Tagesarchiv: 15. Juni 2011

London

Wir saßen in Southwark vor einem Bistro & warteten aufs Essen. Holztische; harte Bänke. Früher Abend, blauer Himmel, Wärme. Um uns englische Konversation.
„Wie alt bist du nochmal?“ fragte sie.
„49.“
Sie war 23.
„Also, mein Vater hat mit 49 nicht so ausgesehen. Jetzt isser 65.“
„Dann hat er wahrscheinlich gesund gelebt“, sagte ich. „Es gab Zeiten, da hat man mich auch 15 Jahre jünger geschätzt als ich tatsächlich war.“
„Na, die Zeiten sind vorbei.“
Ich musste lachen.
„Ich finds ok, wenn man sich im Aussehen Keith Richards annähert“, sagte ich.
Sie hatte ein Album der Stones dabei, dass sie sich ein paar Stunden zuvor auf dem Camden-Market gekauft hatte. Sie trug schwarze Shorts & ein Cradle-of-Filth-T-shirt; Springerstiefel.
„Immerhin bin ich noch da“, sagte ich. „Mit 20 hat mir mal ein Arzt gesagt, dass ich keine 30 würde, wenn ich mein Leben nicht ändere. Und damals habe ich noch vergleichsweise gesund gelebt.“
Sie trank einen Schluck Bier. Stellte das Glas auf das dunkle Holz zurück.
„Du solltest es nicht übertreiben“, sagte sie.
„Das Wort gibt es in meinem Wortschatz überhaupt nicht.“
Sie drehte sich noch eine Zigarette. Ich beobachtete sie gerne dabei. Ich mag es, wenn Frauen sich Zigaretten drehen; ich sehe so gern, wenn sie am Papier lecken. Gerade als sie damit fertig war, kam ein junger Typ an unseren Tisch & fragte sie, ob er sich auch eine drehen dürfe. Er sprach Englisch mit französischem Akzent. Sie reichte ihm Tabak & Papier. Er machte das sehr geschickt, sehr schnell. Das Lecken fand ich bei ihm weniger interessant. Schließlich zündete er die Zigarette mit ihrem Feuerzeug an, bedankte sich vielmals & ging weiter. Er war ungefähr in ihrem Alter gewesen.
Ich sagte: „Der hat bestimmt gedacht: Die sieht ihrem Vater aber gar nicht ähnlich.“
„Du meinst Großvater.“
„Arschloch.“
Lächelaugen. Wunderschön. Die Abendsonne.
„Aber sonst geht’s dir gut?“ fragte sie. „Ich meine, gesundheitlich. Im Ernst jetzt.“
„Wie einem Gänseblümchen. Wenn man älter wird, werden die Körperöffnungen, aus denen man nicht blutet, halt immer weniger.“
„Danke für die Info.“
Das Essen kam. Sie hatte einen riesigen Burger bestellt, der ihr am nächsten Morgen einen wunderbaren Durchfall bescherte. Ich bekam einen Berg von Nudeln. Sie rauchte & aß parallel.
Ich esse ungern in Gesellschaft. Was Leute am Essengehen finden, habe ich nie begriffen. In Gesellschaft esse ich extrem langsam. Ich bin immer der Letzte. Und Essensgeräusche hasse ich sowieso.
„Was machen wir nachher?“ fragte sie.
„Wir könnten nach Soho, ist ne nette Gegend; da war ich vor ein paar Jahren schon mal.“
„Und was gibt’s da?“
„Nutten, Drogendealer, Waffenhändler, Clubs, Schlägereien, Betrüger.“
Sie nahm einen Bissen von ihrem Burger. Einen großen Bissen. Was das Essen anging, machte sie keine Gefangenen. Dann wieder einen Zug aus der Zigarette.
„Klingt gut“, sagte sie. Manche dürfen in meiner Gegenwart mit vollem Mund sprechen. Sie durfte.
„Ich liebe solche Gegenden“, sagte ich. „Und im Gegensatz zur Reeperbahn stehen da nicht irgendwelche alten Kerle vor den Clubs, die einen zum Reingehen animieren wollen, sondern hübsche Frauen in kurzen Röcken.“
Sie lächelte. Sie stand auch auf Frauen. Mochte sie einen Tick lieber als Männer.
„Einmal hat mich da ein Schwarzer angesprochen & mir alles Mögliche angeboten. Alles an Drogen, Waffen, Menschenmaterial; schließlich noch Hunde, die aufs Ficken abgerichtet sind. Seh ich so aus?“
Sie betrachtete mich abschätzend.
„Na ja“, sagte sie grinsend.
„Pass auf, was du sagst.“
„Und? Was hast du dem geantwortet?“
Not today, maybe tomorrow. Er hat sehr nett gelächelt & war sehr höflich. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, find ich’s seltsam, dass er keine Pferde im Angebot hatte. Oder Aale.“
„Der Abend ist gerettet“, sagte sie.
„Ich fürchte, deine Anwesenheit wird solche Straßenhändler abschrecken.“
„Wir werden sehen. Iss mal n bißchen schneller. Dein Teller wird ja immer voller, ich bin gleich fertig.“
Ich trank einen Schluck Rotwein & gab mir dann wieder mit dem Essen Mühe.
Ich hätte mir diese Reise selber nicht leisten können. Wir wohnten in einem 5-Sterne-Hotel. Ich hatte sie dafür bekommen, dass ich 20 Jahre lang einen Job durchgehalten hatte. Und sie war dort ein paar Jahre zuvor Azubi gewesen.
Es ging mir verdammt gut. Dies war ein perfekter Tag.
Und der späte Abend konnte sich auch sehen lassen.
Abgesehen vom Ende.
Aber das haben Enden so an sich.


Wörter

Bestimmte Wörter zu benutzen
hasse ich
Manchmal muss ich es tun
damit andere Menschen
ungefähr
erahnen können
was ich meine

Es sind Wörter
die jeder anders versteht

Wörter
die überlastet sind durch
Tradition

So gesehen müsste
die Liste dieser Wörter noch
viel länger sein

Aber ich bin inkonsequent

Trotzdem
ich werde diese Wörter hier nicht auflisten

Denn ich hasse es
sie zu benutzen