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Der Rock vor dem Fenster

 

Vor meinem Badezimmerfenster, das ein schmales Recht
Eck im Querformat ist, hängt ein

zer

schnit

ten

er

Rock an
Stelle eines Vorhangs. Transparent, schwarz, mit wenigen
bunten Streifen. Vor Jahren nagelte ich ihn
an den Rahmen. Ob er jemals getragen wurde, weiß ich
nicht. Er stammt aus dem Nachlass einer Toten.

Wenn es an der Haustür klingelt steige ich
in die Badewanne & schaue durch den Rock. Aufgrund
meines Blickwinkels kann ich nicht sehen wer dort draußen ist – bis
derjenige sich entfernt. Erst dann entscheide ich
ob ich mir eine Hose anziehe – & öffne.

Man mag mich
exzentrisch finden. Besser ist es
gar nicht gefunden zu werden.

Es klingelte.

Morgens.
Ich lag im Bett & verfolgte den Lauf der Kugeln
auf einem Snooker-Tisch in Shanghai. Ich mag
die Physik. Einfallswinkel = Ausfallswinkel. Etc…. Außerdem
wird wenig geredet. Auch das mag ich. Als

es klingelte
lagen noch 67 mögliche Punkte auf dem Tisch.
Rot x 8 + 27 lautet die Formel. Ich verließ
das Bett & ging in die Badewanne.
2 alte Frauen entfernten sich. Ich glaubte

das weiße Frisurengewölk ihrer Hinterköpfe
zu erkennen. Die wollten doch bestimmt schon wieder
über Gott sprechen. Ein Thema, von dem ich so gar
keine Ahnung haben will. Einige Male
war ich nett & höflich zu ihnen gewesen an

statt mit umgedrehten Kreuzen zu hantieren & Erbsensuppe
zu spucken. Deshalb mochten sie mich vermutlich. Wie ich
die Physik. Einfallswinkel = Ausfallswinkel. Immer
sind es die alten Frauen, die bei mir klingeln….. Nun gut,
nicht

immer. Die Jünger
en klingeln einfach seltener. Dafür haben sie die interessanteren
Motive. Und ich muss ihnen nicht meinen Atheismus erklären.
Gott sei Dank! Durch den schwarzen Stoff des nachgelassenen
Rocks sah ich sie

verschwinden. Es war schwül
in Shanghai. Das beeinflusste den Lauf
der Kugeln. Es machte sie schwerer
berechenbar. Ich kletterte
aus

der Badewanne & ging wieder
ins Bett. Auf dem Tisch
hatte sich ein anderes Bild
ergeben. Weniger Rot. Das heißt: es waren weniger
mögliche Punkte

übrig. So ist das
ja immer.


Traum los!

»Ich habe nicht geträumt«,
sagte der Erwachte
nach langem Schlaf

Er kannte
weder Wissenschaft
noch Forschung

Zu tief
hatte er geschlafen
um sich erinnern zu können

»Ich bin kein großer Träumer«, sagte er
& glaubte doch
an Gott

Ich
schlafe schlecht & erinnere mich
an Alles

Daher brauche ich
an die Träume nicht
zu glauben

Ich wache
oft & kenne sie

Ich ungläubiger Mensch
bin ein großer
Träumer

rein
rational
betrachtet

Amen!


Die Zahnpastaspritzer auf dem Spiegel

…. bilden ein Muster
das zufällig scheint

ohne es zu sein.

Und es bedeutet
Nichts.

Keine Religion.
Keine Leidenschaft.

Reine Physik.
Wissenschaft.
Notwendigkeit.

Unter den gegebenen Umständen
konnte sich kein anderes
bilden.

Mit etwas Liebe
könnte man Etwas hinein
interpretieren

in dieses Muster.

(Vor allem
wenn man es nicht selber verursacht hat.)

Doch das wäre
SCHON WIEDER
Kitsch!


Nichts als Dampf

Manchmal
setzte ich mich mit einem Reclam-Heft oder
einem Donald-Duck-Comic
in irgendeine Ecke
des menschenleeren Schulhofs;
manchmal
ging ich in den nahegelegenen Plattenladen, um
in den Singles zu stöbern.
Meistens aber
lehnte ich mich gegen das Geländer meiner liebsten
Eisenbahnbrücke & schaute hinab
auf die Schienen.
Ich war der einzige Schüler der Grundschule, der
(was damals ungewöhnlich war) regelmäßig
1 oder 2 Freistunden hatte.
Und jeder Atemzug dieser Stunden hatte
einen besonderen Geschmack.
Frei.
Frei.
Frei!

Ich schaute hinab,
kannte jede Maserung, jeden Riss in den alten Holzschwellen;
und der Schotter im Gleisbett bedeutete mir mehr als
die Kiesel am Meeresstrand.
Ich wartete.
Wartete auf mein Verschwinden.
Wartete auf das Verschwinden der Welt um mich herum.
Manchmal
erblickte man den Dampf – bevor man die Lokomotive sah oder hörte;
manchmal
hörte man die Lok – bevor man sie oder den Dampf sah;
und manchmal kam alles gleichzeitig.
Das Rollen, das Donnern, das Rattern, das Scheppern, das Zischen …..
Der Klang der Ferne, die sich näherte.
Die Vorfreude.
Gewölk aus einem fahrenden Schornstein kam auf mich zu;
eine künstliche Nebelbank zum Ausruhen & Vergessen.
Und dann sah ich nichts mehr.
Alles weiß
um mich herum.
Ich selber:
unsichtbar für alle Anderen.
Der einzigartige Geschmack des Dampfes.
Die Wonne der verlorenen Orientierung.
Frei.
Frei.
Frei!

Ich
allein.
Im Nebel, der
begreifbar war.
Ich atmete ihn ein.
Atmete tief.
Wie im Rausch.
Während den Anderen
in einem stickigen Schulzimmer,
das ich nur zu gut kannte
& gar zu sehr hasste,
irgendeine Religion
eingetrichtert wurde.


Der Glaube

Ich glaube
wer glaubt
der Tod sei
nicht
das Ende
neigt noch mehr als
alle Anderen
zur
Vergeudung von Zeit

Nein –
ich glaube es nicht –
ich denke es

Denn
Eines weiß ich:

Ich glaube
an
Nichts.