Spiegelkuss & Wolke mit Ei

Elektrisches Insekt
Spiegelkuss im Aufzug
Weißwankende Wolke
Buntes Ei auf Empfang

Zusammenhanglos oder lose zusammenhängend?

Ich hasse das Geräusch des Ventilators im Aufzug.
Nachts hallt es durch die Hotelhalle
wie das Gesumme eines stromgefütterten Insekts:
stechend, störend, nervend.
Es stört mich beim – nennen wir’s ‚Arbeiten’;
aber auch bei allerlei wichtigen Untätigkeiten.
Ich kann ihn ausschalten so oft ich will –
irgendein Mensch (vermute ich) schaltet ihn wieder ein.
Essummtessummtessummtessummt – also
gehe ich zum Lift, greife
nach dem Kippschalter…..
Jemand hat den Spiegel geküsst!
Den Spiegel im Aufzug.
Mit dunkel bemalten Lippen….
Der Abdruck des Kusses wandert über mein Abbild,
wenn ich mich bewege.
Ich hasse Lippenstift. Den Geschmack des Künstlichen.
Doch ich liebe
die Abdrücke – Lippenmalerei
auf Glas, auf Zigaretten, auf meiner Haut.
Die Linien; die Lücken; die Öffnungen.
Eine Erinnerung.
Die mich bewegt.
Wer hat den kalten Spiegel geküsst?
Ich weiß es nicht – & werde es nie erfahren.
Nur ihre Größe kann ich erahnen; die Höhe ihres Mundes;
die Fülle ihrer Lippen (natürlich: ich kann mich täuschen –
wie so oft; doch solange mir Wahrheit & Wirklichkeit nicht
dazwischenfunken, habe ich recht. Und niemand sonst.).
Kipp! Es wird ruhig. Der Schalter steht wieder oben.
Und ich setze mich hinter die Rezeption. Träume dem Kuss hinterher.
Einsam – selbstverliebt – übermütig – wie war sie gewesen?
Während der Fahrt durch die Nacht bitte nicht mit dem Nachtportier reden!
Aber keine Sau hält sich an die Regeln der Träumer.
Die Drehtür fächert eine alte Frau ins Hotel.
Die Frau wankt. Ihre Frisur: eine leuchtend-weiße Schäfchenwolke;
jederzeit könnte sie anfangen zu schneien.
»Gibt’s hier noch was zu trinken?«
»Nein«, sage ich.
»Dassissblöd«, sagt sie.
»Tja. Da ist noch die Minibar.«
»Nee – alleine trinken macht kein´ Spaß.«
(Wie wenig ihre Erscheinung & ihr Alter zu ihrer Trunkenheit passen,
denke ich – & weiß, dass dieser Gedanke unsinnig ist. Immerhin:
sie trinkt nicht allein.
Fast klang es wie eine Einladung. Doch
ich trinke nicht mehr. Und als ich noch trank, tat ich es allein.)
»Ich hab meine Zimmernummer vergessen, können se ma grade gucken?«
(Ob ich grade gucken kann? -)
»Ich vergesse meine auch immer, wenn ich zurück in den Knast muss«, sage ich.
Sie lacht. Rauh, besoffen.
Ihr Lippenstift ist grell.
Sie sagt mir ihren Namen; ich sage: »Drei Null Acht. Dritter Stock, rechts.«
»Dann nehm ich mir noch ein Ei.«
Und sie greift zu.
Erwähnte ich, dass es auf Ostern zugeht?
Also: es geht auf Ostern zu. Karwoche.
Ein grünes Nest steht auf dem Empfangstresen.
Bunte Eier, hartgesotten.
Sie nimmt sich das gelbe. Symbolträchtig.
Sagt »Gute Nacht« – & wankt zum Aufzug.
Ich sehe ihren bewölkten Hinterkopf.
Ob sie den Kuss sehen wird?
Sie dreht sich nochmal um…. »Zweiter Stock?«
»Nein, dritter.«
»Zwei Acht Null?«
»Nein – Drei! Null! Acht! Dritter Stock. Rechts.«
»Ah ja.«
Und sie verschwindet in der Kabine.
Allein. Mit ihrem Ei. Und dem geküssten Spiegel.
Es zieht sie hinan. Mit Ruckelgeräusch. Auch der Aufzug
ist nicht mehr der jüngste.
Sie könnte die Größe der Küssenden haben, und wenn sie
in den Spiegel schaut….

Nächtliche Gedanken. – Vielleicht war es
ein Transvestit, der seinen Abdruck hinterlassen hat?

Die nettesten Gespräche habe ich oftmals mit Transvestiten
mitten in der Nacht.
Ach ja – die Romantik!
Am frühen Morgen
wird die Putzfrau
kommen. Und manchmal
summt sie
beim Wischen.
Ich schwärme ein bisschen für sie –
& mag ihr Summen.
Doch mit dem Kuss
im Aufzug
wird es dann vorbei sein.
Und vermutlich hat die alte Frau
gerade jetzt – auf dem Weg nach oben –
den Ventilator eingeschaltet; und vielleicht
schneit es nun
auf ihre Schultern.


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