
dir gesagt
sein.«
Rückblende:
eine Nachricht von ihr
aus der Zeit als ich sie nur auf Fotos gesehen hatte,
auf Fotos, die ein Anderer ‚geschossen’ hatte –
›Warnung: ich mache es immer wieder selber kaputt.
Weil ich bin. Wie ich bin. Übel.‹
Ich hatte sie aus
geblendet. Diese Warnung.
Und das war gut
so.
Was würde man alles verpassen,
wenn man sich um Warnungen kümmern würde!
Orale Bekreuzigungen
zum Beispiel.
Oder sie: [Replay:]
Sie kommt zurück
nackt im Licht der Kerzen
im bunten Licht der Lampe zwischen den Büchern
etwas rauscht
im Hintergrund
(Auch das hatte sie mir geschrieben, früher:
›Du bist mein Hintergrundrauschen.‹)
die Klospülung
verstummt
es läuft
Musik
wir schauen an die Decke
Abblende
Schmuddelkomödie mit gewaschenen Gardinen
Es erinnerte mich
beinahe an eine dieser Schmuddelkomödien
– vom Anfang der 70er Jahre, dabei war es bereits das Ende
dieses Jahrzehnts. Da stand sie also
barfuß auf der Leiter – & hängte die frisch gewaschenen
Gardinen auf. Das grüne Kleid mit dem gelben Blümchenmuster war
eines ihrer kürzesten. Kurz & knapp. Ich saß auf dem Sofa
& schaute zu; ihr Mann (neben der Leiter) hielt
die Stores in beiden Händen; und sie streckte sich
& schob ein Plastikröllchen nach dem andern in die Schiene
an der Decke. Draußen vor dem Fenster
verblasste eine Landschaft in der Sonne. Ich
erinnere mich nicht an sie. Nicht an die Landschaft
& kaum an die Sonne. An die Sonne erinnere ich mich nur
als Lichtspiel auf nackter Schenkelhaut. Als Gegenlicht &
Reflex. Gelbgrün rutschte der Saum übers Pogebäck, und
natürlich trug die junge Frau nichts unter diesem Kleid. Es war
die Zeit, es war Klischee, und es war
diese seltsame Schwäche des Mannes; seltsam &
gewöhnlich zugleich. Das Begehren der Anderen erhöht den Wert
des Begehrten. Und nicht zuletzt den Wert dessen, der sich
als ‚Besitzer’ des Begehrten fühlt. Ein kleiner, billiger Kick.
Nicht ohne Gefahr. Ich saß also da, lauschte dem Geräusch
der Röllchen, dem belanglosen Geplauder zwischendurch –
& war nichts als Auge & Erektion –
& Besuch, ich schlief im Gästezimmer, ich hörte
das Gestöhne bei Nacht. Und machmal auch bei Tag. Über
die Konstellation der Komödianten gibt es nicht viel zu sagen.
1 Ehepaar & 1 Vereinzelter. Und die wunderbare Verblendung
der Hormone. Die grandiose Dummheit der Wollust.
Es war – als hätte der Mann nie darüber nachgedacht, weshalb es
der Frau nichts ausmachte, sich dem Besuch so zu zeigen. Dabei hatte
es oft genug Streit gegeben, weil die Frau sich den Bekleidungswünschen des Mannes
widersetzte. Es war ein Spiel, ein Hin & Her, es war Schwäche gegen Stärke,
Widerspiel & Kräftemessen, Spiel mit Feuern jeglicher Art, dem Feuer
der Leidenschaften, dem eigenen Feuer, dem Feuer der Anderen &
brennenden Sehnsüchten.
Die Gardinen waren noch feucht. Ich konnte sie riechen. Der Mann grinste;
der Arsch grinste, und ich grinste wohl auch – ab & an. Eine Komödie eben.
Die Wohnung war groß; 2geschossig, die Schlafzimmer oben. Und irgendwann
waren wir oben, die Frau oben, ich oben, die Frau oben auf mir, und unten
wurde ein Schlüssel ins Schloss gesteckt. Wir hörten es beide. Da wir
es gewohnt waren, aufmerksam zu bleiben. Man wusste nie sicher, wann
er nach Hause kommen würde. Also sprang sie runter
von mir & ich aus dem Bett. Sie griff sich das Kleid vom Boden &
rannte ins Bad. Wo blieb denn nur die Musik
vom Hammerklavier? Warum waren wir nicht schwarzweiß?
Ach nee, es waren ja die 70er. Und nicht die 20er. Obwohl……
Irgendwie gelangte ich in die Beine meiner Hose – & ritsch!:
ein Stück Haut verklemmte den Reißverschluss. Das war das Ende
der Erektion. Es blieb keine Zeit, Schmerz zu empfinden. Also:
ratsch!: wieder runter mit dem Reißverschluss….. Und es blutete
nur ein wenig. Ich schnappte mir ein Buch, setzte mich aufs Bett &
sah, über den Flur hinweg, wie sie aus dem Bad kam. In Grün & Gelb
& ohne Schuhe. Sie barfüßelte treppab, und wir flogen
nicht auf. Dieses Mal.
Herzblut, Penisblut, Ende gut, Alles gut.
Nun ja – so gut war das Ende nun auch wieder nicht.
Aber egal. Die Menschliche Komödie
halt. Kurz & knapp.
Es wurde nicht viel gelernt daraus.
Dieselben Fehler wurden weiterhin gemacht.
Und – ja: der Geruch frisch gewaschener Gardinen
macht mich geil.
Marina Vlady
Bist Du’s?
Ist sie’s?
Wer spielt?
Als kleiner Junge war ich so verschwärmt
in Marina Vlady – wie in so viele
Andere. Nur anders. Weil es immer
anders ist. Und, wer weiß, vielleicht war sie es
am Anfang nicht einmal selbst, die
ich sah, so jung & verschwärmt wie ich war.
Sie hatte eine Schwester, 8 Jahre älter als sie &
ebenfalls Schauspielerin. In der richtigen
Beleuchtung waren sie wie Zwillinge.
Zumindest für meine naiven Kinderaugen.
Und eine Zeitlang wusste ich nichts
von dieser älteren Schwester, die sogar
einen anderen Nachnamen trug.
Welch seltsame Unsicherheit & Verwirrung
wenn ich einen Film mit dieser Anderen sah; mit
dieser Frau, von deren Existenz ich nichts ahnte.
Ich sah sie, glaubte zu wissen, wer sie war
– & zweifelte doch. Sie war der Schwarm,
mit dem etwas nicht stimmte. Weil
das Gefühl nicht passte.
Welchen Namen hatte ich im Vorspann
nicht gelesen? Konnte ich überhaupt lesen –
damals? Hätte ich lesen können?
Ja, es war seltsam. Solange es dauerte.
Und die Auflösung war so banal. Schade.
Und heute? –
Habe ich das alles jetzt erfunden? War es vielleicht
gar nicht so? Wer kann das wissen? Außer mir. Und
weiß ich es denn? Es war verwirrend, ist
verwirrend & bleibt verwirrend; wie
das Gefühl, das ich hatte – jedes Mal
wenn ich Odile sah. Bevor ich erfuhr, wie sich
alles verhielt.
Aber eigentlich geht es ja um etwas ganz anderes.
Du siehst eine Frau….. und…..
Ach, Marina!
Du wurdest nie
zu einer dieser Ikonen, die jeder kennt,
kein Kaffeetassenmotiv, kein
Gesicht auf einer Müslischale.
Und das ist schön.
Du spieltest nie in einem Meisterwerk –
& hättest doch einen besseren Text verdient
als diesen, der alles andere ist als
das. Und ich werde jetzt nicht
nachschauen, ob Du noch lebst
& Deine Schwester tot ist –
oder umgekehrt. Oder
ob Alles ganz anders ist.
Angenehm traurig
Da war diese Hollywoodschönheit, und sie
griff mir von oben in die Hose, durch den Bund, und
ihre Zwillingsschwester schaute zu, die
es in Wirklichkeit gar nicht gibt, und
plötzlich waren beide fort, ohne
dass ich mich darüber wunderte….. ich
ging in den Keller meines Hauses
& hörte ein Stöhnen; es kam
aus dem Zimmer am Ende des Ganges, aus
dem Zimmer, das einst ein Schlafzimmer gewesen
& inzwischen eine Rumpelkammer war; unvermittelt
stand ich im Türrahmen – ohne
dorthin gegangen zu sein…..
Ein Mann, älter als ich, kniete nackt auf dem Bett, das
nicht mehr existierte, und die Geliebte der Vergangenheit
hatte seinen Schwanz im Mund & lächelte mir
mit ihren Augen zu – als es ihm kam….. Das
Sperma tropfte von ihrem Kinn auf die lakenlose Matratze,
und die Erektion, mit der ich erwachte, war
angenehm traurig.
Ich schickte ihr eine Nachricht:
Weißt du, was mir heute
aufgrund eines Traumes klar wurde?
Ich wünsche dir, dass
wenigstens du
Sex hast – wenn
ich schon keinen habe. Ohne
alle Ironie & ohne
einen bösen Gedanken in meinem Hinterkopf.
Und das – nicht aus Desinteresse
oder gar Gleichgültigkeit…. Es
fühlt sich gut an.
Natürlich antwortete sie nicht.
Sie antwortete nie.
Schon als wir noch zusammen waren
kam oftmals keine Antwort.
Es war, behaupte ich, eine Charakterschwäche, die
Stärke suggerieren sollte. Vor allem
sich selbst gegenüber wollte sie stets
stark erscheinen.
Dieser Hollywoodschönheit wäre ich beinahe
mal über den Weg gelaufen. Jahre zuvor.
In London.
Ich war mit einer Freundin dort, und wir
hatten uns für einen halben Tag getrennt, um
den eigenen Interessen nachzugehen.
Ich durchstöberte Antiquariate, besuchte das
Sherlock-Holmes-Museum & saß schließlich in einem Pub,
trank Guinness & rauchte Zigarillos.
Am Abend dann erzählte sie mir
von ihrem Einkaufsbummel. In einem
Schuhgeschäft, Nähe Carnaby Street, hatte sie
diese Schauspielerin gesehen – & es bedeutete ihr
nichts. Ganz beiläufig erzählte sie davon, während sie
von ihren neuen Schuhen schwärmte. Ich schwärmte
– ein wenig – für diese Schauspielerin. Damals.
Und konnte meinen Ärger nicht verbergen. Es war
lächerlich. Und traurig. Wieder etwas verpasst.
Ab & an meldet sich diese Freundin. Meist schriftlich.
Doch nicht immer antworte ich ihr.
Sie erwähnt gerne mal den Namen der Schauspielerin,
um mich freundschaftlich zu necken…..
Aber die bedeutet mir längst nichts mehr, und
es ist mir egal – sie nie gesehen zu haben
in der Wirklichkeit. Das
ist angenehm. Vielleicht auch
traurig. Angenehm
traurig eben.
Siehe auch:
Sherlock Holmes als Arme Sau
London
Knaurs Buch vom Film
Knaurs Buch vom Film
© 1956 by Droemersche Verlangsanstalt
Autor: Waldekranz Arpe
(Was für ein Vorname!)
Es stand in der Bibliothek meines Vaters.
Gern nahm ich es
mit ins Bett.
All
diese Il
lust
rationen….
All
diese Photographien….
Sogenannte Göttinnen
der Leinwand……
Zum
Niemals
Sattsehen.
Riso amoro:
Silvana Mangano
auf ihrem Bett
im Hemd – &
meinem liebsten Kleidungsstück:
dem Sonstnichts….
Prachtgeschenkel in Schwarzweiß
Neorealismus
So neu – für einen kleinen Jungen
The Seven Year Itch:
Das hochgeblasene Kleid der Marilyn M.
bevor es, bevor sie zum Abziehbild wurde
Zufällige Zugluft eines Zuges
Und ein Teil der Erregung war
Hineinversetzung: die Vorstellung
so auszusehen & so gesehen
zu werden……
Ava Gardner
Gina Lollobrigida
Theda Bara (‚der erste Filmvamp’ hieß es da)
Die bloßen Brüste der badenen Martine Carol
(In einer Zeit als es keine Nacktheit am Zeitungskiosk gab.)
& so weiter
& so fort
Weit fort
in Träumen
Und in Sommernächten
schlich ich mich hinaus
nackt oder halbnackt
ins Freie
Dorthin
wo Niemand war
aber Jemand
hätte sein können
auf ein
samen Wegen
gerne unterm Mond
Wilde Schlägereien des Herzens
Die Unruhe der Hormone
& die Lust war so groß
dass ich keine Befriedigung wollte
Fast ein Schmerz –
Dazu die Angst
aufzufliegen
erwischt zu werden
von den Achsoerwachsenen
Doch es geschah nicht.
Nichts geschah
außer mir.
So Vieles
in mir.
Die Filme sah ich
später –
am Anfang stand
Das Buch.
Das Plakat
»Eigentlich seltsam«, sagte sie
(sie saß auf ihren Fersen, auf der Matratze,
nackt, den Blick gerichtet
auf das Plakat, das an der Wand hinter mir hing,
überm Kopfteil des Bettes).
»Was?« sagte ich.
»Dass du da ein Russ-Meyer-Plakat hängen hast;
du stehst doch gar nicht auf Brüste.«
Ich musste lächeln.
Das muss ich öfter
als ich denken mag.
»Erstens«, sagte ich: »ist das nicht wahr.
Die Tatsache, dass ich Beine & Hintern bevorzuge,
heisst doch nicht, dass ich nicht auf Titten stehe. Und
zweitens: sind diese Filme
unverwechselbar. Rein
formal gesehen.
Da hatte jemand Stil.
Und hat dem Alles Andere untergeordnet.
Das gefällt mir. So
muss man’s machen.«
Faster Pussycat, Kill! … Kill!
»So gesehen….«, sagte sie.
»Außerdem«, sagte ich,
»habe ich dir schon bei unserem ersten Treffen mitgeteilt,
dass mir deine gefallen.«
Jetzt lächelte sie.
Das musste sie öfter
als sie sich erinnern mag.
Cushings Treppe
Eine weitere Nacht alt
bekannter Gedanken
Ich denke an
Peter Cushing
kurz nach dem Tod seiner Frau
Verzweiflung
Raserei
Schmerz
Selbstmord
kam nicht in Betracht
Und so rannte er
wie vom Wahnsinn getrieben
eine Treppe auf & ab
in seinem Haus
das größer & enger geworden war
immer wieder
auf & ab
auf & ab
auf
der Suche nach dem Herzschlag…..
dem verlorenen Herzschlag der Geliebten
dem eigenen Herzschlag des Todes
Ich kann sie hören
seine verzweifelten Schritte
auf den Stufen
Und die Stille
um ihn herum
Helen & Peter Cushing –
eine der großen Liebesgeschichten.
Ich kann sie sehen
meine alte düstere Kellertreppe
Sehen
wie die abwesende Geliebte
die Stufen auf & ab geht
lautlos & barfuß
auf dem Teppich
der Falten wirft
Sehen
wie sie aufwärts stolperte
bei ihrem ersten Besuch
Fühlen
wie warm & feucht es unter ihrem Rock war
als ich unter ihr auf der Treppe stand
& meine Hand verschwand
Und einsam stolperte ich
abwärts
im Suff
auf dieser Treppe
Verzweiflung
Raserei
Schmerz
Blutergüsse & Prellungen
Auf & Ab
Er überlebte sie lange
Lebte weiter
mit seinem Prostatakrebs
& alterte
schneller als je zuvor
als hätte er es eilig –
Er glaubte
an ein Wiedersehen.
Ich glaube
an Nichts.
Science Fiction
Staubbedeckte Tonbandspulen kreisten
auf einem alten Gerät. Hergestellt von
Toten. Für eine Firma, die längst nicht mehr
existierte.
Magnetisierte Vergangenheit. Schallwellen in Form.
Ein 5jähriger Junge quasselt. Verstorbene sprechen
mit ihm. Es wird gelacht & gesungen. Ein Radio spielt
im Hintergrund. Vergessene Melodien.
Ich saß in einem Raum der Gegenwart. Hörte hinein
in einen Raum der Vergangenheit. Damals
hatten die Spulen sich ebenso gedreht. Kreislauf.
Wenn der Junge sprechen soll,
verstummt er.
»Erzähl mal die Geschichte mit dem Kronleuchter«,
sagt ein Mann.
Schweigen.
»Als ob Fremde da wären«, sagt eine Frau. »Dann
isser genauso.«
Irgendwann fängt ein 15Jähriger an zu singen:
»Stellt den Teller untern Tisch,
Nikolaus bricht sich das Genick –
lustig lustig, trallerallalla,
bald ist Niklas-Abend da….«
Ich saß in einem Raum der Gegenwart. Die längst
vergangen ist. Lauschte
einem Wir, das es nicht mehr gab.
Ich hörte mich lachen.
Wunder der Technik! Das Neueste vom Neuen!
In Mono. Ton für Ton bewahrt. Für die
Zukunft.
Ich erinnere mich, wie
ich damals hörte, was
damals schon lange her gewesen war.
Aber toter sind die Toten heute auch nicht – als damals.
Heute sitze ich in einem Raum der Gegenwart, die
Gegenwart ist. Der Motor ist kaputt.
Das alte Gerät macht seltsame Geräusche.
Alles vermischt sich, verwischt sich – die Schichten
der Zeit.
Die Spulen sind von neuem Staub bedeckt. Ich betrachte sie
wie einen Raum, in dem eine andere Zeit herrscht.
Ich will sie nicht hören.
All diese Science-Fiction-Filme meiner Kindheit…..
Die überholten Vorstellungen der Zukunft.
Wie charmant sie oftmals wirken.
Wie naiv.
Manchmal denke ich.
Denke: auch ich
bin so ein altes Röhrengerät
im Science-Fiction-Film der Vergangenheit,
der in einer Zukunft spielt,
die längst vorbei ist –
vorbei
ohne
vielleicht
jemals
Gegenwart
geworden –
Gegenwart
gewesen
zu
sein.
Von der Zukunft
ganz zu
schweigen.
Blau im Stummfilm
Blau ist die Nacht
im Stummfilm
Schweigen
aus bewegten Mündern
Gesten
Gesichter
& eine Geschichte
von Musik untermalt
Hin & wieder
geschriebene Worte
Blau ist
so manche Nacht
in der
Wir
uns
treffen
Falsches Format
Ein Kinofilm, der
im Fernsehen ausgestrahlt wurde….
Cropped.
Oder war es
Pan-Scan?
Egal.
Das Bild war nicht
vollständig.
Etwas stimmte nicht.
Wie immer man es
nennen will:
Format
Seiten-
verhältnis
Ratio.
Es war ein Horrorfilm.
Und ich erinnerte mich
an das Bild
wie es auf der Leinwand
gewesen war…..
Erinnerte mich
an den Anblick dieser Szene:
Eine Frau telefoniert.
In ihrer Wohnung.
Vor einer Wand.
Einer Wand voller
Bilderrahmen.
In den Rahmen
befinden sich Fotos.
Fotos vergangener Momente.
Am anderen Ende
der Leitung:
Der Mann, mit dem sie
zusammengelebt,
mit dem sie
vergangene Momente
geteilt hat.
Und die Wand ist
auf der Leinwand
komplett.
Und ganz links
auf der Wand,
auf der Leinwand –
sieht man
die hellen Flecken
fehlender Fotos –
abgehängter Momente.
Entfernte gemeinsame Augenblicke.
Symbole der Trennung.
Ich erinnerte mich gut
an diese Flecken.
An ihre auffallende Helligkeit, die
nicht zuletzt
daher rührte, dass
Staub & Licht
die Wand ringsum stärker hatten nachdunkeln lassen.
Ja, ich erinnerte mich
an diese Flecken,
die nun fehlten –
in dem Bildaus-
schnitt, den
der Fernsehsender übrig gelassen hatte.
Der
Bild
aus
schnitt
auf dem
Bild
schirm
war
ohne
Symbol
wert.
Man konnte sich vorstellen,
dass all diese Fotos,
all diese Rahmen
noch immer dort hingen –
außerhalb
des Bildes.
Als hätte es
nie
eine Trennung
gegeben.
Als hätte
niemand
die Erinnerungen
entfernt.
Wie gesagt –
es war
ein Horrorfilm.
Blue Velvet
Erkältet
waren wir beide.
Wir lagen im Bett –
nackt nur an den Stellen,
auf die es ankam.
Musik lief im Shuffle-Modus.
Die Flammen der Kerzen & Teelichte flackerten
im eisigen Wind, der durchs undichte Fenster herein wehte.
Die Frau musste aufs Klo;
kletterte aus dem Bett.
Ich liebe den flüchtigen Moment – bevor
das hochgerutschte Shirt, nach dem Aufstehen,
wieder über den nackten Arsch gleitet, um
ihn dann
nur knapp
zu bedecken.
Sie ging nach nebenan.
Johnny Mathis sang „Moon River“.
Ich hörte es plätschern.
Hörte sie Papier abreissen.
Klopapier, das nach Rosen duftete –
& das ich niemals benutzte.
(Sie hatte es selber als Gag mitgebracht,
nachdem ich mich über den
Klopapierverbrauch der Frauen lustig gemacht hatte.)
Johnny gab volles Vibrato, dann
rauschte die Spülung.
Und während die Frau in die Küche ging,
um sich noch ein Bier zu holen,
übernahm Bobby Vinton die
musikalische Leitung.
„Blue Velvet“.
Sie kam zurück, stellte die Flasche auf den Nachttisch
& kroch unter die Decke;
ihre Hände waren kalt, ihre Beine waren kalt.
Sie sagte: »Die Musik läuft doch auf Shuffle, oder?«
»Ja«, sagte ich.
»Wieviele Stücke sind in der Liste?«
»Keine Ahnung, aber sie läuft knapp 37 Stunden
ohne Wiederholung. Wieso?«
»Weil ich gerade, aufm Klo, dachte:
Ich würde gerne mal wieder „Blue Velvet“ hören.«
»Ich wusste es«, sagte ich, »Du bist
eine Hexe.«
Sie lachte.
»Ich kann Sachen«, sagte sie.
Was stimmte.
„Blue Velvet“ war unser Lieblingsfilm.
37 Stunden, die auf Zufall gestellt waren.
37 Stunden – so lange hatten wir uns noch nie
ohne Unterbrechung gesehen –
& würden es vielleicht auch
niemals.
Ihre Hände wurden warm.
Der Wind blieb eisig.
Und die Flammen der Kerzen & Teelichte flackerten
noch stärker.
Bewegt durch
den Wind &
unsere Leidenschaft.
Dunkel-Lila
Ich hörte ihr zu
am Telefon
wie sie sich
ein Kleid aussuchte.
Ein Strickkleid.
Sie wollte es
in Grau.
Grau
war nicht
lieferbar.
Lieferbar war es
in
Dunkel-Lila.
»Das sieht bestimmt
geil aus«, sagte ich.
Stellte mir vor,
wie es
ihr stehen würde.
Wie er
mir stehen würde.
Stellte mir vor,
wie ich es
ihr ausziehen würde.
Später –
zu spät –
erinnerte ich mich an
Farbsymbolik.
An die Farbsymbolik
Mario Bavas …..
Lila
bedeutete
Tod.
Zu spät.
Die Bestellung
war
abgeschickt.
Scherenschnitte
Wenn Dein Licht & Deine Schatten
auf die Mauern in mir
fallen …..
Mauern, die
meine Vergangenheit
errichtet hat,
flackert
ein Film
auf ihren Oberflächen …..
Ein Film aus
animierten
Scherenschnitten …..
Vielleicht nur
ein verschollener Märchenfilm
von Lotte Reiniger …..
Vielleicht
die Dokumentation
einer neuen Gegenwart …..
Wie auch immer –
ich könnte dem Spiel
aus Schwarz & Weiß,
aus Schatten & Licht
dem Scherenschnitt in meinem Leben
zuschauen
für den Rest
meines
Lebens.
Mag er
kurz
oder
lang
sein.
Nur ein Detail
Wäre ich Regisseur,
würde ich es nicht zulassen, dass
eine Filmfigur, die in einem Buch gelesen hat,
dieses schließt, ohne vorher ein
Lesezeichen hineingetan zu haben
(es sei denn, es gäbe eine plausible Erklärung dafür).
Wäre ich ein Schauspieler,
bräuchte ich keinen Regisseur, der
mir die entsprechende Anweisung gibt.
Natürlich:
Es ist nur ein Detail.
Aber ein Detail, das mich
rasend macht,
jedes
Mal –
& je besser der Film, desto schlimmer ist es.
Ein Makel, der
Alles
in einem anderen Licht erscheinen lässt.
Ein Moment, der
Kunst
in Künstlichkeit
verwandelt.
Gewiss:
Nur ein Detail,
aber
keine
Bagatelle.
Der Abspann
Mein Leben:
Ein Film, der
in einem uralten, riesigen Kino lief.
Niemand weiß, wer
das Kino
wann & warum
erbaut hat.
Wenige Zuschauer
saßen darin.
Viele leere Sessel.
Wände, die
reflektierten.
Kein Platzanweiser, aber
eine Kasse, an der ein
verwirrter,
gesichtsloser
Mann
saß.
Irgendwo
im Verborgenen
ein Vorführer.
Seltsame Gerüche,
seltsame Lichter,
seltsame Geräusche.
Flackernde Bilder.
Filmrisse.
Musik.
Dunkelheit.
Dann:
Der Abspann.
Wenige Namen laufen
über die Leinwand.
Unter Special Thanks:
Noch weniger Namen.
Und schließlich –
Written and Directed by:
NOBODY.
Anschlussfehler
Meine Lieblingsepisode
meines Lieblingsepisodenfilms
dauert nur
20 Minuten
La Goccia D’Aqua
von
Mario Bava
Doch selbst in
dieser Kürze
gibt es
mindestens
1 Anschlussfehler
Eine Flasche
mit billigem Fusel
steht auf einem Tisch
Da ist
kein Korken
in der Flasche
als die Szene beginnt
Doch plötzlich
ist er da
der Korken
wie aus dem Nichts
eines verwirrten Schicksals
Und wahrscheinlich
hatte ich diese Szene
51 Mal gesehen
ohne dass
es mir
aufgefallen war
Egal
wie kurz eine Episode ist
Egal
wie oft man sie gesehen hat
Irgendwo
ist immer
mindestens
1 Anschlussfehler
& es ist einem
Egal
Fehlbesetzung
So viele Leben
betrachtet man
von außen
Wie Filme
Und sie
sehen schön aus
von außen
Fast könnte man
neidisch werden
(Würde man zum Neid neigen)
Und doch
Wie viele der
handelnden Personen
fühlen sich
fehlbesetzt
in diesen Filmen
die so schön aussehen
fühlen sich
fehlbesetzt
in ihrem eigenen Leben
Mario Bava
Die Räume der Realität, in denen er filmte
waren oftmals
fast leer.
Auf Glas malte er
ihre phantastischen Einrichtungen.
Positionierte die Gläser
vor der Kamera, und
die Illusion war perfekt.
Manchmal fuhr die Kamera
in einem Kinderwagen
durch die fast leeren Räume,
um Geld zu sparen …..
Kamerafahrten
eines Genies.
Wenige verstanden
die Wirkung des
Lichtes
wie er.
Niemand sonst verstand
Farben
wie er.
Wenige verstanden
Schwarzweiß
wie er.
Und den wahren Horror
der Einsamkeit.
Alles war Symbol.
Er war der Erste
in Vielem.
Er hatte einen Hang
zur Perversion,
begründete ein Genre &
aß Spaghetti.
Man ahmte ihn nach.
Und er machte sich
über sich selber
lustig,
als würde er
seine Kunst nicht
ernst nehmen.
Man
bedauerte oftmals, dass
die Qualität der Drehbücher
hinter dem Stil
zurückblieb ….
Man –
: Das sind Diejenigen, die
nicht verstanden haben,
worauf
es ankommt.
Ich verneige mich &
erhebe
das Glas meiner Phantasie
in einem Raum der
Realität.
Der Lehrer
Sogar ich Schulhasser hatte mal
einen Lehrer, den ich
wirklich mochte.
Ich besuchte ihn zu Hause, und
wir sprachen über Bücher & Musik & Filme.
Und dann, im Gespräch, wurde mir klar,
weshalb ich ihn mögen musste
(& was ich wohl gespürt hatte):
Er hatte die Lust an seinem Job
verloren.
Deshalb
war er
der beste Lehrer.
Hollywood?
1977, nachmittags.
Ich saß in einem fast leeren Kino
& sah zum ersten Mal
„Einer flog über das Kuckucksnest“.
Und unter all den Gedanken, die mir
dabei durch den Kopf gingen,
war auch der Gedanke:
Wie sauber dort alles ist … wie
ordentlich ….
Die Klapse in der ich ca. ½ Jahr zuvor
gesessen hatte,
hatte nicht so ausgesehen.
Ich sah
einen Hollywood-Film; einen
sehr guten, aber eben
Hollywood ….
Ich & die armen Schweine damals
hatten das
wahre Leben gesehen.
Keine Ahnung,
wer das
gedreht hatte.
Mainstream
Nirgendwo sonst
treiben so viele
tote Fische
an der Oberfläche
wie
im Mainstream.
Bücher
Filme
Musik
Gemälde
Ansichten
Klar ist das Gewässer
& einfach.
Bis auf den Grund
kann man blicken –
aber was sich dort zeigt,
ist
Langeweile
ist
Eintönigkeit
ist
der kleinste gemeinsame Nenner
im Morast.
Wer dort angelt,
(& es sind so viele)
wird nichts schmecken,
nichts riechen
als
toten Fisch.
Toten Fisch, der
niemals
lebendig war.
Fernab
liegen die kleinen, trüben
Gewässer
des Besonderen.
Still & dunkel
ist ihre Oberfläche.
Man kann ihren Geruch
nicht einordnen.
Und man weiß nicht,
was einen erwartet
& was man
zu schlucken bekommen wird,
falls man
es wagt,
in sie
hinein
zu
springen
Der alte Film
Die alte Kopie eines
noch älteren Filmes
Voller Kratzer &
Markierungen
Die Markierungen all der
Vorführer
durch deren Hände die Kopie
gegangen ist
Jumpcuts
fehlende Bilder
fehlende Sekunden
Herausgeschnittene
Momente
Ehemalige
Risse
Krächzender Ton
Verblasste Farben
Wenn man Glück hat
erinnert man sich
wie der Film ursprünglich
aussah
Wenn man kein Glück hat
ist vielleicht genau diese Kopie
die Erinnerung
& der Film
die eigene Vergangenheit
Kettensägenmassaker
Wenn ich
Ketten säge,
die meinen Hals einschnüren &
mich zu ersticken drohen,
fallen
manchmal
Perlen auf den Boden.
Und auf denen
rutsche ich dann
Aus.
Der Busfahrer
Immer wieder traurig, wenn
ein Busfahrer einem die Helden der
eigenen Jugend madig macht &
sie von dem Thron stößt, auf dem diese
jahrzehntelang gesessen hatten.
Besonders traurig, wenn diese Helden
den Soundtrack für die wichtigsten Momente
deines Lebens geliefert haben.
Da stand also dieser Fahrer des Tourbusses
vor mir an der Hotelrezeption & machte
mir, dem Nachtportier, gegenüber seinem
Herzen Luft.
»Der Typ ist echt ein Psychopath. Der
nervt alle. Sitzt während der ganzen Zeit
immer vorne neben mir & klugscheißt
ohne Ende. Hat natürlich immer schon
alles gelesen über die Orte, durch die wir
kommen. Und er weiß immer alles besser;
wo man langfahren muss und so. Zum
Kotzen. Und dann dieses bescheuerte
Toupet, dass der trägt. Ein einziges Mal
während der Tour hat er’s abgenommen;
da sah er zwar halbwegs vernünftig aus,
aber man konnte sehen, dass er Hautkrebs hat.
Glaub ich zumindest. Ich hab ja schon
viele Amis gefahren, aber der ist echt der
Gipfel.«
In dem Ton ging es ungefähr eine halbe Stunde.
Ich fühlte mich wirklich mies.
Ich hatte sämtliche Platten von dem Menschen zuhause.
Sämtliche Filme, in denen er mitgespielt hatte;
neben Leuten wie Jack Nicholson, Orson Welles
& Anthony Perkins.
Die Liebe meines Lebens war untrennbar mit
dieser Musik verbunden.
Es ist nicht immer ein Busfahrer, der
einem zeigt, wo auch nur mit Wasser gekocht wird.
Aber irgend jemand findet sich fast immer.
Ich versuchte, das Gerede
nicht überzubewerten.
Und doch –
ich konnte es auch nicht vergessen, als ich
im Konzertsaal saß
& applaudierte.
Aber immerhin –
ich hatte eine
Freikarte.
Political Correctness
Ich esse Negerküsse, weil
sie mich an meine Kindheit erinnern.
Ich höre Zigeunermusik, weil
ich sie liebe –
Django Reinhardt
vor allem.
Ich will keine Schaumküsse der Langeweile.
Es ist immer dasselbe mit den Menschen:
Sie suchen nicht den Kern,
sie kratzen an der Schale.
Und die Mordlust kommt von
Filmen & Videospielen?
Natürlich,
Ihr Langweiler.
Was denn sonst?
Ich habe in meiner Kindheit noch mit
Ausländern gespielt.
Diskriminierung ist
meinem Denken & Fühlen so fremd,
dass ich sie in
einzelnen Worten
meist
nicht erkennen kann.
Ich sehe Splatterfilme &
fühle mich schlecht, wenn ich
versehentlich
jemandem auf den Fuß trete.
ICH SEHE MENSCHEN!
NICHT DIE WORTE,
DIE SIE ZU BESCHREIBEN VERSUCHEN!
Ich mache Witze über
Krankheiten & Tod.
Auch das tut man nicht.
Die Witze sprießen aus dem Boden
der Angst & des Entsetzens –
gedüngt mit Erfahrung.
Nehmt endlich Eure
Politische Korrektheit
– sie ist rein äußerlich,
oberflächlich wie Euer Denken
(wenn man’s »Denken« nennen mag) –
& schiebt sie Euch in den Arsch,
auf dass Ihr sie Euch
verinnerlichen möget.
In der Zwischenzeit wische ich mir den Mund ab,
zufrieden & satt von
Negerküssen,
& rufe:
»PLAY IT AGAIN, DJANGO!
ALTER ZIGEUNER ….«
Ich habe keinen Charakter
Im Übrigen habe ich
keinen Charakter.
Jedesmal wenn ich höre oder lese,
was andere über ihren Literatur-, Musik-,
Film- oder Kunstgeschmack sagen,
denke ich mir:
DAS ist Charakter.
Dezidierte Ansichten.
Ein dezidiertes Ausschluss-
verfahren.
Ich:
schätze zu
Vieles.
Zu vieles, das nicht
zueinander
passt.
Literaten, Musiker,
Filmschaffende, Künstler, die sich
untereinander
gehasst haben.
Verschiedene Begriffe,
verschiedene Ansichten.
sich widersprechende &
einander ausschließende
Weltbilder.
Richtungen ohne gemeinsames
Zentrum.
Ich:
habe keinen Charakter.
Vielleicht sollte mein Schädel
enger sein,
um Platz zu haben
für einen Charakter.
Aber wahrscheinlich
würde ich mich dann
schrecklich langweilen.
Das x-te Remake
Irgendwann riechen die feurigen Worte nur noch
nach Autoabgasen …
Die süßen Gefühle schmecken nach
Asche …
Die hellen Gedanken sind
von Ruß überzogen …
Man wusste es doch vorher;
die Abgase, die Asche, der Ruß vom letzten Mal
hatten sich noch nicht
verflüchtigt …
& alles sah von Anfang an so ähnlich aus –
wie das Remake eines alten Films mit
schlechtem Ausgang, den man
schon unzählige Male gesehen hat.
Man wusste es vorher, aber
man hoffte dennoch.
Hoffte, dass dieses Remake
ein anderes Ende nehmen würde als
das Original – so
wie es manchmal geschieht …
Aber eigentlich geschieht es nur
in schlechten Remakes von
schlechten Drehbuchschreibern, die
das Leben nicht verstanden haben.
Und dann wünscht man sich ein
schlechtes Remake mit
gutem Ausgang.
Aber man riecht schon wieder
die Abgase.
Schmeckt schon wieder
die Asche.
Einflüsse
Je älter ich werde, desto
weniger Bücher lese ich;
desto weniger Filme sehe ich;
desto
weniger weniger weniger.
Weg mit den Einflüssen!
Weg mit den fremden Gedanken!
Aber es ist zu spät.
In meinem Kopf: der zähe, fremde Brei der
Vergangenheit, und was ich davon
verdrängt habe, halte ich
vielleicht sogar
am Ende,
wenn es wieder erscheint,
für mein Eigentum.
Ein Dieb, der nicht weiss,
dass er ein Dieb ist …..
Wie jämmerlich!
(Inwendig vorgetragen:)
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