Tagesarchiv: 22. Dezember 2013

Hau mir ab mit Connie Francis!

Der Fusel verzog sein Gesicht.
Soll heißen: Der Mann verzog sein Gesicht, als
er den Fusel in sich hineinschüttete.
(Immer diese Mehrdeutigkeit
der Sprache! Immer diese Mißverständnisse.)
Eigentlich hätte ich
dieser Mann sein sollen.
Billigen Liebeskummer ersäuft man am besten
mit billigem Schnaps.
Grüner Tee ist da eher nutzlos
& uncool – aber
wäre ich dieser Mann gewesen,
hätte ich keinen Liebeskummer gehabt; dann
wäre der Grüne Tee angemessen gewesen, aber
ich hätte ihn nicht getrunken….
Ach, was weiß denn ich. Es ist kompliziert.
Ich war schon bei der zweiten Kanne; draußen
war es längst dunkel, und jedes Möbelstück in meinem Haus
sah aus, als sei es von IHR berührt worden. Wie ich.
Die leise Rieselmusik aus dem Radio barg die Gefahr in sich,
dass jederzeit das falsche Lied gespielt werden konnte; in
Phasen wie diesen ist es daher gut, wenn Unser Lied
niemals ein Hit war. Das erhöht die Chancen
davonzukommen.
Die Konversation stockte.
Ich hatte ohnehin schon genug gesagt. Eigentlich
habe ich immer das Gefühl, genug gesagt zu haben –
selbst wenn ich schweige. Und da ich
mir ständig widerspreche, sagte ich nun wieder etwas:
»Verdammt, ich möchte auch mal Glück haben. Und
ich meine nicht: im Spiel. Ich hasse Spiele!«
»Du redest wie ein Besoffener«, sagte er.
»Das ist das Gute«, sagte ich, »nach Jahrzehnten
der Sauferei braucht man keinen Alkohol mehr, um
zu denken, zu fühlen & zu reden wie ein Besoffener.
Man hat alle Zustände in sich gespeichert.«
»Na, Herzlichen Glückwunsch.«
»Danke.« Ich stellte die Tasse ab
als sei sie ein leeres Whiskyglas. Das erschien mir
lächerlich. Und daher
passend.
In dem Spiegel, der neben dem Bücherregal hing,
konnte ich nur mich sehen. Ich war allein
in seinem Bild. Und natürlich
kam mir der Gedanke:
Dieses Spiegelbild entspricht der Wahrheit mehr
als die Wirklichkeit.

Alles
eine Sache des
Blickwinkels.
Die Stimme des Mannes, der
ich hätte sein sollen, klang
unsicher.
»Und überhaupt«, sagte er, »das ist doch
alles Quatsch – Glück, Pech, Liebe, Spiel.
Dieses alberne Sprichwort. Glück & Pech kann man
zur Not ja noch auseinanderhalten, aber Liebe
& Spiel

»Du meinst Liebesspiel
»Ich meine gar nichts.«
»Jetzt redest du wie ein Besoffener.«
»Das ist korrekt«, sagte er. Und stellte das Whiskyglas ab
wie ein Whiskyglas. Daraufhin
fing er zu singen an – über das Radiogeriesel hinweg:
»Die Liiieebe ist ein sääältsames Spiieel….«
»Aufhören!«
Er sang noch: »Sie kommt…« Dann verstummte er.
»Oh verdammt«, sagte ich, »hau mir bloß ab mit Connie Francis.
Dies ist nicht der Augenblick für Schlager.«
Er grinste.
Eigentlich fand ich
es auch ganz amüsant. Und in meiner Kindheit
hatte ich dieses Lied durchaus gemocht.
Wahrscheinlich war es für manche Paare
Unser Lied gewesen. Arme Schweine. Auch sie.
»Wart’s ab«, sagte er – plötzlich ganz ernst, »sie
wird zurückkommen.«
»Na sicher.«
»Ja, Mann. Echt, Mann. Denk nur an all die Zufälle, die
keine waren. Ihr gehört zusammen…. selbst wenn ihr
nicht zusammen passt…. Da beisst kein Faden…. also, die Maus….
Ach, du weißt schon, was ich meine.«
»Na sicher.«
»Wahrscheinlich…. wahrscheinlich hat das Ganze sie
unbewusst ein bisschen erschreckt…. & deshalb isse auf
Distanz gegangen…. Wart’s nur ab.«
»Westentaschenpsychologie«, sagte ich, »sehr gut.«
»Na immerhin«, sagte er, »besser als nix. Besser als
Selbstmitleid. Besser als irgendwelche Scheißgedichte, die
alles nur schlimmer machen.«
»Du hast zuviel getrunken«, sagte ich.
»Du auch. Immer schon.«
Grün ist ihre Lieblingsfarbe – fiel mir ein.
Ich schaute in den Spiegel. Ohne mich anzusehen.
Wie oft war Sie an ihm vorübergegangen…..
Lachend. Nackt. Selbstbewusst.
Vielleicht hatte sie ihn berührt. Wie mich.
Ihr Bild hätte darin
gefangen sein sollen. Doch da war
nichts.
Womöglich hatte er recht.
Nicht der Spiegel.
(Immer diese Mehrdeutigkeit der Sprache! Immer
diese Mißverständnisse.)
Nein, nicht der Spiegel –
der Mann, der im Spiegel
nicht zu sehen war.
So wie Sie.

Connie bw