Tagesarchiv: 24. Juni 2014

Bitte nicht klopfen!

Bitte nicht klopfen!

besagt das Schild, das an meiner Haustür
schweigt. Die Klingel hat einen Wackel
Kontakt. Sie klingelt nur im Ausnahme
Fall. Die Vernünftigen haben einen ganz besonderen
Druck. Wenn sie meinen Knopf berühren. Da
schließt sich kein Stromkreis – & alles bleibt still.
Und wenn jemand sagt: »Nun bleib mal
auf dem Teppich!«
– dann tue ich das.
Ich bleibe. Groß ist der Teppich, und
er trägt mich….. wohin auch im
mer…. & erträgt mich, wenn es sonst
niemand kann…..

Fransen flattern im Flugwind
Frischbelüftetes Farbengewebe
Tag & Nacht verfliegen in raschem Wechsel
während ich sitzend auf die Erde herabschaue
oder liegend ins Himmelmeer tauche
Ein Stück kühle Wolke reiße ich mir aus dem Bausch
& betupfe meine Stirn damit – es riecht nach
einem Traum vom Regen
Die Sonne ist laut, und der Mond flüstert, und
manchmal ist da eine Stewardess in knapper Uniform,
die auf allen Sechsen übern Teppich krabbelt, stock
nüchtern bin ich – während der Fotzensaft der Fantasie ins Gewebe tropft……
Auch jetzt ist sie da; es ist Tag, und sie erklärt mir die Notausgänge:
Teppichsaum links  Teppichsaum rechts  Teppichsaum vorne  Teppichsaum hinten!
Und sie deutet auf eine eingewobene Inschrift:
Bitte nicht klopfen während des Fluges!
Ich fühle mich wie der Dieb von Bagdad, und was ich
gestohlen habe, ist die Zeit – die mit mir fliegt
Versäumte Saumseligkeiten…. Unter mir:
die Vergangenheit in Kindergröße, ich über
fliege sie wie das Buch eines Toten – über
das man nicht hinwegkommt…..
»Tomatensaft?« – »Wer denkt denn jetzt an Tomatensaft?
Ich zeig dir, wo der Tomatensaft herkommt, du Sau!«
Wir lachen. Das ist es
was übrig
bleibt:
das Lachen.
»Schau, da oben schwimmt die Zukunft.«
Wer
hier Was sagt, ist völlig egal.
Einem Fliegenden Teppich kämmt man nicht die Fransen.
Und es rutscht der Saum ihrer Uniform. Auf
wärts. »Zieh sie aus, ich weiß auch so, wer & was du bist.«
»Später«, lautet die Antwort.
»Ja, gibt’s denn sowas?«
»Manchmal.«
Und wenn man ganz leise ist, kann man hören –
wie der Raum sich krümmt –
vor Lachen

Einstein, Einstein, Alles muss versteckt sein!
Lass uns weiter fliegen
In der gestohlenen Zeit
Die Luft  Das Licht  Die Bewegung  Die Weite
endlich im unendlichen Universum oder
umgekehrt
und unten steht vielleicht jemand
vor meiner Haustür & verhält sich
vernünftig…..
»Wurdest du schon mal mit einem Teppich
klopfer vermöbelt?«
»Ja, das Muster ist noch da, ich kann es dir zeigen,
später.«
»Ja, gibt’s denn sowas?«
»Manchmal.«
Ein Abdruck im weichen Bindegewebe der Erinnerung
Auch der Teppich hat ein Muster
gewoben aus Wollen
verschiedener Art
Ein Vogel kreuzt die Teppichbahn (zieh
deine Federn aus, ich weiß auch so, wer & was du bist), er
schaut verdutzt & taucht hinauf ins Meer
verschwindet im Gewölk, das Nebel für ihn ist
Da drängt sich eine Frage auf: ist Dies
vielleicht ein Gobelin?
Das Muster könnte auch ein Bild sein
Einerlei – ob Wand, ob Boden
Die Grenzen sind auf
gehoben
(in einer Vitrine – verschlossen)
& offen
»Im Haus meiner Großeltern gab es einen Klopfer
aus Messing.«
»Das muss sehr schmerzhaft gewesen sein.«
»An der Tür. Ein großer Ring aus Messing.«
»Auch Türen haben Gefühle. Das muss sehr schmerzhaft gewesen sein.«
Lachen
Wind im Haar der Flugbegleiterin
»Weißt du, worauf dies Alles hinausfliegt?«
»Ja.«
»Und – bist du traurig?«
»Nein.«
»Das ist gut.«
»Ja.«
»Musik wäre schön.«
»Sie
ist schön. Denn ich höre sie auch so.«
Langsam wird die Sonne rot
& leise
Tomatensaft & ein Lachen & ein wenig Blut
am Himmel
Die Zeit verfliegt
verfliegt uns
& kennt doch stets die Richtung
Schau nicht nach unten
Sonst wird dir schwindel
ich
»Jetzt?«
»Ja.«
»Zieh dich aus. Ich weiß auch so, wer
& was du bist.«
Wie ruhig der Teppich fliegt
Kein Schlingern, kein Absacken in
unsichtbaren Luft
Löchern….. Kein Wackeln im Luft
Strom…. Das Gewebe trägt uns
Erträgt uns, macht Alles
erträglich
während sich schließt, was ein Kreis werden will –
Und die Begleiterin schlüpft
aus ihrer Uniform
so schön
so schön
& dann – nackt – ist sie anders
als jedes Klischee, als jede
Vorstellung
Kein Stundenglas, und keine Hippe –
kein Gerippe, nur weiche Linien & Schönheit
und sie kommt
ganz nah
und sie beugt
sich hinab
und sie flüstert
in meine Brust hinein

»Bitte nicht klopfen.«