Ich schlief. Ich schlief gut. Ich schlief fest. Traumlos, wie man so sagt, obgleich es traumlosen Schlaf nicht gibt. Dann erwachte ich in meine selbstgebastelte Finsternis. Das Schlafzimmerfenster: mehrschichtig beklebt mit schwarzer Folie; ich muss tagsüber schlafen, ich will tagsüber schlafen, und das geringste bisschen Licht stört mich.
Ich lag also in der Lichtlosigkeit, gut erholt, und fühlte mich trotzdem seltsam. Irgend etwas war anders als sonst. Nur ein Gefühl. Eine Unstimmigkeit. Es war Abend, ich hatte frei.
Liegen bleiben. In die Schwärze starren. Schwitzen. Stille (nur hin & wieder ein Auto) Gedanken bebildern. Leichter Rückenschmerz.
¼ Stunde. ½ Stunde. Schließlich tippte ich einmal auf den Fuß der Nachttischlampe, damit sie auf der untersten Dimmstufe……..
Das Erschrecken war Blitz & Donner zugleich; der Herzschlag ein Trommelgewitter. Ein Mann saß auf dem Stuhl mir gegenüber & sah mich an. Ich richtete mich auf.
„Was soll das … Wer … Was machen Sie hier? Raus, oder ich …“
„Nur die Ruhe“, sagte er. Seine Stimme war dunkel. Er lächelte.
Ein älterer Herr, kurzgeschorene Haare, Stoppelbart, die Kleidung komplett weiss. Dass er in der Finsternis gesessen & ich plötzlich das Licht angemacht hatte, schien keinerlei Einfluss auf seine Augen gehabt zu haben; er blinzelte nicht; es war, als hätte er mich schon die ganze Zeit über beobachtet, in einem anderen, seinem eigenen Licht. Ich tippte nochmals auf die Lampe, es wurde heller.
„Wer zum Teufel sind sie“, fragte ich.
„Du verdankst mir dein Leben“, sagte er.
„Was soll der Scheiss? Wie sind Sie hier reingekommen?“
„Kein Scheiss“, sagte er. „Aber vielleicht hätte ich es besser Existenz nennen sollen. Allerdings in fetten Anführungszeichen.“
„Ah, verstehe, Sie sind der“ (& jetzt ein besonders verächtlicher Tonfall:) „Liebe Gott.“
„Blödsinn. Den gibt’s nicht. Aber mich gibt’s. Und ich bin nur ein ganz normaler Mensch.“
„Na, herzlichen Glückwunsch“, sagte ich, „jedenfalls verschwinden Sie jetzt ganz schnell, sonst rufe ich die Polizei.“
Er grinste (ebenso verächtlich). „Ach ja …. die Polizei ….. kenne ich. Das bringt nicht viel. Ich würde mich an deiner Stelle nicht zu sehr auf die verlassen.“
Ganz entspannt saß er da. Er hatte sich einfach auf meine Klamotten gesetzt, die ich immer auf diesen Stuhl warf.
„Also“, sagte ich, „was wollen Sie?“
„Nichts. Ich wollte nur mal vorbeischauen. Allerdings könntest du hier mal wieder lüften.“
Ein Wahnsinniger …. Bewaffnet? … Nichts zu sehen … Oder bin ich der Wahnsinnige? … Oder der Schlaf ist noch nicht zu Ende? …. Quatsch, sowas gibt’s nur in schlechter Literatur …
„Okay“, sagte ich, „nun haben Sie vorbeigeschaut. Auf Wiedersehen.“
„Ach weißt du, ich komme & gehe, wie es mir passt. Das ist so meine Art.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust.
T-Shirt & Shorts klebten mir am Körper.
„Wollen Sie Geld?“
Er lachte. Laut & ein wenig aufgesetzt.
„Das brauche ich am allerwenigsten“, sagte er.
„Na toll, dann können Sie ja mich finanziell unterstützen.“
„Das könnte ich; aber du brauchst das nicht. Wirklich nicht.“
„Sie meinen, das können Sie beurteilen?“
„Selbstverständlich.“
verrückt verrückt verrückt wahnsinnig
Das Gesicht …. kam es mir bekannt vor? … Es war so ein Allerweltsgesicht, eine Erinnerung an andere Gesichter … ein Gesicht in der Masse … irgendwie vertraut … & doch fremd …
„Ich geh jetzt pissen“, sagte ich.
„Nur zu“, sagte er. Er blieb ruhig sitzen, schaute sich im Zimmer um.
Ich kletterte aus dem Bett & ging über den Flur ins Bad. Ließ die Tür offen; es war mir egal. Mein Schädel war ein Labyrinth; Gedanken- & Gefühlsfäden, heillos durcheinander, führten weder ins Zentrum, noch zum Ausgang.
Wenn ich zurückgehe, wird er weg sein … Zuviel Suff in letzter Zeit … ne Art Delirium wahrscheinlich … Ich will nicht eingewiesen werden! Ich will nicht wahnsinnig sein! …. Nein, ER ist wahnsinnig … falls er noch da ist ….
Die Spülung rauschte. Ich warf einen Blick in den Spiegel (ohne mir die Hände zu waschen) … Ich suchte nach dem wahnsinnigen Blick. Und fand ihn nicht. Dann ging ich rasch die Wohnungstür checken; sie war geschlossen, unbeschädigt. Die Fenster -?: ebenso.
Er wird weg sein….
Ich überlegte, ob ich ein Messer aus der Küche holen sollte. Es erschien mir sinnlos.
Ganz langsam, zögerlich, ging ich über den Flur zurück.
Er wird weg sein …. Er wird weg sein … Und das heißt dann, dass ICH wahnsinnig bin …
Ich näherte mich dem Türrahmen. Der Stuhl, noch sah ich ihn nicht, stand rechts um die Ecke. Ich war leise; barfuß. Das Schlafzimmer erschien im Rahmen … noch nicht der Stuhl … weiter, noch einen Schritt … noch nicht der Stuhl, noch … ich schaute um die Ecke ….
Sein Blick ruhte direkt auf meinem. Kein Zucken der Augen. Er hatte genau gewußt, wo mein Blick erscheinen würde. Meine verschwitzte Haut fror.
„Verdammt, was wollen Sie?“ sagte ich.
„Da ist ein Pissfleck in deinen Shorts.“
Seine Augen: Saugnäpfe auf meinen Augen. Natürlich war da ein Fleck.
„Soll ich deine Verwirrung auflösen? Entwirren?“
Ich ging ins Zimmer. Setzte mich aufs Bett.
„Also?“ sagte ich.
„Es ist sehr einfach“, sagte er. „Ich stelle dich mir vor.“
„Sie meinen, Sie stellen sich mir vor.“
„Nein.“
„Sie sind wahnsinnig.“
Er lächelte. Verständnisvoll.
„Es gibt dich nicht wirklich“, sagte er. „Ich stelle dich vor.“
wahnsinnig wahnsinnig wahnsinnig
„Wahrscheinlich ist es umgekehrt“, sagte ich.
„Nein, ist es nicht. Und dass du real bist, kannst du nicht beweisen.“
„Natürlich könnte ich das; Sie würden es nur nicht mehr mitbekommen. Ich könnte Sie töten, und ich wäre immer noch da.“
„Weil mein Tod nur ein vorgestellter wäre. Du bist ja gar nicht in der Lage, mich zu töten. Weil du nicht bist.“
Ich sagte: „Vielleicht stelle ich mir Sie vor, und stelle mir vor, dass Sie sich vorstellen…..“
„Schon gut, schon gut. Verstehe. 2 Spiegel, die sich gegenüber stehen. Ein Duell. Bilder, die sich gegenseitig bewerfen, abgebildete Bilder, die sich zurückwerfen.“
Ich wusste doch, dass ich so enden würde … In einer Zelle mit mir selbst …
„Du musst glauben, was ich mir vorstelle. Und das kann auch dein Unglaube sein. Alles ist meine Vorstellung.“
„Kenne ich“, sagte ich, „Solipsismus. Ist doch Blödsinn.“
„Meinst du? Ich habe ihn erfunden.“
„Sie sind einfach krank. Die Vergangenheit gibt es also nicht? Die Geschichte ist ihre Erfindung? Die Quantenphysik & schlechte Fernsehserien?“
„Ich mag deinen Humor“, sagte er; „geh kurz raus, für eine Sekunde nur, und dann komm zurück.“
Ich bekam es mit der Angst zu tun. Zögerte.
Er grinste.
Beweise? Ich will keine Beweise …. & ich wüsste nicht mal, was sie beweisen würden …
„Warum nicht?“ sagte ich, als würde es nichts bedeuten.
Stand auf.
Ging raus.
21 … 22 …
Ging zurück.
Er war fort.
Ich zitterte.
Setzte mich.
Zitterte weiter.
Meine Klamotten auf dem Stuhl waren plattgesessen.
Das Ende! Das ist das Ende! Das Ende meines Verstandes! Oder das Ende der Welt, die niemals war.
Es war der Anfang.
Der Anfang einer neuen Zeitrechnung. Für mich.
Sicherungen sind rausgesprungen. Entweder existiere ich nicht, oder ich bin wahnsinnig. Ich mache weiter wie bisher. Aber ich bin nicht mehr derselbe. Denkt er mich jetzt anders?
Menschen. Überall sind Menschen. Tiere. Dinge. Sind sie?
Ab & zu sehe ich ihn wieder. Aber ich spreche nicht mehr mit ihm. Er läuft weg vor mir. Und grinst dabei; höhnisch. Im Supermarkt; auf der Straße; er steht in einiger Entfernung, in seiner weissen Kleidung; die anderen Menschen sehen ihn ebenfalls; er schaut zu mir herüber, und wenn ich auf ihn zugehe, macht er kehrt; verschwindet hinter irgendeiner Ecke. Als hätte er eine Ecke nötig, um zu verschwinden.
Ich muss lernen, dies alles als Freiheit zu begreifen. Entweder Wahnsinn als Freiheit – oder Nichtexistenz als Freiheit. Letztendlich könnte es egal sein …..
Wer hat dies geschrieben?
Wer schreibt hier?
Und wo ist das Ende?
2. Januar 2014 at 07:54
Alter.
Ich meine … ALTER!
[insert eine halbe Minute hilflos vor dem Laptop sitzend here]
Ich weiß nicht, wieso ich ausgerechnet dazu jetzt einen Kommentar schreiben muss. Du hast so viele Texte. Du schreibst immer wieder Dinge, die mich erschüttern, zum grinsen bringen, mich einfach … tief berühren. (So was will ich mit meinen Texten können, übrigens.)
Aber DAS …
Ich weiß es nicht, aber dazu MUSS ich irgendwie etwas schreiben, und 140 Zeichen reichen niemals.
Der andere Kommentar ist wahr: Der Text ist unglaublich stark. Er erschafft eine wahnsinnig (ha. ha.) dichte Stimmung. Man wird in der Atmosphäre gefangen.
Ich weiß nicht. Irgendwie sage ich gerade gar nichts aus.
Aber es musste trotzdem sein.
Weißt du, dass genau DAS ein Thema ist, das mich seit Jahren beschäftigt, über das ich schon Dutzende Male mit Dr. W. gesprochen habe? (Ohne Ergebnis, übrigens. Er sagt, man muss sich mit der Ungewissheit abfinden. Hmm.)
Stark, ja. Danke.
(Ich glaube Nichtexistenz empfände ich als mehr Freiheit, als Wahnsinn.)
*kleinerdrei*
9. August 2011 at 23:10
Stark!