Tagesarchiv: 25. Januar 2012

Kolbenfresser

Die subjektive Zeit :
ein festgefressener Kolben in einer toten Maschine.
Eine Maschine mit einem Zähler, der
stehengeblieben ist –
Zahlen, die sich nicht mehr verändern ….
Daten, die
für immer bleiben.
Man verrottet immer weiter, aber
das Gefühl
bleibt an diesem einen Punkt stehen –
an diesem einen Zeitpunkt,
als der Kolben sich festfraß &
das Leben ins Stocken geriet ….
Und alles, was man sucht,
sind nur noch diese Zahlen & ihre
Entsprechungen.
Längst passen sie nicht mehr
zu einem,
längst hat man sie
sterbend überholt, aber
obwohl man sie überholt hat,
sieht man sie
vor sich – &
man wird sie vor sich sehen
bis
zum
Ende.


Meine Geheimnisse

Mein bester Freund geht
nach meinem Tod
durch mein Haus, in dem ich
fehle …..
Und er entdeckt
meine Geheimnisse …..
Eines nach dem anderen.
Und er ist
erschüttert
über all das, von dem er
keine Ahnung hatte …..
Damals, als ich
lebte.
Er ist
erschüttert, aber
irgendwann –
irgend
wann
lächelt er.


Der Finger

Er trank einen Scotch nach dem andern,
ich trank nur Kaffee – der nicht schmeckte.
Die Kneipe war ungemütlich & nicht besonders
sauber. Aber sie war die erste, an der wir vorbeigekommen
waren. Und sie war leer.
„Ich werde mir einen Finger abschneiden“, sagte er, „ich
weiß nur noch nicht, welchen.“
„Du spinnst“, sagte ich.
„Nein. Wirklich. Ich werd’s tun.“
„Was soll der Scheiß?“
„Erst wollte ich mich ja umbringen“, sagte er, „aber
dann hätte ich ja nicht mehr mitbekommen, wie sie sich
Vorwürfe macht. Und ich will das mitbekommen.“
„Du spinnst“, sagte ich.
Er schwitzte, und seine Augen glänzten.
„Du wirst es ja sehen. Ich glaub, der Kleine Finger der
linken Hand wäre ok, meinst du nicht?“
„Warum so halbherzig?“ sagte ich. „Wenn sie sich richtig
Vorwürfe machen soll, muss da schon ein bisschen mehr kommen.
Beziehungsweise gehen.
Ein Mittelfinger zum Beispiel, oder ein Daumen.“
„Mach dich nur lustig“, sagte er. „Das wird dir schon noch
vergehen.“
Er trank das Glas leer; bestellte das nächste.
Die weibliche Bedienung lächelte nett, als sie es vor ihn
hinstellte & das leere mitnahm. Wahrscheinlich hörte sie zu.
„Ich bin so blöd“, sagte er. „So blöd. – Eigentlich hat sie doch
von Anfang an die Wahrheit gesagt. Ich hab’s nur nicht geglaubt.
Sie hat gesagt, dass sie scheiße ist, und ich hab gesagt „Aber nein,
das bist du nicht“; wenn ich gesagt hab „Ach, wie süß“, hat sie
gesagt „Ich bin nicht süß“; sie hat gesagt, dass sie aus gutem Grund
keine Freunde hat; dass sie immer alles kaputt macht; dass sie
mich nicht so gern hat, wie ich sie, und und und …. Und das war
mir alles scheißegal, und ich hab’s nicht geglaubt. Ich bin so blöd.“
„Tja“, sagte ich. „Mag sein.“
„Und dabei hatten wir praktisch keine Gemeinsamkeiten; die meisten
Sachen, über die sie redete, interessierten mich gar nicht; alles so
Kleinmädchenkram, das muss man sich mal vorstellen.“
Er kippte den Scotch.
„Scheißgefühle. Verdammte Scheißgefühle. Allein ihr Anblick, ihre
Stimme…. Oh verdammt, ich will, dass sie leidet …. Ich werde mir
den Finger abschneiden.“
„Wie wär’s mit dem Schwanz?“ sagte ich.
„Und du bist auch ein Arschloch“, sagte er.
„Wenn sie so ist, wie du sagst, ist es ihr vielleich sogar egal, was du
dir abschneidest.“
„Nein“, sagte er. „Das glaube ich nicht. So ist sie nun auch
wieder nicht.“
„Auf jeden Fall wirst du länger etwas davon haben als sie. Nur gut,
dass du kein Instrument spielst.“
„Arschloch“, sagte er. Aber
grinsen musste er doch; auch wenn es
etwas verkniffen rüberkam.
„Weißt du, diese verdammte Einsamkeit“, sagte er. „Ich
meine, ich war ja vorher auch einsam, aber jetzt ist es halt
schlimmer. Noch schlimmer.“
„Das ist doch immer so“, sagte ich. „Das gibt sich auch wieder.“
„Ich weiß, aber vielleicht will ich das ja gar nicht.“
„Oh Mann, geht’s noch komplizierter?“
Er bestellte & bekam noch einen Scotch; einen 3fachen.
„Es ist einfach alles beschissen“, sagte er. „Ich
hol mir jetzt noch öfter einen runter als vor der ganzen Sache,
aber … das Dumme ist, dass sie dabei jedesmal in meiner
Fantasie auftaucht … als verdammter Überraschungsgast.“
Die Bedienung hinter dem Tresen tat zumindest so, als
würde sie nicht zuhören.
„Ich sag doch: du solltest dir den Schwanz abschneiden.“
„Ja“, sagte er, „sollte ich. Das sollten überhaupt alle. Wenn’s
nur so einfach wär.“
„Allzu einfach wird das mit dem Finger auch nicht“, sagte ich.
„Ich weiß“, sagte er.
„Und? Willst du ihn ihr dann per Post zuschicken?“
Er grinste. „Daran hab ich noch gar nicht gedacht.“
„Dafür bin ich ja da“, sagte ich, „für die guten Einfälle.“
Seine Rechnung war hoch.
Das Trinkgeld, das er gab, war übertrieben.
Der Kaffee war kalt.
Ich hatte noch mehr gute Einfälle, aber darüber schwieg ich.
Als wir nach Hause gingen, schwankte er ein wenig.
Ich ging zu mir nach Hause, er zu sich nach Hause.
Ich hatte keine Bedenken, ihn
allein zu lassen.