Ein von 45 Jahren zerfetzter Sonnenschirm
steht auf meiner Terrasse. Zum ersten Mal
wieder auf
gespannt seit ich
weiß nicht wann. Ich kenne ihn aus
meiner frühen Vergangenheit. In der stand
ein anderes Haus. Unter derselben
Sonne. Unter mir
Moos & Unkraut auf
schweren Steinplatten. In einem benachbarten
Garten erklingt ein Kind
wie das verrostete Scharnier einer alten Tür. Hinter der Tür
schläft die Angst
vor dem Erwachsenwerden.
Das Kind ist nicht ein Kind
wie ich eins war. Und bin.
Neben mir liest eine junge Frau
in einem Buch, das ich nicht kenne.
Sie trägt einen Bikini, und ihr nackter Fuß ruht
auf der Lehne meines Sessels. Ich
sehe einen Hut aus Stroh. Mit
einem roten Band. Und eine Biene
auf der Blüte einer Blume, die ich genau so
wenig kenne wie das Buch. Alles
könnte ein Gemälde sein. Von einem unbekannten Meister. Oder
das Werk eines toten Dichters. Unveröffentlicht
für immer. Ich ließ es
mir träumen. Doch wagte es nicht
zu hoffen. Mehr
weiß ich nicht über das Leben.
Mehr brauche ich nicht
zu wissen. Und der Schirm
spendet kaum
noch Schatten.
11. August 2015