Archiv des Autors: flederzombie

Wenigstens ein Igel

Funken zerstieben auf der Straße,
eine Zigarette wurde wutentbrannt
aus dem Fenster geworfen.

Köpfe streiten unhörbar
hinter der Heckscheibe.
Ein Igel rollt sich

ein. Er gerät
zwischen die Räder –
und bleibt

unverletzt.
Was für ein Glück!
Wenigstens er.

Ich weiche aus.
Halte an. Vielleicht
kann ich ihn retten.

Der nächste Streit
könnte schon unterwegs sein.


Zeitbogen

All diese Tode
die die Toten nicht mehr erleben
All diese Lebenden
die in der Welt der Toten noch lebten
und jetzt nicht mehr da sind
so wie jene nicht mehr hier sind

Gut dass du tot bist
So hast du ihren Tod nicht mehr erlebt
Gut dass sie tot ist
So wird sie meinen Tod nicht mehr erleben

Bewahre die Welt
in der du lebtest
Dann bleiben alle die fort sind dort

Für einen Augenblick nur
möchte ich in eine vergangene Welt treten
und mich wundern

»Ach! Du hier? Wie schön.
Wo ich herkomme, kennst du niemanden.
Nur ich erinnere mich an dich.«

»Du lügst doch.«
Ja, vielleicht. Ich möchte lügen,
dass die Zeit sich biegt.

In ihrem Bogen wandeln
Im Wandel der Zeit eine Pause einlegen
Für einen Augenblick nur

Wundern
Und alle bleiben lassen
Wo sie waren

als sie mich an sich erinnerten


Irgendwas mit Bällen & Kaffee

Der Fremde nahm einen der beiden Snookerbälle
von unserem Wohnzimmertisch. Furchtbar,
wenn die Symbolik so simpel passt.

Er redete irgendwelchen Unfug
jenseits des Tisches
und schaute abwechselnd

auf die Reflexe der polierten Kugel (pink)
und unter den Schulmädchenrock
meiner Freundin, die neben mir

auf dem Sofa saß. Ein bulliger
älterer Kerl. »Bist du aber klein
& schlank«, sagte er, »ich

erdrück dich ja.« Sie
lächelte. Unter dem Rock
trug sie nichts

als Abenteuer. Sonderlich
sympathisch war er uns beiden nicht,
aber letztlich war das egal.

Am Ende des Lebens
will man sich nicht vorwerfen
müssen, etwas nicht ausprobiert zu haben,

was einem in der Phantasie
des Ausprobierens wert schien.
Ich ging in die Küche,

um Kaffee zu kochen. Als das Wasser
sprudelte (es tut mir leid wegen der Symbolik,
aber ich kann die Wahrheit nicht ändern),

hörte ich ihn im Wohnzimmer
mit dunkler Stimme befehlen:
»Schön tief in deinen Mund. Los!«

Da ließ ich den Kaffee stehen.
Eigentlich war es ja ohnehin schon zu spät,
um Kaffee zu trinken.


6 Stunden, 5 Nächte, 5 Jahre

Sechs Stunden im Zug.
Ich fuhr nach München.
Ihr Freund war zur Kur, das Hotelzimmer
reserviert. 5 Nächte. Billig.
Tags gingen wir spazieren; sie
zeigte mir die Stadt, die sie verabscheute.
Abends schauten wir fern in ihrer (seiner) Wohnung.
Nachts im Hotel wurde gefickt.
Ich bezahlte sie. (Nie davor & nie danach
habe ich bezahlt, und für keine andere
hätte ich es getan.) Es ging um
ihr Gewissen; da ich sie bezahlte,
fiel es ihr leichter, ihren Freund
zu hintergehen. Menschliche Seele,
man kennt das: dieses Ding da, aus
dem man kaum schlau wird. Küssen
durfte ich sie nicht. Das war das Schlimmste.
Aber auch die Bezahlung war grausam
für mich. Am letzten Tag
hatte sie einen Termin. Jemand anderes
hatte ihr online Geld für Sex geboten; sie
langweilte sich, also wollte sie
etwas erleben. Ein bisschen Schwung
ins Leben bringen. Ich ging
in ein Museum, und sie zu dem Café,
wo sie alles besprechen wollten.
Eine Stunde später waren wir
wieder zusammen. »Und?«
fragte ich. – »Wird schon gehen«,
sagte sie. »Er hat mir gleich die Hand
aufs Bein gelegt. Das hasse ich. Außerdem
hat er eine hohe Stimme. Wie ein Mädchen.
Schrecklich. Zu jung isser auch,
nächste Woche treffen wir uns.«
Dieses Ding da, aus dem man kaum
schlau wird. Ich habe es auch.
Ein Schmerz im Herz, ein Puckern
im Schwanz. Ich weiß es doch auch nicht.
Es war alles so seltsam. Am nächsten Tag
saß ich wieder im Zug. Zum Abschied
durfte ich sie nicht einmal
auf die Wange küssen. Am Telefon
erzählte sie mir später alles
ganz genau. Die Therme, das Stundenhotel,
der Whirlpool… Und wieder:
Schmerz & Puckern.

Mehr als 5 Jahre
leben wir jetzt zusammen.
Kein Ende abzusehen.
Mehr Glück ist
dem Menschen nicht zugänglich.

 


Vertragt euch doch

In meinen Bücherwänden stehen sie
Seite an Seite. Die Autoren,
die einander kannten

& hassten. Ihre Werke
kuscheln fast, so nahe
stehen sie sich.

»Vertragt Euch, Kinder«, sage ich.
»Ihr seid nun schon so lange tot,
da streitet man nicht mehr.

Dachtet Ihr, Ihr hättet nicht genug
Raum? Habt Ihr nicht gesehen,
daß Ihr gegen dasselbe kämpftet,

wenn auch nicht immer für dasselbe?
Ihr hattet gemeinsame Feinde;
das hätte Euch zu Freunden machen können.

Aber nun ist Ruhe. Ich dulde keine
Auseinandersetzung in meinen Regalen.
Die streitsüchtige Jugend ist vorbei,

Ihr seid tot – und habt überlebt.
Reicht Euch die Bände.
Ich hab Euch alle lieb.«


Ich richte mich

(Und hier sehen wir
den Dichter in der Krise.
Erste Zeichen der Verdüsterung,
die in der Umnachtung gipfelte:)

Ich richte mich
an die noch nicht Geborenen.

Und, wenn ich’s könnte,
an die Toten. An euch,

abenddämmernde Zeitgenossen,
richte ich mich

nicht! Genießt eure
Zeit. Etwas anderes bleibt

euch nicht. Und habt ihr sie
genossen, die Zeit, ihr Zeitgenossen,

frisst sie euch
von innen auf.

Ganz still & ätzend,
den Dreck zersetzend,

der ihr seid.
Ich schreib euch klein.

Ich schreib euch kurz,
da ist mir euer ego schnurz.

Ich richte euch.
Ich richte mich

an — wie eine
Henkersmahlzeit.

Eure.
Mahlzeit!

(Wir enthalten uns
jeglicher Interpretation.
Der kluge Leser wird –
Sagten wir ›der kluge Leser‹?
Hahahaha.)


Wenn, dann

Versuche, mich zu fassen.
Zu begreifen, wer & was ich bin.

Wenn du was weißt,
sag’s mir.

Denn ich
weiß es nicht.

Sag es, und dann schweigʼ
für immer.


Diese Tage (Gedicht mit Fußnote)

Diese Tage

an denen ich fast alles,
was ich je geschrieben,
grausam schlecht finde, sind

die schlimmsten!

Schrecklicher Befund.
Schlimme Diagnose.
Keine Heilung.

Letaler Verlauf.
Leben verfehlt.
Alles Psychose.

Das Gestrige ist
heute nicht einmal mehr
meinen eigenen Hohn wert.

Andere lese ich nur noch,
um meinen Platz zu suchen.
Mich einzuordnen.

In der Hoffnung,
noch Schlechtere zu finden,
finde ich – so viele Bessere.*

Früher hätt ich mich besoffen,
bis ich alles wieder gut gefunden.
Jetzt hilft nichts mehr. Nichts.

Nichts zu hoffen.
Nichts zu tun.
Außer warten. Warten.

Ich kann nur warten, bis
es mir wieder gelingt –
mir etwas vorzumachen.

Es ist zum Lachen.
Also lache ich.
Wie einer, der

überschnappt
vom Wahnsinn zur Wahrheit.
Ohne Rückkehr.

Ohne Rückkehr! –
Ohne Rückkehr?
Moment! Halt!

Da ist doch noch…..

Wäre ich so schlecht, wie ich glaube,
würde ich nicht glauben, so schlecht zu sein.

Hoffnung. Verdammte Hoffnung! Willst du
mich quälen? Nun stirb doch. Verrecke
nur einmal nicht zuletzt.

Alte Lügnerin! Blenderin!
Ich bring dich um! Und mich.
Wenn man ohne dich nicht leben kann,

dann eben nicht!
Es ist doch gar zu lächerlich.
Auch DIES wieder: ein DRECK!

 

 

_________________________

*(Unter den Toten.
Nur unter den Toten.
Nur sie sind Maßstab.

Die Lebenden
sind so lächerlich
wie ich.)


Verschwommene Umrisse

Verschwommene Umrisse
schwimmen im Fluss

halb Mensch, halb Sehnsucht
Vielleicht schöne Leichen

Ein Traum schlägt Wellen
von entblößten Wesen

die sich verschwommen haben
und nicht wissen, wohin

Halbmenschen mit Flossen
von Licht übergossen

Von Nässe geblendet
werde ich blind


Existenzkrisen

In verwaisten Räumen
mit leeren Stühlen
denke ich:

Hier ist alles besetzt.
Es ist so voll.
Oder ist dieser Stuhl doch noch frei?

Nicht zu glauben
wie viele Menschen
in einer Existenzkrise sind.

Man kann kaum atmen –
deshalb ist es so still.
Niemand grüßt

während ich einen Platz für mich suche.
Finden muss ich ihn
allein. Wie alle.


Rummel

Auf dem Rummelplatz
Gleich neben der Schießbude
Steht ein Dichter & flüstert

Seine Gedichte.
Kleine Narben im Gesicht
Wie von Querschlägern.

Wenn’s plötzlich still würde,
Wäre es ihm peinlich.
Doch die Gefahr ist gering.

Megafone. Boxen. Mikrofone.
Würste kreischen.
Kinder platzen.

»Papa, schieß mir einen Teddy!«
»Ruhe, ich muss mich konzentriern.«
Da schweigt der Dichter

Bis es knallt.
Und danach sagt er
auch nichts mehr.


Hüter des Schlafes

Unser Butler klappert mit dem Meißner Geschirr
etwas zu laut; wir werden ihn entlassen müssen.
Der Gärtner raucht wie eine alte Fabrik,
während er die Ränder des Rasens mit
der Nagelschere in Fasson bringt; dann
bekommt er einen Hustenanfall, als
läge er in einem Sterbezimmer in Davos.
Die Dielen knetern; Olga, die osteuropäische
Kammerzofe wienert & wichst das Parkett
des Westflügels. Im halben Schloß hallt es wider.

Und die Geliebte schlief
hoffentlich noch immer.
Es war mitten in der Nacht.
Ich machte mir etwas zu essen.
Klirr! Scheiss Teller!
Im Wohnzimmer trank ich Tee.
Ich verschluckte mich.
Presste mir eine Decke vors Maul,
um die Schlafende nicht zu wecken.
Ja, wir Nachtmenschen haben’s auch nicht leicht.
Auf dem Weg zum Bücherregal
knarzte das Laminat.

Und morgens dann:
»Hast du gut geschlafen?«
»Ja. Ich hab von dir geträumt.
Aber ich weiß nicht mehr, was.«

»Oh, ich weiß schon«, sagte ich.
»Ich lag in einer Lungenklinik.
Nichts Schlimmes, nur ein bisschen Husten.
Da kamst du herein, als Krankenschwester –
in deinem Outfit.« [… das so eng ist, und so kurz, dass
der Po herauslinst wie der Mond aus einer knappen Wolke;
ich hatte es ihr… äh… uns
zu Weihnachten geschenkt.] »Du kamst
mit dem Tablett, und ein Löffel fiel herunter;
da musstest du dich bücken……«

»Orr, hör auf!« lachte sie.

»Hände an die Backen. ›Oh, Herr Leckmich,
Sie schlimmer Mensch, Sie
haben ja schon wieder einen Ständer! Ja,
was machen wir denn da?‹«

»Also, ich glaub, ich hab was anderes geträumt.«
»Ja, ich weiß. Schade eigentlich. Aber Hauptsache,
ich habe dich nicht geweckt.«

»Nein, hast du nicht.«

»Gut.«

»Oh -«


Gerissen

Zack! Da lag der BH im Müll.
Weiß, mit feinen roten Linien.
Zwischen Küchenpapier &

zerbrochenem Porzellan.
Nur weil ein Träger gerissen war.
Als wäre es schlimm, gerissen zu sein.

Ich überlegte,
ihn herauszuangeln.
Und aufzuhängen.

Ihn an die Wand zu nageln,
weil er so schön war.
Und weil er stets

gehalten hatte,
was schön ist.
Ich überlege noch

immer.


Zu lang

»Komisch«, (wer spricht? ich nicht),
»die letzte Strophe legt den Eindruck
nahe, es müsse ihr ein langes Gedicht
vorausgegangen sein. Dabei
ist es so kurz. Das wirkt
unharmonisch.
Überstürzt.«

»Ja«, (ich spreche).
»Das stimmt. Aber nur,
wenn man nicht liest,
was nicht dort steht.

Mir ist es viel
zu lang.«


Das Tagebuch

Ich versenkte mich
in das Tagebuch eines Verstorbenen.
Saß mit ihm am Tisch, lauschte
seinen Gedanken, sah
ihm beim Baden zu,
traf die Menschen, die er kannte,
ertrug seine Krankheiten,
ging mit ihm spazieren.

Dann verließ ich das Haus,
um allein zu gehen.
Schon bald bemerkte ich, daß
niemand mich sah.
Niemand mich sehen konnte,
niemand mir auswich.
Ich war es, der zur Seite treten musste,
sonst wären die Menschen

durch mich hindurch
gegangen wie uninteressante Gespräche.
Wenn niemand dich sieht, bist du
dort wo du sein solltest,
dachte ich.
Wo immer du bist.
Ich kehrte zurück
zu meinen Regalen. Zurück
zu den vergangenen Tagen des Toten.

Dort ist das Leben.


Der lächelnde Elefant

Leben
Im Stoßzahn eines Elefanten
Scheinbar lächelnd
Mein gekrümmter Elfenbeinturm
Auf der Flucht
Vor Wilderern vor Jägern vor
Menschen im All
Gemeinen
Dünnhäutig – mein graues Ich
Gerunzelt
Wer schmunzelt?
All
Es nur Schein

Leben im Stoß
Steiler Zahn
Wildes Jagen von Häuten
Alles Leben ist

Widerspruch


Echo

In einem Hohlkopf
muss ein einsamer Gedanke
ein fürchterliches Echo haben.

Er hat sich verirrt,
weiß nicht, wie er dort hingekommen ist.
Hat Angst vor der Leere.

Fühlt sich fremd.
Wird immer lauter.
Schreit.

Er will raus.
Muss raus.
Mit Gewalt.


Nein !

Einige Menschen glauben,
ich schriebe über sie
& über mich.

Ich schreibe aber
über das Menschliche
in meiner Gegenwart.

Wir Einzelwesen sind unwichtig,
nur Statisten in der ernsten Komödie,
ich ich nachzuzeichnen suche.

Wir stehen bloß im Vordergrund,
um den Hintergrund
zu verdecken.

Nein, glaubt nicht,
es ginge um mich,
es ginge um Euch.

Glaubt nicht,
weitet Eure Gedanken!
Denkt!


Das Mädchen mit dem Krokodil

[ Für meine Augenblickssammlung ]

 

Es ist doch nur Luft.
Oder ist es der Atem
eines geliebten Menschen?

Ein Mädchen im roten Sommerkleid
überquert die Straße. Auf seinem Kopf,
durch seine Hände gesichert,

balanciert es ein Krokodil, das etwa
zwei Meter lang ist. Beide lächeln,
leuchtend grün das Krokodil,

leicht gerötet das Mädchen,
das sich beobachtet fühlt.
Es ist nicht mehr klein

& noch nicht groß. (das Mädchen).
Wer hat es wohl aufgeblasen?
(das Krokodil)

Ich bin ein Schauer,
und wo mein Blick sich niederschlägt,
da blitzt & donnert Phantasie.

jemand bläst
bis ihm die Puste ausgeht
spricht ins Krokodil
lacht ins Ventil
tritt einen Balg mit nacktem Fuß
man hört es kichern, ganz hell, ganz froh
Schallwellen, die man ins Wasser wirft
um nicht unterzugehen
»Vergiß deinen Bikini nicht!«
»Den hab ich schon drunter.«
»Und creme dich gut ein.«
»Ja-ha.«
flüchtige, sonnendurchschossene Sekunden
ein weißgepunktetes schwarzes Tuch fällt zu Boden
Wo geht es hier zum Pool?
»Hast du auch alles?«
»Ja!«
»Dann grüß schön!«
»Mach ich! Tschühüüs!«

Es könnte auch alles ganz traurig sein:
der Vater gestorben, sein letztes Röcheln
im Krokodil gefangen, die Mutter schickt das Kind,
um es abzulenken, zur Freundin mit dem Planschbecken –

aber ich will es nicht glauben.
Lebensfreude überquert die Straße.
Rot & grün im Sonnenhonig.
Ein bewegtes Bild im Fenster.

Ich hänge es auf
in meinem Gedächtnispalast.
Wenn es dunkel wird, kann ich es betrachten.
Es heißt: Das Mädchen mit dem Krokodil.


Ein Stück Erinnerung

Seit sie mir die Pistole weggenommen haben,
besitze ich nichts mehr, um
mir bei Kopfschmerz die Schläfen zu kühlen.

Sie war ein Erinnerungsstück.
Aus der Sammlung meines Vaters.
Alle Erinnerungen

hätte man damit beenden können.
Man hat sie mir nicht weggenommen –
die Erinnerungen. Doch

der Kopfschmerz wurde schwächer,
als mein Vater starb. Ganz
verschwinden wird er nie.


Auf irgendwas wartet man ja immer

Daß ich ein Genie bin,
fällt zu Hause niemandem auf.

Nur mir natürlich. Zuweilen.
Ich sitze da so rum,
meine Freundin fragt: »Was

machst du heute?«, und
meine Antwort lautet:
»Aufs Kacken warten.«
Dieses Gedicht wiederholt sich

alle 2 Tage. Ich lege großen Wert
auf geregelten Stuhlgang. (Aber
bitte nicht jeden Tag; es
täte mir um die Zeit zu leid
& würde mich emotional

zu sehr mitnehmen.)
Man muß warten können, bis
einem etwas auffällt – einfällt –
rausfällt – da fällt mir ein,
daß Adorno einmal in einem Gespräch sagte,
Beckett habe der Begriff des Fallens in

der deutschen Redewendung der Fall sein, so sehr
gefallen. Als dies Gespräch vor etwa 40 Jahren
von meinem Rundfunkempfänger empfangen wurde,
war es schon 15 Jahre alt & Adorno so tot wie
Tilla Durieux. Alle, die da fallen. Was uns zu Effi Briest führt…..
Oder führen könnte. Doch lassen wir die weiten, von schwarzen Mönchen
bevölkerten Felder der Assoziation ruhen im milden Glanz der Abendsonne.

Immer wenn niemandem etwas auffällt, herrscht
Ruhe. Ich betrachte die
Ordnung der Gedanken
Nicht (als) zufällig.
Im Augenblick der Entspannung könnte ein
Sonett entstehen.
Crazy door of the jakes!
Heute geht irgendwie alles durcheinander…..

Verdammt & aufgetrennt! (Schnell ein Gedicht
von Günter Grass lesen; dann weiß ich wieder, wie gut
ich bin.) Worauf ich eigentlich hinauswollte,
war ja ich. »Wie immer«, würde meine Freundin sagen.
Wir lieben unsere Rituale. Und übermorgen
wird sie mich wieder fragen: »Was machst du
heute?« Und vielleicht werde ich dann antworten:
»DEATH HAS TWELVE WINGS LIKE THE ANGEL OF HELL!«
Aber wahrscheinlich

ist das nicht.


Das schwebende Buch

Nachts trage ich meine Tarnkappe,
damit, falls niemand herein kommt,
er denkt, auch ich sei nicht da.

Es schwebt ein Buch
über dem Kanapee,
und niemand fragt sich,

warum das so ist.
Hätte er mich gefragt,
würde ich ihm geantwortet haben.

Vielleicht wäre ein Gespräch entstanden.
So haben wir alle
noch mal Glück gehabt.


Mond mit eigenem Licht

Sie scheint
Wenn alles dunkel ist
Wie ein Mond
Mit eigenem Licht

Und niemals gewöhnt man sich
So sehr an den Mond
Dass man seine Schönheit nicht
Mehr wahrnähme

Schon gar nicht an diesen
Der nicht nur reflektiert
& der die Sonne nicht braucht
Um zu leuchten

Es klingt wie ein Rätsel
Ist aber keins

Sie scheint
Mich zu lieben


Meine kleine Sanduhr

Meine kleine Sanduhr steht
in meinen Armen.
Sie spiegelt sich nackt
im Fenster, weil

der Rolladen geschlossen ist.
Im Tageslicht wäre ihr Abbild
geisterhaft – so als hielte ich
ein Wunschbild

fest. Ganz fest.
Rücken, Taille, Hüfte –
die Zeit vergeht,
während sie steht.

Jedes Korn ein Bruchteil
eines Augenblicks.
Ich fasse, begreife, halte ihn
fest, fest. Fest.


Niemals

Ich kenne niemanden,
Der so lebt wie ich.
Aber wie sollte ich auch
Jemanden meiner Art kennen,

Da es zu meinem Leben gehört,
Niemanden kennenzulernen,
Und er, wäre er wie ich,
Mich nicht kennenlernen könnte?

Wo ist er?
Es ist mir egal.
Wo bin ich?
Es interessiert ihn kein bißchen.

So gingen wir unserer Wege,
würden wir nicht lieber
zu Hause bleiben & auf
Der Chaiselongue liegen –

Lesend, allein & niemanden
Hereinlassend, nicht einmal
Ihn & mich, die wir niemals
vor unseren Türen stehen werden.


Virus

Man liegt vor dem Fernseher
(nur im Schlafzimmer hat er eine Daseinsberechtigung),
und schaut kurz nach, ob
die Menschheit sich endlich ausgerottet hat
und man nun doch noch ein bisschen Ruhe bekommt,
bevor einem das Klopapier ausgeht
und einen der Hunger in fremde Häuser treibt.

Nein. Sie machen immer noch Lärm.
Sind immer noch blöd,
werden immer ungebildeter,
proletenhafter, hassenswerter.

Es ist mal wieder ein Virus unterwegs.
Der kann einem leidtun, wenn man sich vorstellt,
wen der so alles bewohnen muss.
Seine auffälligste Nebenwirkung ist,
dass er die Geistlosigkeit der Nicht-Infizierten hervorhebt.

Es wird gestorben, der Planet atmet durch,
aber alles in Maßen. Die menschliche Maßlosigkeit
ist nicht gefährdet. Die Dummheit erfährt
keine nennenswerten Einbußen.

Man liegt vor dem Fernseher
und schaltet ab.
Na ja –
vielleicht beim nächsten Mal.


Ruhig, ganz ruhig

Als ich geboren wurde, waren alle schon tot.
Alle, die tot sein durften, weil sie gestorben waren,
bevor ich geboren wurde. Vielleicht waren sie auch
immer schon tot gewesen. Wie kann es sein,
dass diejenigen sterben, die zu meiner Zeit lebten,
und an die ich mich erinnere? Da ist etwas
falsch. Grundlegend falsch. Der Mensch auf dem Foto
soll nicht mehr existieren? Wie kann das sein?
Nur noch vergrabener Dreck? Für immer
verschwunden. Stimmlos. Atemlos.
Er hatte doch so jung ausgesehen,
bevor er alt wurde – wie ist das möglich?
Ich habe noch seine Stimme im Ohr.
Neben all den anderen Stimmen.

Ruhig, ganz ruhig.

Ich BIN ruhig. Nur sie sind es nicht.
Auf diesem Foto packt er seinen Koffer.
Er will verreisen. Dann kann er doch nicht tot sein.
Man kann nicht verreisen, wenn man tot ist. Oder?
Er ist noch nicht da gewesen, wo er hin wollte,
also muss er doch da sein. Der Koffer ist ja auch
noch gar nicht geschlossen.

Wo wollte er denn hin?

Ich weiß es nicht.

Dann war er vielleicht doch schon da.

Wieso DANN ? Was hat das mit mir zu tun?
Nur weil ich etwas nicht weiß, soll es stattgefunden haben?
Wo ist denn da die Logik?

Wie tot er ist, seit er nicht mehr lebt.
Man kann nicht so tot sein;
also müsste man doch leben.

Ruhig, ganz ruhig. Mit manchem muss man sich abfinden.

Abfinden! Das ist auch so ein Wort.
Die Abfindung. Mir hat noch keiner etwas dafür gegeben,
dass einer nicht mehr da ist. Und wenn, würde ich es
nicht annehmen. Ich würde es nicht haben wollen.
Hoffentlich hat er sein Nackenkissen nicht vergessen.
Ich sehe es gar nicht in dem Koffer. Er bekommt
doch so schnell Nackenschmerzen. Einmal
konnte er kaum aufstehen vor lauter Schmerz.
Aber das ist lange her.
Er ist noch oft aufgestanden danach.
Wahrscheinlich steht er morgen auch wieder auf.
Wir können ja gar nicht anders. Wir müssen
aufstehen. Weil wir nicht immer liegenbleiben können.
So ist es doch. Oder?

Ja.

Wenn er nur nicht seinen Zug verpasst.
Er hält so lange inne. Er sollte endlich
weiter packen. Hoffentlich ist er nicht zu erschöpft.
Dann müsste er sich ausruhen. Vielleicht
wartet der Zug ja auch auf ihn. Er hat so oft
den Zug genommen, dass der auch mal auf ihn
warten könnte. Er hat so oft den Zug genommen,
dass ich manchmal dachte, ohne ihn kann
ein Zug gar nicht fahren. Er hatte ja
Flugangst. Er konnte nicht fliegen. Er meinte,
er würde abstürzen. Dabei sind doch immer nur
Flugzeuge abgestürzt, in denen er NICHT war.
Wenn er sich das klargemacht hätte, hätte er
fliegen können. Aber Logik war seine
schwache Seite. Da konnte man reden,
wie man wollte. Er verstand einen einfach
nicht. Na ja. Egal.

Haben Sie nur dieses eine Foto?

Sehen Sie bloß – wie ruhig er atmet. Man sieht es
kaum. Nur wenn man ganz genau hinschaut, kann man es
sehen. Man muss immer ganz genau hinschauen.
Sonst verpasst man, worauf es ankommt.
Wenn man natürlich nicht weiß, worauf es ankommt,
kann man es auch nicht sehen; da kann man
schauen, so lange man will, man sieht es nicht.

Das stimmt.

Als ich geboren wurde, gab es nur Lebendiges
um mich herum. Das war schön.

Das ist doch immer noch so.
Oder sehen Sie die Toten?

Woher soll ich das wissen?
Ich weiß es nicht.
Vielleicht sehe ich sie.
Sind Sie tot?

Nein. Ruhig, ganz ruhig.

Ich BIN ruhig. So wie er.
Ich will nicht unruhiger sein
als er. Es ist schön,
wie ruhig er ist.

Ja.

Danke. Es war nett mit Ihnen zu plaudern,
aber ich muss jetzt auch meinen Koffer packen,
sonst verpassen wir doch noch den Zug.
Der wartet nämlich nicht auf uns.

Sie haben recht.
Ich werde Sie begleiten.


Unsichtbar

Der Nichtschwimmer blickt auf das Meer,
beobachtet die Wellen,
lauscht dem Rauschen.
Riecht das Salz.

Er weiß nicht, ob
er die Berührung des Wassers vermisst.
Er denkt an den Untergang und manchmal
an seine Rettung.

Dann fragt er sich, wie
ein Nichtschwimmer ihn sollte retten können.
Die Hilfe eines Schwimmers
würde er ablehnen.

Der Nichtschwimmer blickt auf
das Meer und lächelt.
Das Meer ist voll von Seinesgleichen –
aber niemand kann sie sehen.

Das macht ihn froh.


Ausstellung

An manchen Tagen
Rinnt das Sonnenlicht in
Sämtliche Ritzen, und die Möwen lärmen im
Chor, während der Sand
Heiß in Zwischenräume dringt
Zehen graben sich ein
Es rauscht in den Ohren, rauscht
In brunstprallen Schwellkörpern
Geblendet sind die Augenblicke, und die
Einsamkeit steigert die Triebe in Todesnähe
Ruhelos zählt man die Tropfen auf fremder Haut
Immer wieder, immer wieder
Nur selten geht die Rechnung auf, und
Nachts leuchten die Monde in der Erinnerung
Es scheint kein Ende zu nehmen
Nie nie niemals


Nicht nur ein Name

Tod, Zeit, Vergänglichkeit
Haben keine Macht
Ohne das Vergessen
Manchmal kehre ich zurück
Aus der Gegenwart und
Suche mich in der Erinnerung

Mit dem Vertrauten meiner Jugend
Alte Geschichten bewohnend
Nähere ich mich den Anfängen
Nicht zum letzen Mal


Draußen

Ja. Natürlich. Selbstverständlich. Da muss doch einfach
Jeder vernünftige Mensch, Jeder gute Mensch, Jeder
Gutwillige zustimmen. Ja, also, wer DA sein Herzchen
nicht druntersetzt, sein Sternchen oder was auch immer,
vielleicht ein Smiley oder DaumenHoch – Dem
ist doch nicht mehr zu helfen. Der ist wohl dagegen,
Der steht vermutlich auf der falschen Seite, Der
ist schlecht, durch & durch schlecht. Politisch
völlig unakzeptabel.

Ich weiß: auch ich könnte mich beliebt machen,
auf jene Weise, die ebenso erfolgversprechend wie billig ist.
Ich verstehe die Mechanismen, verstehe,
wie simpel die Menschen geklöppelt sind,
wie leicht man die Herden mit ein bisschen Gebell dahin treiben kann,
wo man sie haben will – zum Liken, Favorisieren,
Retweeten, Rebloggen. Wuff! Wuff! Man muss
schreiben, wie SIE denken, muss ausdrücken,
was sie glauben, denken zu sollen, um als gut zu gelten.
Die Meinungen, die ich meine, SIND ja gut, ich habe sie
selber. Selbstverständlich. Nur:

Jede, einfach JEDE Art, Spielart, Unart von »Populismus«
ekelt mich zutiefst an. Sie ist mir fast schon konstitutionell widerwärtig.
Sie widersteht mir, ich widerstehe ihr.
Ich spüre es im Magen. Sofort –
das Maschenhafte, das Fabrikmäßige der Aussagen,
die Gemeinplätze, die einladen sollen
zum gemütlichen Schunkeln & Mitklatschen;
da werden die weißen Fahnen der Politischen Korrektheit geschwenkt,
während die Stars der Anständigkeit einen Schlager nach dem anderen
in die verschmalzten Ohren der Menge applizieren. Applaus, Applaus!
Ich KANN da nicht tun, was nahezu jeder Wohlgesinnte & Gutwillige
gerne & herzhaft tut – nämlich Liken, Favorisieren, Retweeten, Rebloggen.
Ich kann nicht mit-tun. Mein Kopf ist nicht herzhaft. Doch es ist, als
müsste ich nicht einmal wissen, bloß fühlen, dass
jede Masse die Tendenz zum Schlechten in sich trägt,
selbst wenn sie im Moment gut sein mag. Sie kann immer kippen,
umschwenken, sich drehen, gesteuert werden: die Masse.
Die träge, wabernde, dumpfe Masse. Aus Angst, aus Dummheit,
aus Sehnsucht nach dem Gemeinschaftsgefühl, das
die Einsamkeit des Einzelnen mit der Kuscheldecke der simpelsten Parolen
verhüllen soll. Und es ist wie im alltäglichen Gespräch,
das auch immer platter wird, je mehr Menschen daran teilnehmen.

Nein.

Man lasse mich einfach stehen,
wo ich immer gestanden habe:
Draußen. Entfernt
vom Pulk.

Auf beruhigende Weise erfolglos.
Beobachtend. Und
hin & wieder den Kopf
mit ganzem Herzen schüttelnd.


Still & weich

»Ihr Gedicht ist recht ansprechend«,
sagte Einer.

Ich sagte: »Es tut mir leid,
wenn es Sie belästigt hat.

Ich schärfe meinen Texten regelmäßig ein:
›Haltet die Schnauze! Keiner

interessiert sich für Euch. Sprecht
Niemanden an; das gehört sich nicht.‹«

Wenn Blicke einen einliefern könnten,
wäre es jetzt sehr still um mich herum,

und die Wände wären wunderbar weich.


Die Schwalbe

Mitten auf der Autobahn: ein toter
Vogel: eine Schwalbe, glaube ich.
Ich kann mich aber auch irren
bei 130 km/h. Sonst nicht

natürlich. Ich rase
vorbei. Die macht
nie wieder keinen Sommer,
denke ich. Und setze

die dunkle Brille auf.