München unter schwarzem Himmel. Neonreflexe auf meinen Brillengläsern. Seit Stunden hörte ich den Takt meiner Absätze. Einfach laufen, nicht schlafen. Ich hatte 5 Euro in der Tasche. Das Hotel hatte ich vorab bezahlt, das Ticket für die Rückfahrt lag im Koffer, alles andere war egal. Keine Ahnung, was mit meinem Gesicht los ist, aber wenn ich so unterwegs bin, werde ich ständig angesprochen. Aus einer Menschenmasse werde ich herausgepickt. Ich werde nach Wegen gefragt, ausgerechnet. Ich kenne keinen Weg. Nirgends. Namen interessieren mich nicht, schon gar nicht Straßennamen. Ein Schwarzer, der kein Deutsch sprach, wollte einen Brief verschicken; er fragte mich, wieviel Porto er darauf kleben müsse & bat mich, ihm am Marken-Automaten behilflich zu sein. Er bedankte sich herzlich. Ausgerechnet ich half also einem Menschen, mit einem anderen Menschen in Kontakt zu treten; ich fand das komisch & grinste zurück.
In fremden Städten schlafe ich nie mehr als 3 Stunden. Ich laufe Tag & Nacht herum & esse fast nichts. Wenig Schlaf, wenig Geld, viele Eindrücke.
In einer der dunkleren Straßen wurde plötzlich mein Takt von einem anderen, schnelleren Takt übertönt. Das Geräusch war sexy, also drehte ich mich um. Die Absätze waren hoch & überquerten die Straße in Richtung eines Clubs, den ich gerade passiert hatte. Kurzes schwarzes Kleid, lange blonde Haare, leuchtende Schultern & Beine. Bevor sie im Eingang verschwand, warf sie mir ein Lächeln zu, das so knapp war wie ihr Kleid.
Ich ging weiter. Das fremde Lächeln, es kochte in meiner Einsamkeit. Ich ging weiter. Verdrängte den Gedanken, es könnte ein Profi-Lächeln gewesen sein. Weiter. Die Schritte langsamer, der Puls schneller. Dann blieb ich stehen. Ich kehrte um.
Mit Tunnelblick ging ich hinein. 5 Euro in der Tasche. Gleich rechts hinter dem Eingang war eine Theke, an der 5 oder 6 Frauen saßen. Alle schauten mich an, sie war nicht dabei. Ein paar muskelbepackte Aufpasser waren strategisch verteilt; Gäste sah ich 2 oder 3 an den Tischen. Hinten links gab es eine weitere Theke, wo niemand saß. Dort nahm ich Platz. Dahinter eine lächelnde Dunkelhaarige. Vor bunten Flüssigkeiten, die ich mir nicht leisten konnte.
„Was darfs sein?“
„Eine kleine Cola“, sagte ich.
Sie nahm ein Glas & holte eine Flasche, die mir winzig erschien. Schenkte ein & stellte das Glas vor mich hin.
„Das macht 5 Euro bitte.“
Ich reichte ihr den Schein.
Sie sagte: „Nicht böse sein, dass ich vorab kassiere, aber das müssen wir hier.“
„Kein Problem“, sagte ich.
Eine von den Frauen, die ich vorne gesehen hatte, setzte sich neben mich. Blond, in weißen Hotpants.
„Hallo.“ Schon das Hallo klang osteuropäisch. In dieser Nacht störte mich das aus irgendeinem Grunde.
Ein bißchen Gespräch plätscherte hin & her. Sie berührte mein Knie mit der Hand.
Sie sagte: „Wir können etwas trinken, und dann gehen wir nach hinten.“
Ich sah die Tür hinter ihr. War das schwarze Kleid dorthin verschwunden? Wenn doch sie jetzt hier wäre, dieses Lächeln jetzt hier wäre. (Und dann? Es würde dir kein Geld in der Hose wachsen.)
„Ich warte noch auf einen Kumpel“, sagte ich. „Wir haben uns hier verabredet.“
Nippte an meiner Cola. Es arbeitete hinter dem Gesicht über den weißen Hotpants. Sie taxierte mich. Zweifelte.
„Ok, solange geh ich dann mal.“ Und weg war sie.
Nach einer halben Minute saß eine Dunkelhaarige neben mir. Sie war der Konversations-Profi. Schwächerer Akzent. Touristengeplauder. Fragte mich, was ich denn schon gesehen hätte, sagte mir, was ich unbedingt noch sehen müsse, erzählte mir, was sie in den letzten Tagen in ihrer Freizeit unternommen hatte.
Und schließlich tischte ich auch ihr die Story von dem Kumpel auf.
„Ok“, sagte sie, „dann hol ich noch eine Kollegin dazu, und wir gehen zu viert nach hinten.“
Hinten hinten hinten, kreiste es durch meinen Schädel. Ich stellte mir das schwarze Kleid vor, wie es am Boden lag.
„Darf ich was trinken?“ fragte sie.
Verdammt, da hatten wir’s. Und meine Cola war auch schon alle.
„Sekunde“, sagte ich, „ich check grade mal, wo der bleibt.“
Ich holte das Handy aus der Tasche. Hielt es so, dass sie nicht darauf schauen konnte. Tastete darauf herum.
„Mist“, sagte ich. „Kein Empfang.“
Du blöder Loser, fuhr es mir durch den Kopf.
„Komisch“, sagte sie.
Ja. Komisch, um nicht zu sagen lächerlich, peinlich, armselig.
Sie wußte, was los war.
„Ich probier’s grad mal vor der Tür“, sagte ich & stand auf.
Ich wollte ihren Blick nicht sehen, aber ich sah ihren Blick. Und sie war wirklich sehr liebenswürdig gewesen.
Ich fühlte, Köpfe wandten sich mir zu, als ich mich auf den Ausgang zubewegte. Loser.
Irgend jemand sagte: „Moment.“ Eine Frau sagte es. Aber diesen Moment hatte ich nicht mehr. Ich ging hinaus.
Draußen fragte ich mich, ob mir jemand folgen würde. Blödsinn. Sowas erlebten die sicher ständig. Es gibt so viele Loser auf der Welt. Entweder ist es Angst, oder es ist kein Geld, oder es ist beides. Oder es ist irgend etwas anderes.
Null Euro in der Tasche. Der Himmel war nicht schwärzer als vorher. Der Absatztakt beruhigte sich. Das Lächeln würde mir bleiben; der Blick über die leuchtende Schulter hinweg. Baudelaire … ich dachte an mein Lieblingsgedicht … A une passante ….. Ich ging weiter. Ging vorüber. Vielleicht würde mich wieder jemand nach einem Weg fragen. Nach irgend einem Weg, den ich nicht kannte.
Irgend etwas war mit meinem Gesicht.
2. Mai 2011
5 Euro
Von flederzombie
Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am Montag, 2. Mai 2011 um 04:33 und getaggt mit Einsamkeit, Erotik, Kultur, Sex, Stories und veröffentlicht in Alles, Autobiographische Prosa. Du kannst den Antworten zu diesem Eintrag per RSS 2.0-Feed folgen.
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Hab´ niemandem nie nichts nachgemacht
Und - lachte noch jeden Meister aus,
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„Meine kleinen Gedichte Kommen wie kleine Blumen mir vor, Lauter winzige Wichte, Aber zusammen doch ein Flor, Und hervor Aus dem Chor Blicken Vergißmeinichte.“ (Friedrich Rückert)

