Die Politesse

Die Parkuhr war natürlich längst abgelaufen.
Als ich, mit meinem Buch unterm Arm, um die
Ecke bog, sah ich bereits von weitem
die Frau in der blauen Uniform. Sie stand
auf der anderen Straßenseite
bei meinem Wagen.
Die Sonne schien.
Auf die blaue Uniform.
Ich ging. Langsam.
Überquerte die Straße.
Lang. Sam.
Die Frau begann,
in ihren Block zu kritzeln.
Ich ging. Noch immer langsam.
Dann stand ich vor ihr.
»Da bin ich wohl etwas zu spät«,
sagte ich.
Sie blickte auf von ihrem Block;
ihr Blick schien mich abzuschätzen –
abzuschätzen, was sie zu erwarten hatte …
von mir.
»Ja«, sagte sie. »Etwas.«
Die Uniform stand ihr gut.
»Das Buch war zu interessant«, sagte ich.
Sie schaute kurz darauf; auf den
Kopfschnitt unter meinem Arm. »Hab dann wohl
ein paar Minuten zu lange im Park gesessen.«
Die Frau lächelte leicht.
»Jetzt hab ich’s schon aufgeschrieben«, sagte
sie. Sie zeigte mir ihren Block. »Die Seiten
sind durchnummeriert; da kann ich nichts
mehr machen.«
»Tja«, sagte ich, »dann hab ich wohl Pech gehabt.«
»Warum haben Sie nicht sofort gerufen? Wenn
Sie im Park waren, müssen Sie mich doch schon da unten
gesehen haben.«
»Es ist nicht meine Art, auf der Straße herumzubrüllen«,
sagte ich.
Sie lächelte.
»Tut mir leid«, sagte sie.
»Was soll’s.«
Sie riss das Ticket ab & drückte es mir in die Hand.
Ich öffnete die Wagentür.
»Na denn«, sagte ich, »ich wünsche Ihnen noch
einen wunderschönen Tag.«
Da war keinerlei Ironie in meiner Stimme.
Kurzes Zögern.
»Danke«, sagte sie, »ich Ihnen auch.«
Ich legte Buch & Strafzettel auf den
Beifahrersitz & startete den Wagen.
Setzte zurück, fuhr los.
Ich drehte die Musik etwas lauter.
Ich hatte Gute Laune. Es war
ein warmer Tag. Ich ließ
das Seitenfenster herunter &
stellte mir vor, dass die Frau
sich nach Feierabend noch an mich
erinnern würde. Vielleicht wie an einen
Freak. Man weiß ja, was Politessen
normalerweise zu hören kriegen.
Die Uniform hatte ihr wirklich
gut gestanden.
Und der Gesichtsausdruck, als ich ihr
einen wunderschönen Tag gewünscht hatte
– überrascht, fast ungläubig –
war das Geld
wert.


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