So monströs groß erschien mir
das Bücherregal
im Angesicht meiner Winzigkeit
Davor stand
eine Art Ottomane
Oft wurde ich dort
hingelegt
von meiner Mutter
Ich war fasziniert von
den Bücherrücken
obwohl ich noch nicht lesen konnte
Ich kannte sie alle
in- & auswendig
die Rücken mit den seltsamen Zeichen
wusste genau
wo welches Buch stand
Einige
mochte ich lieber als
andere
Und je älter sie aussahen
desto schöner
fand ich sie
Im obersten Regalfach
ganz rechts nahe der Wand
stand
eine ausgestopfte Eule
Der Blick
aus ihren Glasaugen
ruhte auf mir
Ein bisschen
böse
& sehr
starr
Sie hatte dort schon gestanden
bevor
ich geboren wurde
Sie hatte immer schon
auf die Ottomane gestarrt
Und dann war plötzlich
ich da
& sie zeigte
keine Überraschung
Oder doch?
Vielleicht in meiner
Kleinkindphantasie
Ich fühlte mich
beobachtet
Von
so weit oben
Die Eule stand
über & neben
den Büchern
Tot
verstaubt
doch anscheinend oder scheinbar
unvergänglich
Und der Mann
der all diese Bücher gelesen
& der diese Eule
ausgestopft hatte
war
Mein Vater
Die Eule begleitet mich
durch mein Leben
doch ihr Blick
ruht jetzt
woanders
29. Mai 2012 at 21:40
Erstaunlich. Ganz viele Ihrer Kindheitsbeschreibungen oder -Erinnerungen stimmen überein mit den meinen. Nur habe ich sie nie in Worte fassen wollen, weil ich sie vergessen hatte oder tot schweigen wollte. Und Sie kramen nun das eine oder andere hervor. Das zwingt mich um die Ecke herum, darüber nachzudenken. Das ist jetzt nicht nur auf den aktuellen Text bezogen. Viele andere zuvor auch.