Tagesarchiv: 23. August 2014

Nachts fahren hier keine Züge

 

Die Lichter des Bahnhofs leuchteten auf der anderen Seite
der Straße. Ich betrachtete sie
durch die Fensterfront des Hotels.
Die Bahnhofsuhr war verdeckt durch einen Pfeiler.
Ich saß still
hinter dem Empfang
des Hotels.
Ich hätte mich bewegen müssen,
um die Uhr ablesen zu können.
Aber ich wollte mich nicht bewegen.
Ich wusste, es war zu spät
für die letzten Züge –
& zu früh
für die ersten.
Denn nachts fahren hier keine Züge.
Mehr brauchte ich nicht
zu wissen.


Ausschlachtung

 

Im Anfang war das Wort.

Und dann kam lange
Nichts.

Eine Frau schrieb mir. Sie war er
bost: »Du schlachtest Leben
aus. Um dich herum. Du ergreifst
von allem Besitz; von allen
Informationen, die du bekommst.
Wie ein Virus
kriechst du in jeden Winkel.«

Es sollte ein Vorwurf sein.
Und doch – auch wenn es vielleicht nicht bis zur letzten
Konsequenz zutraf – fühlte ich mich

geschmeichelt.

Besseren als mir
hatte man das Gleiche vorgeworfen; zum Teil
mit den gleichen Worten. Die Metaphern &
Vergleiche widersprachen sich, aber das war in Ordnung.

Schlachten
Infizieren
Auf- & Aussaugen

Warum zum Teufel
sollte jemand denn sonst mit dem Schreiben anfangen?
Es geht doch aus
schließlich ums Leben. Oder sollte darum gehen. Um das eigene
& um das der Anderen, die das eigene berühren – wie auch

immer.

Das Leben dieser Frau hatte mich
berührt. Mich – & mein Leben. Wenn auch nur
kurz. Und jetzt habe ich sie also zitiert. Schon wieder! Und es fühlt
sich gut an. Verdammt gut. Natürlich habe ich ihre Worte aus
dem Zusammenhang gerissen. Schon wieder! Denn der Zusammenhang

ist zu groß. Der Zusammenhang ist stets zu groß. Stets nimmt er
zu viel Platz weg. Man muss Raum lassen
für Fehlinterpretationen. Ja, so wird es
bleiben. Schon oft habe ich gewarnt. Ich kann nur
erneut warnen.

Im Anfang war das Wort.

Da ist es noch

immer.

Dann kommt lange
Nichts. Und ich
schlachte weiterhin

aus.