Rahmenhandlung

Das Glöcklein klingelte beim Öffnen der Tür, es klingelte beim Schließen. Als lebte eine besonders kleine Maus darin, die sich eine Murmel an den Schwanz gebunden hatte und die nun, vor lauter Freude mich zu sehen, hundgleich wedelte. – Nun gut, vielleicht klang es nicht ganz so, aber mir gefällt das Bild.
Ein gelackter Verkäufer schnellte auf mich zu. Schließlich war hier sonst niemand, auf den er hätte zuschnellen können.
»Guten Tag, kann ich Ihnen behilflich sein?«
»Guten Tag, das wäre schön.«
»Was suchen Sie?«
Das war eine große Frage. Doch ich entschloss mich, eine kleine Antwort zu geben.
»Einen Rahmen für mein Bild«, sagte ich.
»Nun, wie Sie sehen, haben wir eine große Auswahl.«
Das war keine Lüge; immerhin befand ich mich in einer Rahmenhandlung. Wodurch allerdings seine Frage, was ich denn suche, merkwürdig sinnlos wurde.
Da ich mich vermutlich besonders unentschlossen umsah, stellte der Gelackte gleich die nächste:
»Darf ich fragen, um was für eine Art von Bild es sich handelt?«
Ich setzte voraus, dass er es durfte und antwortete:
»Es geht um das Bild, das ich mir von der Welt mache.«
»Aha«, sagte er. Mit einem Blick, als fürchtete er den Überfall eines Psychopathen. »Tja – wie groß ist es denn?«
»Nicht besonders groß, fürchte ich.«
»Hmm, dann werden wir bestimmt etwas finden.«
Ich mochte es nicht, dass er Wir gesagt hatte; erstens kannte ich den Mann überhaupt nicht, und zweitens war es sein Beruf, etwas zu finden.
»Haben Sie an einen bestimmten Stil gedacht?« fragte er.
»Ob an einen bestimmten weiß ich nicht, aber ich glaube, ein schlechter wäre gut.«
»Nun, so etwas führen wir nicht.« Es klang fast entrüstet. Dabei war mir nicht einmal aufgefallen, dass er gerüstet gewesen wäre. Aber ich fühlte mich beruhigt, dass ich in diesem wir nicht mehr enthalten war.
»Ach wissen Sie«, sagte ich. »wenn ich mich hier umschaue, glaube ich sehr wohl, dass Sie dergleichen führen.«
Es hätte wenig Sinn, seinen Gesichtsausdruck zu beschreiben, dennoch unterlasse ich es.
»Sie haben es nicht zufällig bei sich?« sagte er.
»Von Zufall kann gar keine Rede sein«, erwiderte ich. »Ich habe es selbstverständlich immer bei mir. Ich kann es nur nicht so zeigen. – Und außerdem würden Sie ohnehin nichts erkennen; es ist ziemlich düster.«
»Also, dann weiß ich nicht, wie ich Ihnen helfen soll.«
»Machen Sie sich nichts draus. Kein Grund, sich zu entleiben.«
»Vielleicht sehen Sie sich doch am besten selber um und wählen einfach, was Ihnen gefällt.«
»Sie haben recht«, sagte ich. »Allerdings werde ich eher bevorzugen, was mir nicht gefällt. Da ist ja auch das Sortiment viel größer.«
Nun entfernte er sich fast ebensoschnell, wie er gekommen war. Ich fühlte mich wie von einer Geschwulst befreit.
Es herrschte Ordnung in der Rahmenhandlung. Rechtecke wohin man schaute, nebeneinander, hintereinander, zur Auflockerung hier und dort etwas Eiförmiges. Es wurde der Eindruck vermittelt, nichts könne jemals irgendwo herausfallen. Sogar die Zwischenräume wirkten wie gerahmt durch die Außenseiten der Rahmen. Hinter dem Verkaufstresen gab es eine geöffnete Tür. Sofort glaubte ich, eine leicht geschürzte Weiblichkeit würde in ihrem Rahmen erscheinen, auf dass die Erotik hier nicht zu kurz komme; aber auch dieser Glaube konnte der Wirklichkeit nicht lange standhalten. Immerhin: der Gelackte war durch diese Tür gegangen; wo etwas Garstiges entschwand, ist fast schon Schönheit; völlig unwahrscheinlich war es also nicht, dass im Wechselrahmen der Tür nach Hässlichkeit und Leere etwas erfreulich Erfräuliches sich manifestieren werde. War mein Bild etwa doch nicht so düster, wie ich gedacht hatte?
Ich konnte mich nicht entscheiden. Weder Stil, noch Form, weder Farbe, noch Verarbeitung, weder Muster, noch Größe passten zu meinem Bild. Und ich wusste plötzlich nicht einmal mehr, warum ich den Laden überhaupt betreten hatte. Bestimmt nicht wegen der Beispielbilder im Schaufenster. Dort wurde allzu tumb gegrient. Kein Zahn war vergilbt. Keine Pore atmete. In den Augen war Platz für ganz viel Nichts. Und das heiratete sich dann. Zumindest zum Schein. Ich hatte mich in der Glasscheibe gespiegelt, und schon meine Reflexion passte nicht ins Bild.
Es wurde Zeit in die Glocke zu schauen. Die Maus mit der Murmel zu grüßen und ihr Glück zu wünschen. An sie wollte ich glauben. Viele Geschichten gibt es. Ohne mich. Zyklen von Erzählungen. Ohne mich. Doch ich war in der Rahmenhandlung. Man sollte nicht zu viel von mir erwarten.


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