Tagesarchiv: 17. Juni 2014

So kann’s enden

Die Bar war nachtdunkel & verschlossen.
Eine alte Frau mit schwarzgefärbten Haaren saß
auf dem Gehweg davor – schief, im Licht
des gegenüberliegenden Bahnhofs, im
Licht der Ampeln, im Licht des Hotels,
zu dem die Bar gehörte.
»Immer legst du dich aufs Maul«, sagte der Mann.
Wankend stand er neben ihr. Blickte
auf sie herab. Irgend etwas
Unverständliches brach aus ihrem Mund hervor;
sie versuchte aufzustehen, während die Erde
sich drehte. Vergebens. Es war Zu
fall, dass es vor einer Bar geschah; vor einer Bar, die
sie nie betreten hatten. Sie kamen
von einer Hochzeitsfeier. Und waren kurz vorm
Ziel. Dem fremden Bett im fremden Zimmer im
fremden Haus.
3 Mal versuchte die Frau hochzukommen.
3 Mal gelang es ihr nicht. Da griff der Mann zu
& wäre beinahe mit
gefallen.
Drinnen an der Rezeption stand die Braut
in Weiß, der Bräutigam in Schwarz, und
Schwarz auf Weiß füllten sie aus, was auszufüllen war.
Vorschriften,
um in einem fremden Bett in einem fremden Zimmer
diese Nacht verbringen zu können. In einem
fremden Haus. Gegenüber
vom Bahnhof, wo die Züge abfuhren.
Die Braut ging vor
zum Aufzug.
Der Bräutigam folgte ihr.
Als sie im Aufzug stand
sagte sie: »Der Aufzug ist da.«
Der Bräutigam sagte nichts
& folgte ihr erneut.
Die Drehtür setzte sich in Bewegung,
als das wankende Paar den Eingang erreicht hatte.
Die Flügel der Aufzugstür stießen aneinander.
Und der Nachtportier, nachtdunkel & verschlossen,
erfreute sich seiner
Einsamkeit.


Winter des Lebens

Im Winter sind die Menschen stiller
& die Leichen härter

in meiner Vorstellung
Schneegedämpfte Schritte auf
weißen Friedhöfen

frisch Verstorbene
fremd in festgefrorener Erde

Schweigendes Fleisch

Und die Toten
die schon lange tot sind
& die man kannte
haben nichts mehr

was gefrieren könnte

Nichts
als die Erinnerung
der Hinterbliebenen

Alles
Andere zerfällt
oder ist schon längst zer
fallen

Im Winter sind die Menschen stiller
& die Leichen härter

So stelle ich ihn mir vor: den
Winter des Lebens.

Wenn auch das Leben
stiller & härter
wird

mitten im Ver
Fall


Jazz oder Easy Listening?

Manchmal, beim Zuhören,
verwechselte sie Jazz & Easy Listening
miteinander.

Natürlich: die Grenzen sind fließend.
Noch fließender fürs ungeschulte Ohr.

Sie verwechselte zumeist
das Schwierige mit dem Einfachen –
als wäre das scheinbar Einfache nicht schwierig.

Das erinnert mich
an unsere Gespräche. Wenn sie
mir zuhörte. Wenn ich
ihr zuhörte.

Fließende Grenzen
zwischen Worten & Schweigen
zwischen dem Schweren & dem Leichten
dem Einfachen & dem Schwierigen

Fließende Grenzen

Miteinander
Ineinander
verfließend

& dann
verflossen.